Mit Island verabschiedet sich das freundliche Gesicht dieser EM, längst hat das Sensationsteam mitsamt Anhang Kultstatus erreicht. Coach Lars Lagerbäck geht, Zahnarzt Heimir Hallgrímsson soll das Märchen weiterschreiben.
St. Denis/Wien. Die sozialen Netzwerke fanden im Aus von Island etwas Positives. Die Vestmannaeyjar, eine Inselgruppe vor der Südküste, hätten nun ihren Zahnarzt wieder, hieß es da. In den vergangenen drei Wochen war Heimir Hallgrímsson nämlich auf dem Kontinent damit beschäftigt, das isländische Fußballmärchen zu schreiben. Mit Lars Lagerbäck bildete er das Trainerduo jener Mannschaft, die Sportgeschichte schrieb und dabei zum Sympathieträger dieser EM wurde. In einem Turnier, das lange mit Terrorangst und Hooligans Schlagzeilen machte, sorgte Island für eine unerwartete Welle der Begeisterung. Erst im Viertelfinale gegen Frankreich endete die „wunderbare Reise“ (Lagerbäck).
Davor hatte die kleinste Nation, die je an einer Endrunde teilgenommen hat, erst Portugal (1:1) und Ungarn (1:1) überrascht, dann Österreich (2:1) und England (2:1) nach Hause geschickt. Dass Island sein Heil nicht in einer rücksichtslosen Offensive gesucht hat, wollte dem EM-Debütanten niemand übel nehmen. Defensivtaktik hin oder her: Im Gegensatz zu manch Halbfinalisten haben die Wikinger in jeder Partie getroffen.
Auch der Präsident trägt Trikot
Das größte Fußballspiel der isländischen Geschichte ging dann aber gegen Frankreich 2:5 verloren. „Wir haben unser Gehirn nicht eingesetzt“, meinte Lagerbäck. Spät, aber doch wurden den Inselkickern ihre spielerischen Grenzen aufgezeigt. Trotz des niederschmetternden 0:4 zur Halbzeit feierten die Anhänger im Stade de France ihre Auswahl, in der Fankurve fieberte der künftige isländische Präsident Guđni Jóhannesson – er wird sein Amt am 1. August antreten – im blauen Trikot mit. Die Mannschaft kämpfte bis zum Ende, Sigthórsson und Bjarnason gelangen noch zwei Ehrentreffer, Island verabschiedete sich würdig. „Diese Spieler hier haben vorgelebt, was der Geist Islands ist“, erklärte Hallgrímsson.
Nach einem Empfang Montagabend auf dem Hügel Arnarhóll, dem Public-Viewing-Treffpunkt in Reykjavík, geht es für die EM-Helden in den Urlaub, dann zurück zu ihren Klubs. Noch heißen diese Odense, Hammarby oder Charlton Athletic. Hallgrímsson aber ist überzeugt: „Isländische Spieler werden beliebter werden.“
Längst hat etwa der bärtige Kapitän Aron Gunnarsson mit seinen Einwürfen Kultstatus erlangt, ebenso wie TV-Kommentator Guđmundur Benediktsson. Sein Resümee: „Es ist schwierig, die EM im ersten Versuch zu gewinnen.“
Immerhin sechs Millionen Euro an Prämien bringt das Team zuzüglich Antrittsgeld (acht Millionen) nach Hause.
Nachdem das letzte „Hu“ im Stade de France verhallt war, verabschiedete sich der Schwede Lagerbäck nach viereinhalb Jahren von seinem Team. Hallgrímsson ist nun alleiniger Chef, in der WM-Qualifikation warten Kroatien, die Ukraine, die Türkei, Finnland und der Kosovo. Seine Zahnarztpraxis wird der 49-Jährige also aufgeben, während der EM hat bereits eine Vertretung Dienst getan.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2016)