Bei Jugo-Liga, Folklore und Cevapcici "lebendig ignoriert"

Die Ankömmlinge organisierten sich in Arbeitervereinen. Das verband sie mit der Heimat und hielt sie hier aus der Öffentlichkeit.

Die Chronisten sind sich nicht ganz einig, aber der Erste könnte „Mladi Radnik“ gewesen sein: „Der junge Arbeiter“ wurde 1969 gegründet und lag in der Menzelgasse in Ottakring. Einen anderen frühen, Jedinstvo („Einheit“) in der Praterstraße, gibt es noch heute. In Summe waren mehr als Hundert Arbeitervereine, die den Jugoslawen in Österreich einst eine Art Heimat boten. Man spielte in der „Jugo-Liga“ Fußball auf der Schmelz, in den Kellerlokalen Schach und Karten, trank „Jugo-Schnaps“ und türkischen Kaffee. Dazu gab es Cevapcici, „aber nur mit Zwiebeln“, sagt Goran Novakovic, „nicht wie in Österreich mit Gemüse oder Reis“.

Novakovic, gebürtiger Jugoslawe, später unfreiwillig „Serbe“, hat über die Lebensgeschichten der ersten Gastarbeiter das Buch „Wir, die Zugvögel“ geschrieben. Er selbst kam erst 1991 nach Österreich, „weil ich nicht am Krieg teilnehmen wollte“. Die Arbeitervereine, sagt er, seien „kleine Oasen im Arbeitsalltag“ gewesen, in denen man die Traditionen des Sozialismus, er Brüderlichkeit und Einheit hochgehalten habe. „Die jugoslawischen Gastarbeiter waren da sehr, sehr auf Linie, und durch den Aufenthalt im Ausland war der Bedarf dafür noch größer.“


Seilziehen. Es gab auch eigene Arbeiter- und Sportspiele, die in den Bundesländern veranstaltet wurden und bei denen Folklore-Ensembles auftraten und sich die Leute in Fußball, Seilziehen und Kegeln maßen. Besonders politisch waren die Vereine nie. „Der jugoslawische Staat hat eher ungebildete Leute eingeladen, ins Ausland zu gehen“, sagt Alexander Nikolic. Der Künstler wurde als Sohn jugoslawischer Dissidenten in Wien geboren und befasste sich intensiv mit dem Phänomen der Gastarbeiter. In den Vereinen hatte der Heimatstaat sie im Auge – und Österreich sah die sozialistischen Gäste dort gut aufgehoben und weniger als Gefahr. Sonst wurden die Arbeiter von ihrem Gastland eher „lebendig ignoriert“, sagt Goran Novakovic, „weil man dachte, sie gehen eh zurück“.

Die Gastarbeiter blieben, der jugoslawische Staat zerfiel, und mit ein wenig Zeitverzögerung taten das auch die Arbeitervereine. „Menschen, die sich bis dahin als klassische Ex-Jugos gesehen hatten, wurden plötzlich gefragt, woher genau sie stammen“, sagt Novakovic. Recht trotzig hätten die Vereine noch eine Weile an der Idee des Jugoslawischen festgehalten. Es habe gedauert, bis sich ihr Dachverband umbenannt habe, und auch dann zunächst nur in „serbisch-jugoslawisch“.

Aber natürlich seien der Krieg und die Flüchtlinge mit ihren Geschichten nicht ohne Einfluss geblieben. Heute haben Serben, Kroaten oder Bosnier eigene Vereine. Ein durchaus problematisches Phänomen, wie Nikolic findet: „Dass die Idee der Einheit vom Arbeiter einfach auf die Ethnie übergeht.“

Auf den Spuren

„Langer Weg der Gastarbajt“.
Im Rahmen der Wien-Woche führt Goran Novakovic anlässlich des Jubiläums des Anwerbeabkommens durch den 16. und 17. Bezirk, u. a. zu einer ehemaligen Fabrik, einem Arbeiterverein, lokalen legendären Menschen und Bars. 22. September, ab 16Uhr. www.wienwoche.org

„AJNHAJTCLUB“.
Heute, Sonntag, ist der letzte Tag der Ausstellung „AJNHAJTCLUB“ im Q21 des Museumsquartiers (der Titel spielt auf den Verein „Einheit“) an. Die von Bogomir Doringer kuratierte Schau untersucht die Geschichte der Gastarbeiter vor dem Hintergrund dieser Klubs, die als Freiräume dienten, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugten und der Nostalgie ein Ventil boten.
Freiraum im Q21, noch heute, 13–16 Uhr und 16.30–20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

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