Wehrmachts-Deserteure kritisieren "halbherzige Rehabilitierung"

Erst 2005 wurden Deserteure mit anderen NS-Opfern gleichgestellt. Eine explizite Aufhebung der Militärgerichtsurteile gab es aber nicht.

Anlässlich des 70. Jahrestags des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs beleuchtet eine Ausstellung in Wien das Schicksal der Wehrmachts-Deserteure. Mit ihrer "halbherzigen Rehabilitierung" vor vier Jahren  sind die Organisatoren nicht zufrieden. Ausstellungs-Organisator Thomas Geldmacher forderte bei einer Pressekonferenz am Dienstag die gesetzliche Aufhebung der Urteile der NS-Militärgerichte, die rasche Bearbeitung von Anträgen auf Opferfürsorge und die offizielle Würdigung der Deserteure mit einem Denkmal.

Während die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg nur 18 vollstreckte Todesurteile wegen Desertion registrierte, wurden von den NS-Militärgerichten zwischen 1939 und 1945 rund 15.000 "Deserteure" zum Tod verurteilt und hingerichtet. Für Geldmacher stehen die Wehrmachts-Deserteure an einer "Sollbruchstelle der österreichischen Lebenslüge nach 1945": Wäre Österreich tatsächlich, wie offiziell behauptet, das erste Opfer Hitler-Deutschlands gewesen, dann wäre die Wehrmacht eine "Okkupationsarmee" und Desertion "erste Bürgerpflicht" gewesen. Tatsächlich hatten die Überlebenden nach 1945 allerdings mit Vorurteilen und Feindseligkeit zu kämpfen.

"Wir waren die Feiglinge", schilderte der 1922 geborene, in Prag aufgewachsene Österreicher Richard Wadani die Stimmung nach seiner Rückkehr. Er war 1944 in Frankreich aus der Wehrmacht desertiert und musste sich, 1946 in britischer Armeeuniform zurückgekehrt, am Arbeitsamt den Vorwurf anhören, "in einer fremden Armee zu dienen".

Langes Warten auf Anerkennung

Auf ihre Anerkennung als NS-Opfer mussten die Wehrmachtsdeserteure lange warten. Noch 2002 hatte FP-Sozialminister Herbert Haupt die Anerkennung ihrer Haftzeiten in der Pensionsversicherung abgelehnt, weil Fahnenflucht ja auch in der Ersten Republik strafbar gewesen wäre. Erst mit dem "Anerkennungsgesetz 2005" wurden Deserteure sozialrechtlich den anderen Opfergruppen gleichgestellt. Eine explizite Aufhebung der Militärgerichtsurteile erfolgte allerdings nicht - stattdessen wurde die 1945 und 1946 beschlossene "Befreiungsamnestie" neu veröffentlicht.

Für Geldmacher ist das zu wenig. "Amnestiert kann logischerweise nur werden, wer vorher Unrecht begangen hat", so der Obmann des "Personenkomitees Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz".

Die Ausstellung "Was damals Recht war" im Wiener "Theater Nestroyhof Hamakom" schildert nicht nur das System der NS-Militärjustiz, sondern auch Schicksale von 15 Deserteuren. Ebenfalls vorgestellt werden Richter wie der Niederösterreicher Leopold Breitler: Der christlichsoziale Politiker hatte sich nahtlos in die NS-Militärjustiz integriert und im Herbst 1944 20 Soldaten wegen "Selbstverstümmelung" zum Tod verurteilt. Die jungen Soldaten wurden am Gelände des heutigen Donauparks erschossen. Breitler wurde nie belangt. Er arbeitete von 1946 bis 1963 als Rechtsanwalt in Wien.

(APA)

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