Erdoğans umstrittene islamistische Freunde

Unterstützung für Erdoğan. Eine Anhängerin der Hamas im Gazastreifen bei einer Solidaritätskundgebung für den türkischen Präsidenten.
Unterstützung für Erdoğan. Eine Anhängerin der Hamas im Gazastreifen bei einer Solidaritätskundgebung für den türkischen Präsidenten.(c) APA/AFP/MAHMUD HAMS
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„Plattform Türkei“. Ein deutsches Regierungspapier schürt Spannungen zwischen Berlin und Ankara. Wie steht die Türkei zu Jihadisten, Hamas und Muslimbrüdern?

Kairo/Ankara. Die türkische Regierung reagierte erbost: Die Behauptungen seien ein „neuer Beweis für die verdrehte Einstellung, mit der seit einiger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben“, teilte am Mittwoch das türkische Außenamt mit. Grund für den Protest aus Ankara: Am Dienstag hatte der deutsche TV-Sender ARD eine interne Mitteilung des deutschen Innenministeriums veröffentlicht. Darin bezeichnet das Ministerium die Türkei unter Berufung auf den Bundesnachrichtendienst BND als „zentrale Aktionsplattform“ für Islamisten im Nahen Osten. Berlin versuchte am Mittwoch, die Wogen zu glätten. Regierungssprecher Steffen Seibert bekräftigte, die Türkei sei weiterhin Partner im Kampf gegen die Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS) und beim EU-Flüchtlingsabkommen. Der Vorfall stellt aber die ohnehin sehr angespannten türkisch-deutschen Beziehungen weiter auf die Probe.

In dem vertraulichen Ministeriumspapier, das die ARD veröffentlichte, werden in Zusammenhang mit der Türkei „Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien“, die islamistische Palästinenserorganisation Hamas und die Muslimbruderschaft in Ägypten genannt. Zu allen diesen Organisationen unterhielt die türkische Regierung wechselhafte Beziehungen.

Syriens Jihadisten. Oberstes Kriegsziel Ankaras in Syrien war stets der Sturz des Machthabers, Bashar al-Assad. Jahrelang duldete die Türkei den Zustrom von Jihadisten aus aller Welt in das Nachbarland. Jeder, der gegen den Diktator von Damaskus kämpfen wollte, galt als willkommen. Die 100 Kilometer lange Grenze zwischen dem „Kalifat“ des IS und dem Nato-Mitglied war praktisch offen, der Schmuggel von Waffen, Geld, Antiquitäten und Lebensmitteln kein Problem. Erst nach den vier Terroranschlägen des Islamischen Staats in Istanbul, der letzte auf den Flughafen mit 45 Toten, begann Ankara umzusteuern. Durchreisende Jihadisten wurden abgefangen und abgeschoben. Nach dem russisch-türkischen Versöhnungsgipfel in St.Petersburg Anfang August bot der türkische Premier, Binali Yildirim, Moskau sogar eine Kriegsallianz gegen den IS an.

Ähnlich schwankend ist auch das Verhältnis Ankaras zur al-Nusra-Front, die sich Ende Juli zwar offiziell von al-Qaida losgesagt hat, aber im Westen als Terrororganisation gilt. Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, nahm die Jihadisten kürzlich in einem Interview in Schutz: „Angesichts der Tatsache, dass al-Nusra auch gegen den IS kämpft, sollte sie nicht als Terrororganisation eingestuft werden“, erklärte er.

Palästinensische Hamas. 1950 erkannte die Türkei als erster islamischer Staat die Existenz Israels an und pflegte über Jahrzehnte ein gutes Verhältnis zu Israel. Türkische und israelische Truppen hielten regelmäßig gemeinsame Manöver ab. Im Mai 2008 begann die Türkei sogar, indirekte Friedensgespräche zwischen den beiden benachbarten Erzfeinden Israel und Syrien zu vermitteln.

2006 übernahm die Hamas im Gazastreifen die Macht, danach folgten 2009 und 2012 zwei verheerende Kriege zwischen den Islamisten und Israel. Ausgelöst durch die massiven israelischen Luftangriffe begann sich in der politischen Führung der Türkei das Blatt zu wenden. 2010 wurde eine türkische Hilfsflotte, die die Seeblockade der palästinensischen Enklave brechen wollte, von der israelischen Marine aufgebracht. Dabei starben neun türkische Aktivisten, was eine sechsjährige diplomatische Eiszeit auslöste. Erst vor zwei Monaten wurde die Krise mit einem Kompromiss beigelegt, den das türkische Parlament noch ratifizieren muss.

Demnach bleibt die Blockade des Gazastreifens durch Israel bestehen, die Türkei kann jedoch künftig humanitäre Hilfe für die 1,5 Millionen eingepferchten Bewohner leisten. Lieferungen aus der Türkei müssen im Hafen von Aschdod gelöscht und von dort auf dem Landweg nach Gaza transportiert werden. Obendrein will Israel den Angehörigen der getöteten türkischen Aktivisten 20Millionen Dollar Schadensersatz überweisen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Türkei, alle laufenden und künftigen Klagen gegen israelische Soldaten zu annullieren.


Ägyptens Muslimbrüder. Türkische Staatschefs machten um Ägypten stets einen großen Bogen. 15 Jahre lang herrschte Funkstille, bis Präsident Hosni Mubarak schließlich vom Arabischen Frühling hinweggefegt wurde. Danach ließ sich Erdoğan 2011 und 2012 gleich zwei Mal in Kairo blicken, dem traditionellen Hauptrivalen im Ringen um die machtpolitische Vorrangstellung im Nahen Osten. Mit der Wahl von Mohammed Mursi zum ägyptischen Staatschef wurde das Verhältnis rasch enger. Ankara empfing den Muslimbruder im September 2012 zu einem pompösen Staatsbesuch und sagte ihm zwei Milliarden Euro als Finanzhilfen zu. Qatar steuerte weitere fünf Milliarden bei. Beim Gegenbesuch in Kairo hatte Erdoğan zehn Minister und 350 türkische Geschäftsleute in seinem Tross, die sich von dem politischen Neuanfang auch eine Belebung der dürftigen Handelsbeziehungen erhofften. Und so traf Ankara der Sturz Mursis im Juli 2013 durch das Militär wie eine kalte Dusche.

Wortgefechte mit Ägyptens Staatschef

Wütend beschuldigte Erdoğan Israel, hinter dem Putsch zu stecken, was Israel als „absurd“ und die USA als „anstößig, unbegründet und falsch“ zurückwiesen. Mit der neuen ägyptischen Führung unter Ex-Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi liefert sich Erdoğan regelmäßig heftige Wortgefechte und hat vor allem die drakonische Unterdrückung der Muslimbrüder angeprangert.

Zuletzt gab es aber wieder sanftere Töne: Man könne sich vorstellen, das Verhältnis in normale Bahnen zu lenken, hieß es in Ankara. Voraussetzung sei, dass der zum Tode verurteilte Mursi nicht hingerichtet werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2016)

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