Der 19-jährige Joshua Wong, der zum Gesicht der Hongkonger Demokratiebewegung wurde, kommt bei seinem Prozess ohne Vorstrafe davon. Offenbar ist die Justiz der Finanzmetropole noch nicht unter Pekinger Kontrolle.
Peking. Mental hat sich Joshua Wong bereits auf einen Gefängnisaufenthalt eingestellt. Der 19-Jährige hat zwar gewusst: Lang würde die Haft nicht dauern; das hat ihm sein Anwalt zugesichert. Und anders als in China funktioniert in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong das unabhängige Rechtssystem auch noch.
Zusammen mit Nathan Law und Alex Chow, den anderen beiden Studentenführern, war er am 26. September 2014 über die Polizeiabsperrung auf dem Tamar-Platz geklettert und hatte den Vorhof des Hongkonger Regierungssitzes besetzt, um ihrer Forderung nach mehr Demokratie und Unabhängigkeit von Peking zum Ausdruck zu bringen. Ihre bewusste Gesetzesüberschreitung bildete den Auftakt der prodemokratischen Occupy-Proteste. Mit zeitweise über Hunderttausend Teilnehmern legten die Aktivisten in den nächsten zwei Monaten immer wieder Teile der Finanzmetropole lahm. Alle drei waren im Juli wegen „illegaler Versammlungen“ auch schon für schuldig befunden worden. Maximal zwei Jahre Haft hätte ihnen gedroht.
Doch das Gericht zeigte sich von seiner eher milden Seite. Es legte am Montag ein Strafmaß von 80 Sozialstunden für Joshua Wong fest. Sein Mitstreiter Nathan Law (23) muss 120 Stunden Sozialdienst leisten, Alex Chow erhält eine dreiwöchige Haftstrafe auf Bewährung. Ohne Vorstrafe kann Law damit auch an den Anfang September stattfindenden Wahlen des Hongkonger Parlaments als Kandidat antreten. Law und Wong sind beide Mitglied der neu gegründeten Partei Demosisto, die für Hongkongs Unabhängigkeit kämpft.
Das Urteil hat Symbolwirkung. Denn der redegewandte Wong, der bereits mit 14 Jahren erste Proteste organisiert hatte, war das Gesicht der Hongkonger Occupy-Bewegung: ein damals 17-Jähriger, der der mächtigen Führung in Peking die Stirn bietet und für die größten Proteste seit der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an die Volksrepublik 1998 sorgt. Wäre er zu einer Haftstrafe verurteilt worden, wäre das ein Indiz dafür, dass nicht nur Hongkongs Regierung, sondern auch die Justiz in vorauseilendem Gehorsam dem Willen des Regimes in Peking folgt.
Richterin zeigte Verständnis
Doch immerhin die Hongkonger Justiz scheint sich ihre Unabhängigkeit bewahren zu wollen. Richterin June Cheung hob bei der Urteilsverkündung sogar die ehrenwerten Absichten der drei verurteilten Aktivisten hervor. Den dreien sei sehr an der sozialen und politischen Entwicklung Hongkongs gelegen, stellte die Richterin fest. Sie hätte es zudem als „unfair empfunden, auf Grundlage der politischen Atmosphäre eine abschreckende Strafe zu verhängen“.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren dennoch das Verfahren gegen Wong und seine Mitstreiter. „Friedliche Proteste sind kein Verbrechen“, betonte Sophie Richardson von Human Rights Watch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2016)