Tatsächlich Bildungs-Europameister: HTL und Lehre

Birgit Haberschrick
Birgit Haberschrick (c) Skillsaustria
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Das Land liegt mit der Berufsbildung an der internationalen Spitze. Und ist ein Vorbild – von den Balkanländern über Großbritannien bis nach Saudiarabien.

Wien. Die 26-Jährige ist die beste Floristin in ganz Europa: Beim Berufswettbewerb Euroskills holte Birgit Haberschrick vor eineinhalb Jahren Gold. Und sie ist längst nicht die einzige Österreicherin, die international reüssiert: Neunmal machten junge Bodenleger, Maurer oder Spengler damals den ersten Platz. Beim folgenden weltweiten Wettbewerb in Rio de Janeiro war Österreich mit acht Medaillen überhaupt das beste europäische Land.

Zufall? Wohl kaum. „Wir haben einen sehr breiten Zugang zu beruflicher Bildung“, sagt Michael Landertshammer von der Wirtschaftskammer. „Wenn ich aus einem größeren Reservoir schöpfen kann, sind auch die Chancen, die besten jungen Fachkräfte zu haben, größer.“

Tatsächlich liegt Österreich an der internationalen Spitze, was die berufliche Ausbildung angeht: 71 Prozent der 15- bis 19-Jährigen absolvieren laut OECD hierzulande eine berufsbildende Ausbildung – etwa zur Hälfte besuchen sie eine berufsbildende mittlere oder höhere Schule (BMHS) wie beispielsweise eine HTL oder HAK, zur Hälfte machen sie eine Lehre. Einen derart hohen Anteil hat sonst nur Tschechien, es folgen die Slowakei und die Schweiz.

Bremse bei Jugendarbeitslosigkeit

Im EU-Schnitt machen lediglich 45 Prozent der Jugendlichen eine beruflich orientierte Ausbildung. Wobei sich das in den kommenden Jahren ändern könnte: Denn das internationale Interesse an Lehre und berufsbildenden Schulen ist groß. Und Österreich hält als ein Vorbild für eine ganze Reihe von Ländern her – vom Balkan über England bis Saudiarabien.

Dies hat vor allem einem Grund: die Jugendarbeitslosigkeit. Die ist nämlich in Ländern mit einem starken Berufsbildungssystem deutlich geringer ist als in anderen. Während im EU-Schnitt im Vorjahr jeder fünfte unter 25-Jährige keinen Job hatte, war es in Österreich jeder zehnte.

Ganz vorn liegt mit gut sieben Prozent Deutschland. Es wäre zu kurz gegriffen, das allein auf das Berufsbildungssystem zurückzuführen.

Nachhilfe für andere Länder

Aber ein Punkt ist zweifellos die starke Einbindung der Unternehmen in die Berufsbildung und die Lerninhalte, sagt Thomas Mayr vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. Also: Es wird nicht am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet.

„Natürlich hat Österreich die Kultur, Mozart, die Landschaft. Aber auch das duale System ist inzwischen weltweit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt“, sagt Landertshammer. Eben erst waren mehrere südamerikanische Botschafter zu Besuch. Im Mai widmeten sich die Westbalkanländer der Frage, wie Österreich sie bei der dualen Berufsausbildung unterstützen kann. In mehreren Ländern hat Österreich Pilotprojekte gestartet – etwa Young Stars in der Slowakei, wo wieder eine duale Ausbildung implementiert werden soll. Damit soll dort auch der Mangel an Fachkräften bekämpft werden.

Darum geht es auch den saudiarabischen Delegationen, die jüngst die HTL Mödling besucht haben – mit knapp 3500 Schülern ist das die größte Schule Österreichs. „Vor dem Hintergrund, dass dort einmal das Öl ausgeht, setzt Saudiarabien jetzt auf Technologie“, sagt Direktor Harald Hrdlicka. „Daher schauen sie sich Technikausbildungen an.“ International gibt es kaum Vergleichbares zu den BHS, sagt Christian Dorninger, der im Bildungsministerium für Berufsbildung zuständig ist: einige wenige Schulen in Italien, in osteuropäischen Ländern gebe es ähnliche vierjährige Schulen. „Alle anderen Länder haben das in die Fachhochschulen verlagert.“

Die Sache mit dem schlechten Image

In England soll das jetzt wieder umgekrempelt werden. Nachdem schulische Berufsbildung Mitte des vergangenen Jahrhunderts von der Allgemeinbildung verdrängt wurde, wird mit den University Technical Colleges gerade eine Art Vorstufe für die Fachhochschulen aufgebaut: eine berufsbildende Schule für 15- bis 18-Jährige, die der HTL ähnlich ist. „Da ist Österreich zwar nicht offiziell beteiligt, wir sind aber ein Vorbild und werden auch von Direktoren besucht“, sagt Dorninger.

Zu kämpfen hat die Berufsbildung in Österreich dennoch: Während die BHS einen guten Ruf genießen, ist das Image der Lehre bekanntermaßen eher schlecht. Einer jüngsten Ifes-Studie zufolge sehen Lehrlinge ihre Ausbildung zwar zu 85 Prozent als Basis für eine gute Arbeit. Unter den Eltern glaubt dies aber nur ein Drittel. „Es ist nicht frei von Ironie, dass genau, wenn Europa die Lehrlingsausbildung entdeckt, diese bei uns keinen allzu guten Stand hat“, sagt Bildungsforscher Mayr. Im Westen Österreichs funktioniere sie gut, vor allem im Osten leide die Lehre dem gegenüber jedoch unter einem Imageproblem.

Im Zusammenhang mit der zu erwartenden demografischen Entwicklung Österreichs ist das eine Herausforderung: Die Jugendlichen werden weniger, die Anzahl der Schulplätze bleibt aber gleich. „Das heißt, dass die Konkurrenz um Schüler groß ist. Und die Schule hat mit Abstand die besseren Karten: Die Matura ist extrem attraktiv, der doppelte Übergang über polytechnische Schulen dagegen unattraktiv.“ An Interessenten für die Lehre übrig bleiben mitunter dann tatsächlich nur jene, die – wie Unternehmer immer wieder klagen – weder grüßen noch ordentlich lesen und rechnen.

AUF EINEN BLICK

Vorbild Österreich. Österreichs Berufsbildung und die berufsbildenden Schulen sorgen weltweit für hohe Aufmerksamkeit. Immer wieder pilgern Delegationen ins Land, um Anleihen mit nach Hause zu nehmen. Fast drei Viertel (71 Prozent) der 15- bis 19-Jährigen absolvieren eine berufsbildende Ausbildung, zur Hälfte machen sie eine Lehre. Einen derart hohen Anteil hat sonst nur Tschechien. Dabei hat gerade die Lehrer ein Problem – zumindest, was das Image betrifft. Während Lehrlinge selbst laut einer Ifes-Studie ihre Ausbildung zu 85 Prozent als Basis für eine gute Arbeit sehen, ticken Eltern anders. In diesem Personenkreis behauptet dies nur noch jeder Dritte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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