Ein Himmelfahrtskommando in 10 Downing Street

Theresa May zieht in no10 Downing Street ein
Theresa May zieht in no10 Downing Street einimago (i Images)
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Die neue Regierungschefin muss den EU-Austritt abwickeln und einen Zerfall des Landes verhindern. Ziemlich viel. May ist noch die beste Wahl für den Job.

Die Umzugswagen waren noch nicht vorgefahren in 10 Downing Street, David Cameron hatte sich noch nicht mit Wortwitz aus dem Amt verabschiedet („Ich war einmal die Zukunft“), da ergossen sich bereits historische Vergleiche über die künftige Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Theresa May. Die einen sehen in ihr die Reinkarnation von Margaret Thatcher. Die anderen hielten sie für eine britische Version von Angela Merkel.

Parallelen zu Merkel gibt es zwar: Beide sind Pastorentöchter, pragmatisch und nüchtern. Inhaltlich hinkt der Vergleich aber: May zählt zu den scharfen Kritikern von Merkels Willkommenskultur, die 59-Jährige steht für eine harte Flüchtlings- und Einwanderungspolitik – und liegt damit auf einer Linie mit ihrem Inselvolk. Das ist ein unumstößliches Ergebnis des Brexit-Votums. May zog eine zweite Lektion aus dem Referendum: Sie rückte zuletzt die soziale Ungleichheit ins Zentrum einer Rede und damit ihre Partei ein Stück weit in Richtung Mitte. Ein kluger Schachzug.

Regierungschefin May ist die beste Wahl, die ihren Tories noch geblieben ist. Als laute EU-Kritikerin und auffallend leise Befürworterin eines EU-Verbleibs kann May nun die Parteiversöhnerin geben. Vielleicht hatte die ehrgeizige Realpolitikerin ja schon geahnt, dass es nach dem Votum eine Mittlerin an der Spitze brauchen würde – und sich deshalb zurückgehalten. Am Mittwoch machte sie überraschend den Brexit-Wortführer Boris Johnson zum Außenminister. In knappen Worten – „Brexit heißt Brexit“ – ließ May die Träume all jener „Bremain“-Befürworter platzen, die noch in der ersten Trauerphase feststecken: der Leugnung (des EU-Austritts).

May kündigte an, den Brexit zum Erfolg zu machen. Ein Erfolg wäre es freilich schon, den Schaden für die britische Wirtschaft zu beschränken. May will nun den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt und zugleich einen harten Einwanderungskurs, also ein Ende der Personenfreizügigkeit.

Das ist allerdings genau jenes A-la-Carte-Menü, das Brüssel wegen akuter Nachahmergefahr nicht anbieten möchte und das es deshalb wenn überhaupt nur sehr teuer geben wird. Der Brexit wird in jedem Fall ein Kraftakt, an dem sich Mays Regierung überheben kann: Im schlimmsten Fall müssen Dutzende Handelsverträge neu verhandelt, Zigtausende Gesetze geschrieben werden. Ein Verwaltungsaufwand, der eine Regierung lähmen kann.

Die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt wird aber ein harter Verhandler sein. Wer gestern die kurzweilige, rhetorisch brillante Debatte im Unterhaus verfolgte, bekam den Eindruck, die ersten Brexit-Wunden seien geleckt, die Politik strotze wieder vor Selbstbewusstsein. Auch May gilt als zäh. Sie saß als Innenministerin auf dem größten Schleudersitz, den die Insel zu vergeben hatte, und hielt sich dort länger als alle ihre Vorgänger in den vergangenen 50 Jahren. Die Frau hat also wirklich Durchhaltevermögen. Und sie wird es brauchen – auch an der innerbritischen Front.

Denn May muss nicht nur den EU-Austritt abwickeln, sondern auch den Zerfall des Vereinigten Königreichs verhindern. Das Gespenst eines Kleinbritannien wird sie begleiten, mit der selbstbewussten schottischen Premierministerin, Nicola Sturgeon, tut sich eine Rivalin im Norden auf. Zwei Würdenträgerinnen in Schottland und England, die sich uneins sind: Das ging schon einmal in der Geschichte schief, damals allerdings für die Schottin. Maria Stuart war ihr Name.

Vielleicht muss sich May mit all diesen Szenarien zunächst gar nicht herumschlagen. Der Ruf nach Neuwahlen hallt durch das Land. Seine Wortführer halten May deren eigene Aussagen aus dem Jahr 2007 vor. Damals kam es wie jetzt zum fliegenden Wechsel, Gordon Brown löste Premier Tony Blair ab. Und eine gewisse Theresa May verlangte Neuwahlen.

Von Blairs Labour-Partei ist heute nichts mehr übrig. Labour übt sich in Selbstzerfleischung mit einem politisch Untoten, Jeremy Corbyn, an der Spitze. Wer weiß? Vielleicht überdenkt May ihr Nein zu Neuwahlen noch.
Niemand sollte die neue Premierministerin unterschätzen, weder ihr Stehvermögen noch ihre Wendigkeit.

E-Mails an:juergen.streihammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2016)

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