Von Unglücksraben und Kameradenmördern

In der Debatte „Rehabilitierung für NS-Deserteure“ wird dumm argumentiert – und leider parteipolitisch agiert.

Der Titel Unglücksrabe der Woche geht klar an VP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer. Der wurde von der Austria Presse Agentur zum Thema Rehabilitation der NS-Deserteure befragt und redete sich um Kopf und Kragen. „Wenn man jetzt von Lücken spricht, dann muss man sich sehr gut anschauen, ob es tatsächlich eine Lücke ist oder ein Einzelfall“, sagte er. Er sei dagegen, sämtliche Urteile aus der NS-Zeit pauschal aufzuheben. Und um den Fettnapf wirklich auszufüllen, fügte er den schönen Satz hinzu: „Man soll sich das ansehen, aber Desertion ist ein Delikt, das es nach wie vor gibt.“ Was der sensible VP-Edelredner noch sagte, ging in der medialen Wahrnehmung unter: Man müsse sich ansehen, ob verurteilte Deserteure abgesehen von der Fahnenflucht noch andere Delikte – etwa Gewaltdelikte – begangen hätten. Vor allem: „Dass Widerstand gegen ein Unrechtsregime in Ordnung ist, darüber besteht im Prinzip kein Zweifel“, so der VP-Justizsprecher.

Vielleicht hätte er das am Anfang sagen sollen. Denn, ja, Desertion ist noch ein Delikt, wenn es laut Auskunft des Bundesheeres auch nicht sehr viele begehen. Aber wie Andreas Koller in den „Salzburger Nachrichten“ knapp festhielt: Auch Bombenlegen ist ein Delikt. Womit Herr Donnerbauer Claus Schenk Graf von Stauffenberg offenbar auch nicht pardonieren würde. Und ebenso nicht den beinahe gesamten Widerstand gegen Hitlers NS-Reich.

Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei Donnerbauer aber hoffentlich nur um einen verbalen Tollpatsch, der mit heiklen Themen in Zukunft am besten so verfährt, wie es ihm leider schwerfällt: mit Nachdenken und/oder Schweigen. Andreas Khol stellte jedenfalls sofort klar, er sei davon „überzeugt“, dass die ÖVP einlenken und die Lücke im Gesetz geschlossen werde. Khols Argumentation ist klar: Da die NS-Gerichtsbarkeit nie Recht, sondern Unrecht gewesen sei, seien Deserteure Opfer und würden daher etwa auch durch den österreichischen Nationalfonds so behandelt. Khol verwies im „Club 2“ am Mittwochabend sogar auf einen Entschließungsantrag aus dem Jahr 2005 als mögliches Instrument zur Umsetzung einer solchen echten Rehabilitation nach deutschem Vorbild. Der Antrag wurde verworfen, weil sich der damalige VP-Koalitionspartner FPÖ geweigert hatte und es der ÖVP um einen Kompromiss gegangen war.

Denn, und darum geht es Ex-Nationalratspräsident Khol dieser Tage wohl auch: VP-Abgeordnete wie Donnerbauer riskieren mit solchen Wortmeldungen dank Fehlens jeglichen Gespürs, was ihre Kollegen von SPÖ und Grünen mit kleiner strategischer Bosheit gerne hätten: das Vergessen, dass ausgerechnet die Koalition aus ÖVP und der FPÖ unter Wolfgang Schüssel und Susanne Riess-Passer die wichtigste symbolische, aber auch finanzielle Geste gegenüber den NS-Opfern gesetzt hat. Die Entschädigungszahlungen für ehemalige Sklavenarbeiter, die vorwiegend aus osteuropäischen Ländern stammten, und das Washingtoner Abkommen, das die Abgeltung für NS-Raub und die teilweise Restitution Österreichs leider zu kompliziert fixierte, waren der vielleicht größte, auf jeden Fall unumstrittene Erfolg der Regierung Schüssel.

Dass die Anstrengung dafür leichter fiel, weil man sich aus dem rechtsextremen Eck Europas manövrieren wollte, kann zwar sein, ändert aber nichts an den Folgen: eine wichtige Geste für die Opfer durchzusetzen. Die Sozialdemokraten hatten sich zuvor nicht getraut, aus Feigheit und Angst vor Unruhe und Kritik in ihrer Wählerschaft, die gerade in Scharen zu Jörg Haider überlief. Wenn man sich Partei und Aussagen eines Martin Graf vor Augen führt, erscheint die Achtung vor der internen Überzeugungsarbeit Riess-Passers und einiger der späteren BZÖ-Gründer noch größer. Doch selbst in dieser fast ideologiefreien, weil regionalpolitischen Kärntner Splittergruppe konnte 2005 ein besonderes Exemplar namens Siegfried Kampl, als Bundesrat sonst fern jeder Wahrnehmung, einen Teil der Wehrmachtsdeserteure „Kameradenmörder“ nennen. Ob er damit Menschen wie H. C. Artmann, Oskar Werner und Christoph Schönborns Vater meinte, wissen wir nicht.

Eine Strafbestimmung dient vor allem auch der Prävention, sie soll den Täter von der Wiederholung seiner Tat und andere von der Nachahmung abhalten. Demnach kann man diese Urteile aus der NS-Zeit aufheben. Die Gefahr, dass deswegen im Bundesheer Desertionen zunehmen oder die Moral der Truppe (noch stärker) leidet, ist nicht vorhanden. Eine pauschale Rehabilitierung der Deserteure nach deutschem Vorbild ist eine Geste, die moralisch anständig und rechtspolitisch unproblematisch ist. Dagegen spricht nichts, dafür aber alles.


rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2009)

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