EM-Auftakt: "Allez les Bleus" - mit Akribie und Disziplin zum Titel daheim

France´s national soccer team coach Didier Deschamps attends a training session at the Saint-Symphorien stadium in Metz
France´s national soccer team coach Didier Deschamps attends a training session at the Saint-Symphorien stadium in Metz(c) REUTERS (VINCENT KESSLER)
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Vier Wochen Fußball beginnen. Didier Deschamps hat die französische Nationalmannschaft wieder zu einem Titelanwärter gemacht. Skandale und Allüren sind passé.

Paris/Wien. „Die Kunst des Fußballs feiern“ lautet der offizielle Slogan der EM-Endrunde und mit dem Anpfiff des Eröffnungspiels Frankreich gegen Rumänien (21 Uhr, live ORF eins) sollen heute Spiele und Tore im Gastgeberland in den Mittelpunkt rücken. Dem französischen Teamchef, Didier Deschamps, ist die Erleichterung anzumerken, endlich über seine Kernkompetenz sprechen zu dürfen.

In der Vergangenheit hat der Baske nicht nur einmal den Wunsch geäußert, neben der Trainerausbildung auch ein Psychologiestudium absolviert zu haben. Sorgten erst die Ermittlungen gegen den EM-Schirmherrn und inzwischen zurückgetretenen Uefa-Präsidenten Michel Platini im Zuge des Fifa-Skandals im Gastgeberland für Irritationen, schürten die Terroranschläge in Paris im vergangenen November in ganz Europa Sorgen und Ängste.

Nur der Titel zählt

„Maximale Sicherheitsvorkehrungen“ hat Staatspräsident François Hollande versprochen, die Verlängerung des Ausnahmezustands im ganzen Land sowie strenge Einlasskontrollen bei den Stadien und Fanzonen – allein im Großraum Paris werden rund 13.000 Sicherheitskräfte eingesetzt – sollen ein fröhliches und friedliches Fußballfest ermöglichen. Ganz ausblenden lässt sich die Erinnerung allerdings auch bei den Spielern nicht. „Das vergisst man nicht, aber auch nach so einem Trauma muss es ein Morgen geben“, sagte Torhüter Hugo Lloris, der die Bombenexplosionen rund um das Stade de France beim Freundschaftsspiel gegen Deutschland miterlebte und gemeinsam mit seinen Kollegen und dem DFB-Team die Nacht über in den Stadienkatakomben ausharrte. „Es ist wichtig, dass wir unser Leben und unsere Leidenschaft weiter leben.“

Die Herausforderung für Deschamps und seine Mannschaft ist auf jeden Fall eine große: Nach der EM 1984 und der WM 1998 soll die Équipe Tricolore auch dieses Mal im eigenen Land triumphieren. „Die Erwartungshaltung ist enorm, weil wir als Gastgeber antreten. Es wird ein gelungenes Turnier sein, wenn wir es gewinnen. Sollten wir vorher ausscheiden, sind wir gescheitert“, erklärte der Kapitän des Weltmeisterteams von 1998. Dass Frankreich sich Chancen auf den Titel ausrechnen darf, ist ein Verdienst des 47-Jährigen, der seit seinem Amtsantritt 2012 aus einem zerstrittenen Haufen eine verschworene Einheit geformt hat.

Die Euphorie des WM- und folgenden EM-Sieges war spätestens 2010 verflogen. In Südafrika zettelte Nicolas Anelka eine Revolte gegen den damaligen Teamchef Raymond Domenech an, das „Fiasko von Knysna“ gipfelte in einem Trainingsboykott und der Heimreise als Gruppenletzter. Unter Laurent Blanc beschimpfte Samir Nasri zwei Jahre später bei der EM in Polen und der Ukraine Journalisten, Frankreich schied im Viertelfinale aus. Der Ruf der Les Bleus war nachhaltig geschädigt: Sponsoren ließen sich Popularitätswerte für die Nationalmannschaft in die Verträge setzen, wurden diese unterschritten, musste der Verband Geld zurückzahlen. Unter Deschamps war dies noch nicht der Fall.

Steiler Aufstieg

Als akribischen Arbeiter mit einem fast schon pathologischen Verhältnis zum Erfolg beschreibt Autor Bernard Pascuito Deschamps in seiner Biografie. „Die Maßgabe, niemals aufzugeben, es immer wieder zu versuchen und alles dem Erfolg unterzuordnen, zieht sich durch sein ganzes Leben“, heißt es darin. Täglich würde der Baske seinen Namen googeln, um zu wissen, was die Medien über ihn schreiben. Bislang waren die Berichte vorrangig positiv: Jüngster Trainer in einem Champions-League-Finale mit AS Monaco 2004, Wiederaufstieg in die Serie A mit Juventus Turin, ein Meistertitel sowie zwei Cupsiege in drei Jahren bei Olympique Marseille. 2012 verpflichtete ihn schließlich der Verband als neuen Hoffnungsträger.

Selbst einst ein unauffälliger, aber giftiger Mittelfeldrackerer, hält Deschamps in der Nationalmannschaft Disziplin, Ordnung und Teamgeist hoch. „In allen Gruppen mögen sich manche mehr und manche weniger. Wichtig ist es, auf dem Platz eine Einheit zu sein“, betonte der zweimalige Champions-League-Sieger mit Marseille und Juventus. „Er wirkt beruhigend auf die Gruppe“, sagte Verbandspräsident Noel Le Graet, „wenn nötig, agiert er auch mit harter Hand.“

Streitfall Benzema

Deschamps sortierte potenzielle Problemkinder ohne Rücksicht auf deren Namen und Verdienste aus. Vor der WM 2014 erwischte es Nasri, die Franzosen überzeugten in Brasilien und scheiterten im Viertelfinale erst am späteren Weltmeister Deutschland (0:1). Beim Heimturnier wird Karim Benzema, mit 27 Toren in 81 Spielen der Treffsicherste aller Aktiven, wegen der Sexvideo-Affäre fehlen. Gegen den Stürmer von Real Madrid wird in einem Erpressungsfall gegen Teamkollegen Mathieu Valbuena ermittelt. Die Entscheidung sorgte für Diskussionen. Der algerisch-stämmige Benzema unterstellte Deschamps, er habe „dem Druck des rassistischen Teils Frankreichs nachgegeben“. Den Unmut der Fans bekam in den Testspielen Benzema-Ersatz Olivier Giroud zu spüren, der Arsenal-Stürmer wurde ausgepfiffen. „Es trifft mich nicht persönlich, aber es ist eine Schande“, sagte Giroud.

Der Teamchef lässt sich davon nicht beirren, er hält an seinem funktionierenden Kollektiv mit Arbeitern wie Blaise Matiudi und Technikern wie Antoine Griezmann fest. „Alle müssen sich in den Dienst der Mannschaft stellen“, erklärte der 47-Jährige, der seinen Spielern für die kommenden Wochen eine weitere klare Botschaft mitgab: „Ich will, dass sie mit mit dem Gedanken in das Turnier gehen, am Ende den Pokal in den Händen zu halten.“

AUF EINEN BLICK

Didier Deschamps, 47, hat das französische Nationalteam nach der EM 2012 übernommen. Der Baske gewann als Spieler zweimal die Champions League (Marseille, Juventus) und gilt als akribischer Arbeiter mit einem Faible für Disziplin und Ordnung.

Frankreich spielt bei der Heim-EM um den dritten Triumph im eigenen Land nach der EM 1984 und der WM 1998. Bei Letzterer führte Deschamps die Mannschaft als Kapitän ebenso wie bei der folgenden EM 2000 zum Titel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

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