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Frequency: Die feinste Seide im heutigen Pop

FREQUENCY 2016 - KONZERT: BILDERBUCH
FREQUENCY 2016 - KONZERT: BILDERBUCH(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Der Eröffnungstag brachte mehr Highlights als das Frequency-Festival 2015 in drei Tagen. Bilderbuch, M83 und Damian Marley entzückten am nachhaltigsten.

Die kleinen Mädchen wacheln tapfer mit ihren auf FM4-Schilder gekritzelten Bekenntnissen, illuminierte Jungmänner in Tierkostümen tanzen Pogo, schütten einander mit bacherlwarmem Bier an: Die Verhaltensweisen beim Frequency sind erschreckend vorhersehbar. Aber entgegen den Vermutungen vieler Altvorderer suchten heuer viele Youngster durchaus den Rausch der Klänge. Etwa bei der französischen Synthiepopband M83, die seit einigen Jahren in L.A. residiert, wo sie 2013 auch den Soundtrack zum Science-Fiction-Film „Oblivion“ erstellt haben. Im All, da kennen sie sich halt aus, haben sie sich doch nach einer Galaxie benannt. Ihre Musik ist selbstverständlich spacig wie nur was. Franzosen beherrschen es eben perfekt, eigentlich uncoole Sounds in etwas Hippes zu verwandeln.

Bereits der mysteriös groovende Opener „Reunion“ löste Jubel aus. „You came out of nowhere, stealing my heart and brain, flaming my every cell, you make me feel myself“: Hier lockte die Ahnung, dass mit der Zerstörung des Ich womöglich die eigentliche Existenz beginnen könnte. Auch im schwärmerischen „Steve McQueen“ ging es um Verwandlung, um Schlaf, der auf einer verletzlichen Erde unverletzlich macht: „The world is a goldmine, that will melt tomorrow.“ Dazu heulten imaginäre Chöre und Synthiemotive um die Wette. Bei „Midnight City“ brachen beim glühenden Saxofonsolo alle Dämme: Die musikalische Überhöhung des grundsätzlich dunklen Seinsgefühls von M83 endete verlässlich in Euphorie.

Ganz anders bei der britischen Band Bastille: Großbritannien, das Mutterland der modernen Popmusik, bringt neben Genialem leider auch viele charismafreie Rockbands hervor. Doch ein Teil des partyversessenen Frequency-Publikums war sogar für die stereotypen Reize von Bastille empfänglich.

Elegant zwischen Ratio und Instinkt

Als dann der wunderbar blasiert wirkende Maurice Ernst, Sänger von Bilderbuch, an seinem Unterhosengummi zu zupfen begann, war wieder alles gut. „Sag es laut! Du bist hinter meinem Hintern her . . .“ Die Gitarre spuckte sägende Geräusche, der Bass fuhr in die Magengrube, die Keyboards quietschten metallisch beim grandiosen Opener „Schick Schock“. Mit spastischer Gestikulation, scharfem Falsettgesang und unschuldigem Häschenblick eroberte Ernst das Publikum im Sturm. Beim famos klappernden „Rosen zum Plafond“ forderte er das Publikum zum Liebesstöhnen auf: Wildes Geheul brach los.

Keine andere Band in diesem Land changiert so elegant zwischen Ratio und Instinkt wie Bilderbuch. Lieder wie „Feinste Seide“ und „Barry Manilow“ behalten immer einen Rest an Geheimnis und bleiben somit attraktiv. „Softdrink“, bei dem Lukas König den Gastrapper gab, „Plansch“ oder „Maschin'“ – die Fans rasteten verlässlich aus.

„Jede Branche hat ihr Doping“, meinte Maurice Ernst im Intro von „Spliff“. Reggae- und Raggamuffin-Star Damian Marley wurde konkreter: „Austria, do you love marijuana?“ Da war das farbige Tuch mit dem abessinischen Löwen schon längst hoch in der Abendluft: Auf der Bühne schwenkte ein muskulöser, wohl vom Arbeitsamt vermittelter Herr fidel die Fahne. Das patriotische Fetzerl fungierte gleichzeitig als Klimaanlage für den erfolgreichsten Sohn Bob Marleys. Textlich nimmt der von Geburt an Gutgestellte entschlossen die Ghetto-Perspektive ein, klagt Gewalt, Unwissenheit, ungerechte Wirtschaftsverhältnisse und zynische Politik an. Obwohl von seinem musikalischen Ansatz her auf Beats zentriert, verwöhnte er mit überraschend nuanciertem Gesang. Die Silben endeten rau, die Vokale verschliff er hell. Mühelos wechselte er zwischen Ragga-Chants und Reggae-Schönklang, zelebrierte mit „War“ und „Could You Be Loved“ beseelt das Erbe seines Vaters. Seine eigenen Stücke wie das sehnsuchtsvolle „Road to Zion“ oder das wüste „Make It Bun Dem“ überzeugten nicht minder. Lang nachhallendes Highlight war die Schlussnummer, das gewaltig groovende „Welcome to Jamrock“. Da lugten selbst die strengen Herren der Security verstohlen zu ihm hinauf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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