Pop

Milch, Honig und auch etwas Gift

FREQUENCY 2016 - KONZERT: PAROV STELAR
FREQUENCY 2016 - KONZERT: PAROV STELARAPA/HERBERT P. OCZERET
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Bargeld gab es keines heuer beim Frequency-Festival in St. Pölten. Dafür eine eklektische Mischung aus krachigem Rock, bayrischem Indie-Pop und Dancefloor-Swing.

In einer vom Fortschrittswahn geprägten Welt ist es mutig zu versuchen, die Uhr zurückzustellen und zu reflektieren, was die Popmusik an Charme und Melodie verloren hat. Alex Turner und Miles Kane, Sänger von erfolgreichen Bands wie den Arctic Monkeys und den Rascals, wagten das und umgingen dabei das den zeitgenössischen Pop prägende Gebot der Effizienz großzügig. Wenigstens auf ihren beiden unter dem Signet The Last Shadow Puppets erschienenen, schwelgerischen Alben: Nicht weniger als 29 Köpfe umfasste das vom auch für Arcade Fire tätigen Kanadier Owen Pallett dirigierte Orchester.

Bei ihrem fantastischen Auftritt bei Frequency waren die Last Shadow Puppets etwas bescheidender. Kein Orchester, dafür eine höchst effektive weiblich besetzte Streicherabteilung, die die Songs dramatisch aufbauschte. Mühelos verbanden sie die das erste Werk dominierende Sechzigerjahre-Ästhetik à la Scott Walker mit dem Siebzigerjahre-Schmalz des zweiten Albums „Everything You've Come to Expect“. Auch wenn sie sich älterer musikalischer Formeln bedienen, Nostalgieunternehmen sind sie keines. Da mag die Musik noch so sehr Vergleiche mit Burt-Bacharach- und Phil-Spector-Produktionen provozieren, die Texte führen in eine Spirale sehr heutiger Gequältheiten. Die ziemlich giftig klingen. „Gimme all your love so I can fill you up with hate“, hieß es etwa in „Used to Be My Girl“. Auch im von Knackbass und Kratzgeige dominierten „Bad Habits“ lagen tiefblaue Schatten über dem Zwischenmenschlichen: „Should've known, little girl, that you'd do me wrong.“ Miles Kane, angetan mit einem Zuhälterschlafmantel und reichlich Goldketterln, und Alex Turner, mit frisch gefettetem Haupthaar, sangen hier in intimstem Unisono. Es sah fast so aus, als küssten sie einander. Ein schöner Anti-Rock-Moment!

So liebenswert diese Kameraderie auch anzusehen war, sie erinnerte schmerzlich daran, dass bei Frequency stets viel zu wenig Frauen auftreten. Mit seinem butterweichen Gesang schien Alex Turner diesen Missstand kompensieren zu wollen. In ihm lag etwas Irritierendes, als er „Miracle Aligner“ vortrug. Noch aufwühlender war „My Mistakes Are Made for You“: ein Lied, wie dazu angetan, Dämonen zu wecken. Bald bohrten sich „Dracula Teeth“ ins Fleisch, bald kroch in „Meeting Place“ Kälte aus dem Herzen: „I'm sorry, I met you, darling.“ Offenbar ganz nach dem Motto „Das Gute ist der Feind des Besseren“, das Turner auf seinem T-Shirt kommunizierte: „Zur Hölle mit Rindfleisch, wenn auch Hummer zu haben ist.“

Aus den Höhen dieser kulinarischen Metapher in die Niederungen gewöhnlichen Hungers stürzend, quälte heuer beim Festival eine neue Zumutung: der Zwang zum bargeldlosen Zahlen. Nicht alles, was vorgibt, Fortschritt zu sein, ist auch einer. Dass man sich eine Art festivalinterne Kreditkarte lösen muss (mit einem Einsatz von fünf Euro), führt nur zu noch mehr Unübersichtlichkeit und einem Mehraufwand an Anstellen.

Wunderrapper. Geduld war auch vor dem Konzert des kalifornischen Wunderrappers Anderson Paak vonnöten. Der Andrang in der kleinen Weekender Halle war größer, als die Veranstalter erwartet hatten. Der Mann, der 2011 samt Frau und Kind obdachlos war, zählt zu den größten Hoffnungen des amerikanischen R&B. Mit seinem hintersinnigen Album „Malibu“ beeindruckte er schon, spätestens seine Beiträge auf Dr. Dres Bestselleralbum „Compton“ machten ihn berühmt. Das Charisma seiner Stimme, artifiziell und soulful zugleich, ließ die Fans in der heißen Halle sofort euphorisch werden. „Lots of white people, that's funny“, meinte Paak zu Beginn schelmisch. Mit „Milk 'n' Honey“ gab er sich zunächst als quecksilbriger Rapper. Dann setzte er sich hinter das Schlagzeug und sang wie eine unheilige Mischung aus Curtis Mayfield und David Bowie. Aus seiner Band, den Free Nationals, ragt der Wah-Wah-Gitarrist José Rios mit seiner sensiblen Spielweise hervor. Mit Ohrwürmern wie „Heart Don't Stand a Chance“ und „The Waters“ brachte man das Publikum zur Raserei.

Gesitteter ging es dann bei den Sportfreunden Stiller zu, die seit Jahrzehnten mit dem Versuch nerven, bayrische Entspanntheit zur Alternative-Lebensphilosophie zu stilisieren. „Applaus Applaus“ heißt eine ihrer Hymnen, viel Beifall gab es allerdings auch für die entschieden weniger politisch korrekte Band Fat White Family. Mit Songperlen wie „I Am Mark E. Smith“ und „Is it Raining in Your Mouth?“ machten sie die wildere Fraktion ganz wurlert.

Das Finale des zweiten Frequency-Tages gehörte dem Dancefloor. Rudimental, ein Künstlerkollektiv aus Londons wildem Osten, brachte eine Vielzahl an Vokalisten und mild peitschenden Basslinien. Ein Highlight war „Rumour Mill“, ein laszives Stück Garage House. Mit den Dubstep-Rhythmen von „Feel the Love“ und dem sanften Groove von „Lay it All on Me“ verwöhnten sie auch mit Songs, die hierzulande in die Charts kamen.

Auf der größeren Bühne übte derweil Cleo Panther, Sängerin von Parov Stelar, ihr Amt der Betörung aus. In vollem Ornat, also mit drei Bläsern und Rhythmussektion angetreten, entriegelte Mastermind Marcus Füreder köstliche Beats und Swing-Jazz-Samples per Laptop. Miss Panther ruckelte verheißungsvoll mit dem Becken und zwang mit weicher Stimme die Wirklichkeit in ein Traumbild eines Damals, das es wohl so nie gegeben hat. Auch wenn manchem Hörer bei Parov Stelar bald fad im Kopf wird, als Partymusik funktioniert dieser künstlich patinierte Sound von London über Seoul bis nach St. Pölten. Tausende tanzende Beine wühlten swingend Sand auf. Ein gütiger Mond war Zeuge.

Fakten

Seit 2001 gibt es das Frequency-Festival, erst fand es in Wien statt, dann bis 2008 am Salzburgring.

Seit 2009 findet es auf dem Gelände des VAZ St.Pölten statt. Es ist nicht ganz so groß wie das Nova-Rock-Festival im Burgenland, gilt aber als repräsentativ für Stile, die man immer noch „Alternative“ nennt, ähnlich wie der Radiosender FM4, der es auch unterstützt.

120 Acts waren heuer an drei Tagen (plus einem Aufwärmtag) zu erleben. Am Samstag waren noch u.a. Massive Attack, Manu Chao und Limp Bizkit auf dem Programm. Ein Bericht folgt im Montagsblatt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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