Île d'Ouessant: Wo der Wind weht

Île d'Ouessant
Île d'Ouessant(c) Wikipedia
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Die westlichste Insel Frankreichs und ihre Nachbarin Molène liegen in einem der gefährlichsten Gewässer der Welt. Die Inseln im Meeresschutzgebiet Parc d'Iroise sind Europameister, was die Anzahl an Leuchttürmen anlangt, und erzählen nicht nur von Seenot und Schiffbruch. Sie besitzen auch unverdorbene Natur und wilde Romantik.

Sogar die Schafe stemmen sich gegen den Wind. Die Häuser sind so klein, dass sie ihm so wenig Widerstand wie möglich bieten. Bäume versuchen es erst gar nicht. Die Idee, auf der westlichsten Insel der Bretagne ihr erstes Windkraftrad zu errichten, schien schlüssig. Allerdings stürzte es schon bald um. Der Wind blies es davon. „Dafür haben wir hier die kleinste Windmühle der Welt“, sagt Ondine Morin. Die 32-Jährige ist Fischerin. Die anderen Fischer sind ihr Mann Jean-Dénis sowie zwei Brüder. Ondine ist auf Ouessant aufgewachsen, im Hauptort Lampaul steht das Haus ihrer Eltern neben dem ihrer Großeltern. Frühmorgens fährt sie mit ihrem Mann zum Fischen aufs Meer, später hilft sie ihm, an einem Stand neben der Kirche den Fang zu verkaufen. Es ist nicht nur das Leben, in das sie hineingeboren wurde. Sie hat es sich auch ausgesucht.

Nachmittags zeigt sie Besuchern ihre Insel; manchmal auch abends, wenn es dunkel wird. Dann leuchten auf der Insel die Lichter von einem halben Dutzend Leuchttürmen, die hier und auf dem Meer Schiffe vor einem der gefährlichsten Gewässer der Welt warnen. Der Wind pfeift, Wolken fliegen über den Himmel. Das Licht der Türme taucht die Welt zwischen Land und Meer in geheimnisvolles Licht. Der Kegel des 55 Meter hohen Phare du Créac'h, einst der Leuchtturm mit der hellsten Strahlkraft Europas, war für Ondine das beruhigende Nachtlicht ihrer Kindheit: Es bot Gewissheit, dass da draußen nicht nur der Atlantik und sein ständiger Begleiter, der Wind, waren.

Glückliche Ruheständler

Ondine versuchte, auf dem Festland zu leben. Sie ging nach La Rochelle, einer schönen, geschichtsträchtigen Hafenstadt am Atlantik, um Kunstgeschichte zu studieren. Es funktionierte nicht: „Ich fand die Stadt furchtbar laut und verging vor Heimweh. Auf der Insel schafft nur die Natur Zwänge, in der Stadt alles andere.“ Doch es ist nicht leicht, auf einer Insel eine Existenz aufzubauen. Während die Frauen einst den Acker hinterm Haus bestellten, waren die Männer mit der Handelsmarine auf den Weltmeeren unterwegs. Ouessants Bevölkerung besteht heute zu sechzig Prozent aus glücklichen Ruheständlern. „Die Möglichkeiten sind sehr übersichtlich“, sagt Ondine. Sie fand trotzdem einen Weg. Als sie bei einem Ferienjob in Le Conquet die Fähren festmachte, die Ouessant mit dem 20 Kilometer entfernten Festland verbinden, lernte sie einen jungen Matrosen aus dem bretonischen Städtchen Quimper kennen. Vor drei Jahren heirateten sie, da war er bereits zweiter Kapitän auf seinem Schiff. Jean-Dénis Morin gab den guten Job auf, um seiner Liebsten auf ihre Insel zu folgen und Fischer zu werden. Eine nachvollziehbare Entscheidung: So ursprünglich ist die Heidelandschaft der Insel, so ungebändigt die Kraft des Atlantiks, so magisch das Licht der fünf Leuchttürme auf und um Ouessant, dass man sich ihrem wilden Zauber schwer entziehen kann.

Auf der Insel Molène sieht die Welt erstaunlich anders aus. Und das nicht nur, weil es hier doppelt so viele Fischer gibt, nämlich ganze acht. Lieblicher wirkt die Insel als Ouessant mit ihren schroffen Klippen. Die Häuschen drängen sich über einem Hafen, der an wolkenlosen Sommertagen mit seinem türkisfarben leuchtenden, glasklaren Wasser mediterran wirkt. Auch die Bewohner von Molène unterscheiden sich von ihren Nachbarn. Während die Männer Ouessants seit jeher ihr Auskommen in der Handelsmarine fanden, blieben die Bewohner Molènes als Fischer daheim. Weil sie die gefährlichen Gewässer deshalb gut kannten, konnten sie sogar rund um Ouessant fischen. Das wurde dort mit Misstrauen beobachtet. „Gut, unsere Männer hatten die halbe Welt gesehen“, sagt Ondine. „Aber ein bisschen weh tat es schon, dass sie sich vor der eigenen Haustür nicht auskannten.“

Allerdings sind diese Gewässer so schwierig und gefährlich wie wenig andere auf der Welt. Ebbe und Flut bewegen hier gewaltige Wassermassen, und die Vielzahl kleiner Inseln, Klippen und Untiefen und die durch sie entstehenden Meerengen befördern starke Strömungen. Kommen dann noch die schweren Stürme von Herbst und Winter oder – Hauptunfallursache – die Nebelbänke hinzu, die sich hier an rund achtzig Tagen im Jahr bilden, wird das zu einem Albtraum für Seefahrer.

Alle sechs „Höllen“ Frankreichs

Seit 2007 stehen Inseln und Meer als Parc Naturel d'Iroise unter Schutz. Wer hier mit dem Boot unterwegs ist, braucht kein besonderes Glück, um Robben und Delfine zu sehen. Eigentlich sollte der Meeresnaturpark, der sich von Ouessant im Norden bis zur Insel Sein im Süden erstreckt und Teile der bretonischen Westküste sowie die Halbinsel Crozon einschließt, sogar ein Nationalpark werden. Doch dann hätte man hier nicht einmal mehr mit der Angel fischen dürfen.

Alle sechs „Höllen“ Frankreichs ragen aus diesen Gewässern: auf Felsenklippen im Meer erbaute Leuchttürme, die nur per Boot zu erreichen und bei Sturm kaum zu evakuieren sind; Türme, die ob ihrer exponierten Lage einst manchen Wärter in Depressionen oder Wahnsinn trieben, heute aber nicht mehr bemannt, sondern wie die meisten Leuchttürme automatisiert sind.

Die fünf Leuchttürme und 13 Leuchtbojen um Ouessant sollen die Gewässer sicherer machen. Dennoch leben die Menschen auf der baumlosen Insel Ouessant seit jeher auch von dem, was ihnen das Meer bringt – häufig Wrackteile und Güter gesunkener Schiffe. „Das Meer nimmt und gibt“, weiß Ondine, deren Großvater als Fischer auf dem Meer blieb. Immer wieder wurden auf Ouessant Ertrunkene angespült. Öfter aber werden Kisten voller Orangen oder etwa ein Container Schuhe angeschwemmt: Ladungen, die sich bei Sturm oder Schiffbruch selbstständig gemacht haben. Vor 25 Jahren verlor ein Schiff in einem schweren Sturm seine Ladung von Badeenten. Ouessant wurde von Quietschtieren buchstäblich überschwemmt.

Die südöstlich der Insel verlaufende Passage du Fromveur darf seit der Havarie eines Öltankers 1980 nicht mehr befahren werden. Den Chenal du Four befahren nur die Kapitäne der Fährgesellschaft Brittany Ferries. Und auch die müssen einen Lotsen an Bord holen, um Ouessant zu passieren.

Das 1850 erbaute Inselmuseum erzählt vom Leben auf dem kleinen Flecken Erde im Atlantik. Hier sind die Möbel ausgestellt, die die Insulaner einst aus Treibholz fertigten. Das „schmutzige Zimmer“ war dem Alltag vorbehalten, hier wurde gekocht, gegessen und geschlafen. Das „hübsche Zimmer“, die gute Stube, wurde nur für Feste geöffnet – so selten also, dass hier nicht einmal ein Kamin benötigt wurde.

Das kiloschwere Brot, das für eine ganze Woche reichte, backten die Menschen auf der Grasnarbe – Feuerholz gab es ja nicht. In den wenigen Restaurants wird Salzlamm noch heute nach dieser alten Methode gegart. Am Topf, der auf den Tisch kommt, kleben Grashalme. Auch außerhalb des Museums zeugt alles auf der Insel von der Vergangenheit: außer dem Gras am Topf auch die zu Ehren der Jungfrau Maria, die die Seeleute beschützt, in ihrer Farbe Blau gestrichenen Türen, Fensterläden und Möbel; und die große Kirche in Lampaul, die 1883 erbaut wurde, als 3000 Menschen auf Ouessant lebten.

Damals wurde auf der Insel nur gegessen, was hier produziert wurde, Luxusartikel gab es nur, wenn Seemänner aus fernen Häfen zurückkamen. Das Leben war hart, viele Familien zogen aufs Festland. Zugleich entdeckten Erholungssuchende die Insel. Obwohl es keine Dreisternehotels auf Ouessant gibt, wird die 1550 Hektar große Insel ihrer rauen Schönheit wegen geliebt – und weil hier noch Traditionen gepflegt werden, die auf dem Festland vergessen sind.

Die Kirche ist das Herz der Insel. Auch Ondine hat hier geheiratet, in Tracht, wie es unter einheimischen Frauen üblich ist. Weil ihr Mann aus Quimper im Süden der Bretagne stammt, ließ sie sich für ihre Hochzeit eine Tracht aus dem südlichen Finistère mit dezenten modernen Einflüssen schneidern. Aus dem Alltag sind die Trachten aber auch hier verschwunden.

DIE ÎLE D'QUESSANT STÜRMEN

Anreise: Wer die lange Anfahrt mit dem Auto scheut, kann per Flug nach Brest abkürzen (mit Air France mehrmals täglich über Paris). Die Inseln sind ganzjährig mehrmals wöchentlich per Fähre ab Le Conquet, ab Brest und ab Camaret erreichbar. Die Fahrpläne der Fährgesellschaft Penn Ar Bed sind unter www.pennarbed.fr einsehbar. Eine Fähre verbindet Ouessant und Molène miteinander.

Übernachten: Das sehr angenehme kleine Hotel Hostellerie de la Pointe Saint-Mathieu liegt unmittelbar unter dem Leuchtturm Saint-Mathieu an der Westküste. Es verfügt über einen Innenpool und ein gutes Restaurant, DZ ab 115 Euro (7, Place Saint-Tanguy, 29217 Plougonvelin, www.pointe-saint-mathieu.com). Auch auf den Inseln kann man übernachten. Molène verfügt über Ferienwohnungen, auf Ouessant gibt es außerdem zwei kleine Hotels, das Hotel-Restaurant Le Fromveur mit 14 Zimmern (DZ ab 56 Euro) und das Hotel-Restaurant Duchesse Anne mit neun Zimmern (DZ ab 49 Euro). Infos zu Unterkünften: www.ot-ouessant.fr.

Schlemmen: Im Restaurant Duchesse Anne in Bourg Lampaul auf Ouessant gibt es neben Meeresfrüchten und anderen Köstlichkeiten die Spezialität Ragoût dans les mottes, einen auf der Grasnarbe gegarten Eintopf aus Lammfleisch, Karotten und Kartoffeln, Tel: +33 (0)2 98 48 20 85.

Lektüre: Unentbehrliche Reiselektüre sind die mittlerweile fünf Bretagne-Krimis des deutsch-französischen Schriftstellers Jean-Luc Bannalec (KiWi Verlag). Von der Autorin dieses Artikels ist im Picus-Verlag die „Lesereise Bretagne: Beim Leuchtturmwärter brennt noch Licht“ erschienen (132 Seiten, www.picus.at).

Infos: www.bretagne-reisen.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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