Italien: Die Entzauberung der Virginia Raggi

Rome´s newly elected mayor Virginia Raggi, of 5-Star Movement, stands on the balcony of the Rome´s city hall, Campidoglio, downtown Rome
Rome´s newly elected mayor Virginia Raggi, of 5-Star Movement, stands on the balcony of the Rome´s city hall, Campidoglio, downtown Rome(c) REUTERS (REMO CASILLI)
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Stinkende Müllberge im historischen Zentrum der Ewigen Stadt, Stadträte mit Justizproblemen und eine chaotische Personalpolitik bringen Roms Fünf-Sterne-Bürgermeisterin in Bedrängnis – und stürzen die Grillini in eine tiefe Krise.

Nicht einmal ihre schlimmsten Feinde hätten Virgina Raggi einen katastrophaleren Start als Bürgermeisterin von Rom wünschen können: Den ganzen Sommer türmten sich die Müllberge in der Ewigen Stadt. Riesige Haufen, die in der glühenden Augustsonne zum Himmel stanken. In einer der desolaten Vorstädte filmten Kinder Ratten, die um den Abfall herumschlichen, das Video kursiert im Internet.

Dabei hat die 38-jährige Vertreterin der Fünf-Sterne-Protestbewegung nach ihrer Wahl im Juni versprochen, in der Metropole blitzschnell aufzuräumen. Den ganzen Sommer drohte sie Müllsündern mit drakonischen Strafen und setzte sogar eine Sondereinheit ein. Vergeblich: Der Abfall verpestet unverändert Rom und verdreckt die engen Gassen des historischen Zentrums.

Grillo schäumt vor Wut

Raggi ist zwar nicht wirklich verantwortlich – seit Jahren plagen die Müllberge wegen einer ineffizienten, teilweise von der Mafia kontrollierten Abfallentsorgung die Stadt. Doch in den Augen ihrer Wähler erweist sich die Spitzenvertreterin der selbst deklarierten Saubermacherpartei zunehmend als Heuchlerin: Wie sich jetzt herausstellte, wird ausgerechnet gegen Raggis Umweltbeauftragte, die Roms Müllprobleme hätte lösen sollen, wegen Amtsmissbrauchs ermittelt. Der parteilosen Paola Muraro werden nicht näher spezifizierte illegale Aktivitäten während ihrer Zeit als teuer bezahlte Beraterin für die Müllentsorgungsgesellschaft Ama vorgeworfen. Diese Behörde gerät immer wieder wegen Verdachts der Unterwanderung durch die Mafia ins Visier der Ermittler.

Nach massivem medialen Druck gab Raggi nun kleinlaut zu, von Anfang an über die Justizprobleme Muraros Bescheid gewusst zu haben. „Muraro ist eine Expertin, keiner kennt das Müllproblem und diese Stadt so gut wie sie“, verteidigte sich die Bürgermeisterin nun. Aber eigentlich hat Raggi Transparenz zu ihrem Aushängeschild im Wahlkampf gemacht: Ganz im Sinn ihrer von Komiker Beppe Grillo geführten Bewegung hat die Anwältin der „korrupten, mafiösen Kaste“ den Kampf angesagt. Nun, so zumindest die schiefe Optik, macht sie genau mit diesen Leuten, die sie immer angegriffen hat, gemeinsame Sache.

Kein Wunder also, dass der Skandal die Fünf-Sterne-Bewegung wie eine Schockwelle erfasst. Empört reagierte die Basis der Partei im Internet: Man fühle sich belogen und betrogen, hieß es. Raggi behauptete daraufhin, sehr wohl einige Spitzenvertreter der Bewegung über die Justizprobleme Muraros informiert zu haben. Später betonte sie eiligst, dass „Leader“ Beppe Grillo freilich nichts wusste. Andere Fünf-Sterne-Vertreter versuchen die Bewegung reinzuwaschen, indem sie behaupten, dass Menschen wie Muraro ja gar keine waschechten Grillini seien.

Der sonst alles andere als zurückhaltende Komiker sagte jedenfalls tagelang gar nichts. Offenbar schäumt er vor Wut. Gestern suchte er Raggi in Rom auf, vermutlich um ihr ordentlich die Leviten zu lesen. Denn die Episode rund um die Umweltberaterin ist nur die letzte in einer Reihe von Peinlichkeiten und Pannen bei der Ernennung des Teams der Bürgermeisterin: Erst vergangene Woche mussten fünf der wichtigsten Mitarbeiter Raggis wegen parteiinterner Querelen ihr Amt niederlegen, darunter der Finanzstadtrat und die Chefin ihres Kabinetts. Sie sind unter anderem wegen Forderungen nach hohen Gagen in der nahezu bankrotten Stadt massiv in die Kritik geraten.

Renzi freut sich insgeheim

Für die Fünf-Sterne-Bewegung sind diese römischen Zustände ein enormer Rückschlag: Die Grillini wollten eigentlich ihren fulminanten Sieg in Rom als Sprungbrett für die Machtübernahme auf nationaler Ebene nützen – die euroskeptische Bewegung hat die regierenden Linksdemokraten von Premier Matteo Renzi in Umfragen überholt. Grillo hoffte bisher auf eine große Chance im Herbst: Im November oder Dezember will Renzi über eine Senatsreform abstimmen lassen, bei der Ablehnung seiner Pläne will er gehen. Beppe Grillo hat seit Monaten erfolgreich das Referendum rhetorisch zum Anti-Renzi-Votum umfunktioniert. In der von Wirtschaftskrise und politischen Querelen zunehmend frustrierten Bevölkerung punkten die Fünf Sterne derzeit mit Plänen eines Euro-Austrittsreferendums und dem Versprechen einer radikalen Erneuerung Italiens – durch eine saubere Politik und eine etwas obskure Idee einer direkten Demokratie, die sich vor allem im Internet abspielen soll. Ihre Stimmen fischen die Grillini in allen Lagern – links wie rechts.

Vom Chaos in Rom könnte Renzi profitieren. Deshalb lehnt sich der Premier zurück und beobachtet mit einiger Genugtuung, wie seine Hauptrivalen an den Mammutaufgaben in der Hauptstadt scheitern: „Lüge nach Lüge – so viele Unwahrheiten auf einmal habe ich noch nie gehört“, kommentierte er mit einem schelmischen Lächeln das Raggi-Gate.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2016)

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