Ende der Bleibegarantie als britisches Eigentor

Britain´s Foreign Secretary Johnson talks to Austrian Foreign Minister Kurz and Italian counterpart Gentiloni during an EU foreign ministers meeting in Brussels
Britain´s Foreign Secretary Johnson talks to Austrian Foreign Minister Kurz and Italian counterpart Gentiloni during an EU foreign ministers meeting in Brussels(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Von London angestrebte Einschränkungen beim Aufenthaltsrecht für EU-Bürger würde auch Briten in anderen EU-Ländern treffen. Johnson führte erste Gespräche in Brüssel.

Wien/Brüssel/London. Die Anreise in die EU-Hauptstadt verlief für den frischgebackenen Außenminister noch etwas holprig: Schon kurz nach dem Start in London musste das Flugzeug von Boris Johnson wieder umkehren, ein Problem mit der Hydraulik zwang den Piloten zur Notlandung. Besonders eilig hatte es der Brexit-Befürworter aber ohnehin nicht – ein für Sonntagabend geplantes Abendessen mit seinen 27 Amtskollegen zu den Folgen des britischen EU-Austritts war kurzfristig abgesagt worden. Einige Mitgliedstaaten hatten sich offenbar vehement gegen das Treffen ausgesprochen; war von EU-Seite doch mehrfach betont worden, dass es vor dem offiziellen Austrittsantrag nach Artikel 50 der Verträge keine Verhandlungen mit London geben werde.

Gespräche am Rande des Außenministerrats führte Johnson am Montag freilich trotzdem – und Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz (ÖVP), bezeichnete es aller Beteuerungen zum Trotz als „Selbstverständlichkeit“, mit britischen Regierungsvertretern schon jetzt informell über die weitere Zusammenarbeit zu diskutieren.

1,2 Mio. Briten im EU-Ausland

Die offiziellen Verhandlungen – sie dürften aller Voraussicht nach mit Jahresende starten – werden sich keineswegs einfach gestalten. Mit Johnson und dem Minister für die EU-Austrittsgespräche, David Davis, sitzen zwei erklärte EU-Gegner auf gewichtigen Posten in der Regierung von Premierministerin Theresa May. Davis hatte am Sonntag bereits erklärt, dass das EU-weit geltende, dauerhafte Aufenthaltsrecht für nach Großbritannien einreisende EU-Bürger schon vor dem Austritt nicht mehr gesichert sei. Jenen, die bereits jetzt im Land leben, solle „eine großzügige Einigung“ zuteilwerden. Selbiges wünscht sich der Tory-Politiker freilich für im EU-Ausland lebende Briten – doch dass Großbritannien auf weitreichende Zugeständnisse oder gar ein Opt-out beim freien Zugang zum Arbeitsmarkt hoffen kann, ist unwahrscheinlich.

Denn die Teilnahme am EU-Binnenmarkt mit seinen 500 Millionen Verbrauchern, die London ja weiterhin anstrebt, ist ohne die Personenfreizügigkeit nicht möglich – das hatten sowohl Ratspräsident Donald Tusk als auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker zuletzt mehrfach betont. Ausnahmeregeln soll es für London nicht geben. Hinzu kommt, dass die britische Regierung kaum Interesse daran haben dürfte, jene über eine Million Landsleute zu verstimmen, die bereits heute in anderen EU-Mitgliedstaaten leben und arbeiten. Für sie würde nämlich im Falle einer Nichteinigung mit Brüssel dasselbe gelten wie für EU-Ausländer in Großbritannien: große Unsicherheiten der rechtlichen Situation sowie sozial- und aufenthaltsrechtlicher Regelungen bis hin zum völligen Erlöschen ihrer Bleibegarantie.

Viele Briten, die in anderen EU-Mitgliedstaaten leben, spielen deshalb schon jetzt mit dem Gedanken, die Staatsbürgerschaft ihres Gastlands rechtzeitig vor dem Austritt zu beantragen. Die meisten Auslandsbriten befinden sich derzeit übrigens in Spanien, gefolgt von Irland (siehe Grafik). In Österreich wohnen rund 10.000 britische Staatsbürger.

London will alles daransetzen, gleichzeitig das Versprechen der Brexit-Befürworter einer Zuwanderungsbeschränkung umzusetzen und rechtliche Sicherheit für die eigenen Landsleute im EU-Ausland zu schaffen – aus heutiger Sicht ein unmögliches Unterfangen. Um die Stimmung in den wichtigsten EU-Partnerländern auszuloten, wird Premierministerin May schon in dieser Woche nach Berlin und Paris reisen. Am Mittwoch ist ein gemeinsames Abendessen mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, geplant, am Donnerstag reist May zu einem Treffen mit François Hollande.

Zuwanderung in die Schweiz

Die anstehenden Brexit-Gespräche dürften indes auch Auswirkungen auf die Verhandlungen über eine Drosselung der EU-Zuwanderung in die Schweiz haben, wie Juncker in einem Gespräch mit Bundespräsident Johann Schneider-Ammann andeutete. Bern hatte eine Einigung bis zum Sommer angestrebt, nun sollen die nächsten Gespräche erst im September stattfinden. Die „Masseneinwanderungsinitiative“ der SVP muss bis Februar 2017 umgesetzt sein. Gibt es bis dahin keine Einigung mit Brüssel, will die Schweiz den Zuzug notfalls auch ohne Zustimmung der EU drosseln – was alle Verträge mit der Union gefährden würde. (aga/ag.)

(C) DiePresse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2016)

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