Kern: Türkei-Deal hängt nicht an Beitrittsverhandlungen

APA/HARALD SCHNEIDER
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"Wenn dieser Deal an der Illusion von Beitrittsgesprächen hängt, dann haben wir sowieso ein großes Problem", so Bundeskanzler Kern.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) will statt EU-Beitrittsverhandlungen Gespräche mit der Türkei über andere Kooperationsformen beginnen. Auf den Flüchtlingsdeal mit der Türkei hätte der von ihm geforderte Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen keine Auswirkungen, solange wir in einer neuen Form weiter Gespräche führen, meinte Kern im APA-Interview.

Kern geht davon aus, dass auch die Türkei großes Interesse daran hat, den Flüchtlingsdeal mit der EU beizubehalten, weil sie sonst die Gesamtkooperation infrage stellen würde. "Wenn dieser Deal an der Illusion von Beitrittsgesprächen hängt, dann haben wir sowieso ein großes Problem", meinte der Bundeskanzler.

"Neue Form der Zusammenarbeit" nötig

Kern rief dazu auf, einen Weg der Kooperation in der Wirtschafts-, Sicherheits- und Migrationspolitik mit der Türkei festzulegen, "der auch von Realitätssinn getragen ist". "Solange wir an der Fiktion der Beitrittsverhandlungen festhalten, nützen wir nicht die Zeit, um neue Form der Zusammenarbeit entwickeln", meinte der Bundeskanzler. Mit Türkei-Bashing habe das nichts zu tun. Auf EU-Ebene werde man zur Forderung nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen nun eine Initiative vorbereiten, die im Vorfeld mit anderen Regierungen abgestimmt werde, kündigte Kern an.

Die Hypothese, dass man über einen Verhandlungsprozess die Türkei stärker an Europa binden kann, habe sich "als falsch" herausgestellt. In diesem Zusammenhang wies Kern auch die Kritik von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an seiner Forderung nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen zurück. Er sehe keinen Sinn darin, wenn Junker sage, man müsse Verhandlungen führen, aber die Türkei werde nicht beitreten. Hier wünscht sich Kern "deutlich mehr Klarheit". An der Fiktion von Beitrittsverhandlungen festzuhalten führe "zu gar nichts, außer dass uns die Leute fragen, ob wir noch ernst zu nehmen sind, ob wir das Eintreten für Demokratie, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit überhaupt noch ernst nehmen".

Nutzung des Ausnahmezustands "problematisch"

Kern bekräftigte, dass Österreich den Putschversuch in der Türkei "mit aller Vehemenz" verurteilt und kein Verständnis und keine Sympathien für den Prediger Fethullah Gülen habe, den die türkische Führung für den Putschversuch verantwortlich macht. Er verstehe auch die Verhängung des Ausnahmezustandes, betonte der Bundeskanzler, wie dieser aber genutzt werde, sei "problematisch".

Den Vorwurf, mit seiner Forderung nach Abbruch der Beitrittsverhandlungen Öl ins Feuer gegossen zu haben, kann Kern "ganz und gar nicht" nachvollziehen. Auch dass er aus innenpolitischen Überlegungen gehandelt habe, sei ein "falscher" Vorwurf. Zur aufgeheizten Stimmung in der türkischen Gemeinschaft in Österreich hielt Kern fest, dass die Menschen ihre Meinung ausdrücken könnten, auch wenn das nicht gefalle. Umgekehrt müssten aber die westlichen Werte akzeptiert werden - keine Gewalt, auch nicht in der Familie, keine Frauendiskriminierung, und die Religion müsse sich aus der Politik heraushalten.

Zum Wahlkampf in den USA meinte der Bundeskanzler, dass eine Wahl Donald Trumps zum Präsidenten für die Sicherheit Europas "keine gute Lösung" wäre. Kern verwies darauf, dass der US-Präsident die Macht über den roten Knopf für die Atomwaffen habe. Deshalb könne man sich dort nur jemanden wünschen, der eine ausgewogene, ruhige und nicht zum Hasard neigende Art habe. Wer die Vereinigten Staaten von Amerika anführe, beeinflusse die Entwicklung auch in Europa nachhaltig, betonte Kern.

(APA)


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