Auf der Hauptversammlung von Volkswagen bekam der Vorstand den Unmut der Kleinanleger zu spüren: Sie machten ihrem Ärger über das „System Volkswagen“ Luft.
Frankfurt/Wolfsburg. Kleinaktionäre des vom Dieselskandal erschütterten Volkswagen-Konzerns haben am Mittwoch den Aufstand geprobt. Ohne Aussicht auf Erfolg beantragten mehrere Anteilseigner die Abwahl von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch – eines gebürtiger Österreichers – als Versammlungsleiter, scheiterten aber schon bei dieser Formalie an der Mehrheit der Großaktionäre.
Die machtlosen Kleinaktionäre machten die Kritik am „System Volkswagen“ zum Hauptthema des Aktionärstreffens am Mittwoch in Hannover. Volkswagen basiere auf einer „Filzokratie“, bei der sich das Land Niedersachsen, der VW-Betriebsrat, das Management und die Großaktionärsfamilien Porsche und Piëch gegenseitig Vorteile zuschöben, machte Markus Dufner vom Dachverband Kritischer Aktionäre seinem Ärger Luft.
Die Entschuldigung von Konzernchef Matthias Müller für die millionenfache Abgasmanipulation verpuffte in der aufgeheizten Stimmung. „Dieses Fehlverhalten widerspricht allem, wofür Volkswagen steht. Es hat unser höchstes Gut beschädigt: Das Vertrauen der Menschen in unser Unternehmen und unsere Produkte“, gab sich Müller reumütig. Der Konzern setze nun alles daran, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Doch Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz warf der VW-Führung kollektives Versagen vor: „Wir stehen vor einem Trümmerhaufen.“ Die Aktionäre hätten durch den Kursverfall der VW-Aktie im Zuge des Abgasskandals viel Geld verloren. Die künftige Gewinnentwicklung stehe in den Sternen.
Proteste auf dem Messegelände
Auch die Bonuszahlungen an den Vorstand wurden kritisiert. Diese seien eine nicht zu rechtfertigende Belohnung für Misserfolg, sagte Hans-Christoph Hirt vom Pensionsfonds Hermes. Die Verärgerung der Anleger bekam Volkswagen schon vor der Hauptversammlung zu spüren. Auf dem Messegelände versammelten sich zwei Dutzend Demonstranten. Auf einem Transparent stand: „Keine Entlastung für Umweltverbrecher! Die Verantwortlichen und Profiteure sollen zahlen.“ Im Saal begrenzte Aufsichtsratschef Pötsch wegen der großen Zahl von 40 Wortmeldungen die Redezeit, doch kaum jemand hielt sich an die Vorgabe.
Investoren und Kleinaktionäre werfen dem Konzern Intransparenz bei der Aufklärung des Dieselskandals vor. Sie kündigten an, den Vorstand für das Skandaljahr 2015 nicht entlasten zu wollen und forderten eine unabhängige Sonderprüfung. Der Mehrheitsaktionär Porsche SE kündigte an, dem VW-Vorstand weiter das Vertrauen zu schenken und für eine Entlastung zu stimmen. Die Holding der Familien Porsche und Piëch hält rund 52 Prozent der Stammaktien, das Land Niedersachsen 20 Prozent und das Emirat Katar 17 Prozent.
Staatsanwaltschaft ermittelt
In Europa und den USA sind zahlreiche Schadenersatzklagen anhängig, weil das VW-Management nach Auffassung der Kläger die Öffentlichkeit zu spät über die entdeckte Manipulation der Emissionswerte informiert hat. VW-Chefjuristin Christine Hohmann-Dennhardt bekräftigte: „Volkswagen ist unverändert der Überzeugung, seine kapitalmarktrechtlichen Pflichten erfüllt zu haben.“
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen mutmaßlicher Marktmanipulation gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und den jetzigen VW-Markenchef, Herbert Diess. Volkswagen hat die US-Kanzlei Jones Day mit der Aufarbeitung beauftragt, ein Abschlussbericht soll erst zu Jahresende präsentiert werden. Neue Erkenntnisse gab es daher auf der Hauptversammlung nicht. (APA/Reuters)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2016)