Brasilien: Das Ende einer glücklosen Ära

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TOPSHOT-BRAZIL-IMPEACHMENT-TRIAL-ROUSSEFF(c) APA/AFP/EVARISTO SA
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Am Mittwoch will der Senat den Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff besiegeln. Lulas engste Mitstreiterin ist an der Wirtschaftskrise gescheitert, an ihren Gegnern – und an sich selbst.

Die Olympischen Spiele in Rio waren gerade einmal eine Woche vorbei, da verfolgten die Brasilianer neuerlich ein Spektakel live im Fernsehen: die Absetzung ihrer Präsidentin, der Schlussakt im Prozess der schleichenden Entmachtung der Dilma Rousseff, der zugleich einer Abrechnung mit der Politik der lang dominierenden Arbeiterpartei und ihrer Galionsfigur, Ex-Präsident Lula da Silva, gleichkam. Bilanztricks, ein eher minderes Vergehen, dienten der politischen Elite als Vorwand für den Sturz Rousseffs.

Zehn Minuten Redezeit gestand Ricardo Lewandowski, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs und Zeremonienmeister in der Abstimmung im Impeachment-Verfahren gegen die Präsidentin im Senat, jedem der 81 Senatoren zu – und sie wollten in der Marathonsitzung in der Nacht auf Mittwoch, unter Beschwörung von Gott und Familie, davon ausgiebig Gebrauch machen, sodass sich die Session bis in den Morgen ziehen könnte. Die für die Absetzung notwendige Zweidrittelmehrheit gegen die ungeliebte Präsidentin, die ohne Fortüne und ohne jedes Charisma fünfeinhalb Jahre regiert hatte, galt als ziemlich sicher.

Unter anderen wollte auch Fernando Collor de Mello den Daumen über Rousseff, eine seiner Nachfolgerinnen im Präsidentenamt in Brasilia, senken. Er hatte 1992, nachdem ihn sein Bruder der Korruption bezichtigt hatte, das letzte Votum für die Amtsenthebung nicht abgewartet und war zuvor aus freien Stücken zurückgetreten. Im Vorjahr konfiszierte die Polizei wegen neuer Bestechungsvorwürfe gegen ihn im Skandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras seinen Fuhrpark – samt Ferrari, Lamborghini und Porsche.

Parlamentarische Farce

Der Fall des Ex-Präsidenten, des ersten abgesetzten Staatsoberhaupts in der republikanischen Geschichte des Landes, illustriert die Heuchelei in der parlamentarischen Farce gegen Dilma Rousseff, die nicht müde wird, von Putsch und Tod der Demokratie zu sprechen und ihre eigene Unschuld zu beteuern. Im Gegensatz zu mehr als der Hälfte der Parlamentarier, die aktuell unter Korruptionsverdacht stehen, hat sich die 68-Jährige nicht persönlich bereichert – so wie Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der die Ranküne gegen Rousseff geschmiedet hatte, inzwischen aber selbst zurücktreten musste.

Seit Mitte Mai war die Präsidentin für die Dauer von 180 Tagen suspendiert, und nach Ende der Olympischen Spiele beschleunigte die Interimsregierung unter dem früheren Vizepräsidenten, Michel Temer, das Verfahren rapide. Noch am Mittwoch wollte Temer zum G20-Gipfel nach China aufbrechen, im Lauf des Tages sollte Rousseff den Palácio da Alvorada räumen, die futuristische, von Oscar Niemeyer entworfene Residenz in Brasilia. Zum Nichtstun verurteilt, unter beschnittenen Privilegien und gekürzten Bezügen, hat Dilma, wie die Brasilianer ihre Präsidentin in landestypischer Manier nennen, hier Hof gehalten und Auslandskorrespondenten empfangen, um Stimmung gegen „Verräter“ und „Parasiten“ à la Temer zu machen.

In einem offenen Brief, in dem er sich beklagte, zur Staffage degradiert zu werden, hatte der Vizepräsident schon 2015 das Ende der Koalition und der Ära Rousseff eingeleitet. Im April, Wochen vor der Suspendierung Rousseffs, gelangte via Online-Service WhatsApp die Antrittsrede Temers an die Öffentlichkeit. Wer wollte da nicht von Intrige und Verschwörung raunen, und Rousseff beschwor ein historisches Vorbild: Cato.

Guerillakämpferin

In einem letzten Auftritt vor dem Senat, einem flammenden Plädoyer in eigener Sache, zeichnete sich die ehemalige marxistische Guerillakämpferin, die während der Militärdiktatur in den 1970er-Jahren Folter und Elektroschocks und später dem Lymphdrüsenkrebs getrotzt hatte, als Überlebenskämpferin. Mit Akribie und Feuereifer war die Ökonomin, Tochter eines bulgarischstämmigen Geschäftsmanns aus besseren Kreisen, erst als Energieministerin, Petrobras-Aufsichtsratschefin und danach als Kabinettschefin zur engsten Mitarbeiterin von Präsident Lula (Amtszeit 2003 bis 1. 1. 2011) avanciert.

Als der charismatische Politiker nach acht Jahren am Zenit seiner Macht, im Höhenrausch des Wirtschaftsbooms der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt und bekränzt mit internationalem Renommee abtrat, kürte er die Technokratin Rousseff zur Nachfolgerin. Dilma gönnte sich, wie viele ihrer Landsleute, erst einmal eine Schönheitsoperation, um national und international gute Figur zu machen. Mit dem Land ging es infolge des Einbruchs der Rohstoffpreise indes stetig bergab, der Protest der Mittelklasse in São Paolo und Rio gegen die Regierung manifestierte sich erstmals 2013 während des Confederation Cup, der Generalprobe zur Fußball-WM, im großen Stil. Zur Eröffnung im Maracanã musste sie ein Pfeifkonzert über sich ergehen lassen – wie Temer bei Olympia.

Mit Not sicherte sich Rousseff die Wiederwahl vor zwei Jahren, den programmierten Höhepunkt ihrer Amtszeit – die Olympischen Spiele – beobachtete die Präsidentin auf Abruf indessen nicht aus der Ehrentribüne, sondern – isoliert und mit einer Zustimmungsrate von acht Prozent – als Aschenputtel aus dem Alvorada-Palast.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2016)

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