Statement gegen Rassismus, für Sprachspiel

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Sharon Dodua Otoo ist die erste schwarze Preisträgerin des Wettlesens in Klagenfurt - mit einem Text, der die deutschsprachige Literatur originell bereichert.

Der mit 25.000 Euro dotierte Bachmann-Preis 2016 geht an die 1972 in London geborene ghanaisch-britische Schriftstellerin, Publizistin und Menschenrechtsaktivistin Sharon Dodua Otoo. Das ist zuallererst ein politisches Statement. Es richtet sich gegen den Brexit, gegen Rassismus und Xenophobie. Nun geht es beim Bachmann-Preis aber um Literatur. Die gute Nachricht ist: Auch in dieser Hinsicht ist der Preis an Otoo ein Signal. Ein Signal dafür, dass nicht der kunstfertige Literaturinstitut-Leipzig-Text die besten Chancen hat, sondern einer, der die deutschsprachige Literatur mit für sie eher fremden Elementen bereichert.

In ihrem Siegertext „Herr Gröttrup setzt sich hin“ lässt Otoo zum Beispiel ein Ei sprechen, das nicht gelten lassen will, „dass ihr Lebenden ausschließlich mittels dieses Gefängnisses namens Sprache kommuniziert“. Das Ei selbst kommuniziert etwa durch die Verweigerung, hart zu werden, obwohl es von Frau Gröttrup lang genug gekocht worden ist. Das hört sich ein wenig nach Kindergeschichte an, ist es aber nicht. Denn den Herrn Gröttrup gab es wirklich – und er war nicht irgendwer, sondern ein Raketenspezialist im Dritten Reich und danach Erfinder der Chipkarte. Otoos Geschichte beweist, dass man über deutsche Geschichte auch anders als verbissen schreiben kann, indem man einen hochintelligenten Techniker zugleich ebenjenen deutschen Spießer sein lässt, der er schon vor Hitlerdeutschland war und auch danach noch ist. Das Frühstücksei gehört zum unverrückbaren Ritual von Herrn Gröttrup. So will er es eines Tages, wie üblich, „genüsslich auslöffeln. Er hätte es auch, wenn ihn das Ei nur nicht – auf absolut unvorhersehbare Art und Weise – angespritzt hätte. Mit anderen Worten: Das. Ei. War. Noch. Weich. Wie konnte das nur sein?“ Sharon Dodua Otoo hat nicht nur einen spielerischen Umgang mit Themen, sondern auch mit Sprache. Auch dieser wurde beim diesjährigen Klagenfurter Wettlesen prämiert.

„Die deutschen Krähen vertreiben“

Kann jemand für einen Text in einer Sprache, die nur seine Zweit- oder Drittsprache ist und die er nicht fehlerfrei spricht, einen Literaturpreis erringen? Diese Frage drängte sich nicht erst bei Otoo auf, sondern bereits bei dem von Juror Klaus Kastberger eingeladenen Israeli Tomer Gardi. Der ging sogar so weit, einen grammatikalisch inkorrekten Text zu lesen, um „die deutschen Krähen zu vertreiben“. Auch das ist politisch zu lesen.

Doch nicht er, sondern der vergleichsweise unpolitische Schweizer Autor Dieter Zwicky kann mit dem Kelag-Preis und einem Preisgeld von 10.000 Euro nach Hause fahren. Der 1957 geborene Züricher bezauberte die Jury mit seinem surrealen Beitrag „Los Alamos ist winzig“. Zufällig geht es auch hier um einen Ingenieur, diesmal einen Schweizer am Kernforschungszentrum in Los Alamos. Der verschweigt zwar seiner Frau, dass er den Krebs besiegt hat, nimmt das Leben im Übrigen aber sehr viel lockerer als Herr Gröttrup, auch wenn einen Los Alamos „schon ganz schön verschnupfen“ kann, wie es am Ende heißt. Der Text bezieht seinen Charme aus der unbändigen Fabulierlust Zwickys, die kein Zentrum kennt, nirgendwo hin(aus)läuft und zwischen Idylle und Apokalypse changiert. Stärke und Schwäche dieser literarischen Achterbahnfahrt (Juror Stefan Gmünder) ist: Sie hat keinen wirklichen Anfang und könnte auch immer so weitergehen. Nur Juryvorsitzender Hubert Winkels hatte keinen Sinn für diese „Sprachwucherung“, obwohl sie so schöne Wortneuschöpfungen wie „nervotisch“ hervorbrachte.

Eine eindeutige Sache bei der Abstimmung war der 3sat-Preis. Mit vier Stimmen errang die 1980 in Groß-Gerau geborene und in Berlin lebende Julia Wolf bereits beim ersten Durchgang die absolute Mehrheit. Schon nach der Lesung ihres Textes „Walter Nowak bleibt liegen“ gab es eine hohe Zustimmungsrate seitens der siebenköpfigen Jury. Tatsächlich zeichnet sich die Geschichte eines Machos mit verspäteter Midlife-Crisis, der seine sexuelle Spannkraft nicht verlieren will und deshalb täglich 1000 Meter schwimmt, durch sprachliche und stilistische Präzision aus. „Mein Gott, Walter“, ist man versucht, dem Helden zuzurufen, wenn er seine Runden durchs Wasser zieht und die Kontrolle über alles, insbesondere über die Frauen, behalten will – bis er unvermittelt mit dem Kopf an die Beckenwand stößt.

Publikumspreis für Stefanie Sargnagel

Der Publikumspreis ging wie erwartet an die 1986 geborene Wienerin Stefanie Sargnagel. Vielleicht geben ihre „Penne vom Kika“ das Lebensgefühl von heute etwa dreißigjähriger Frauen mit einer „Scheiß-drauf-Mentalität“ wieder, sprachlich und stilistisch waren sie aber doch zu schlicht, um Protest zu sein.

Die Jury hat in diesem Jahr jedenfalls ihre Hausaufgaben gemacht und für eine politisch korrekte alters- und geschlechtsmäßig paritätische Aufteilung der Kandidaten gesorgt; aber auch für provokante, rätselhafte, traditionelle, aufregende, durchschnittliche, perfekte und missglückte Texte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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