Pilgerfahrt: Die Hadsch in Zeiten der Grippe-Angst

Mekka
Mekka(c) EPA (JAMAL NASRALLAH)
  • Drucken

Drei Millionen Menschen aus aller Herren Länder kamen im vergangenen Jahr in Mekka zusammen. Reiserestriktionen sollen verhindern, dass es zur Wallfahrt eine Brutstätte für das H1N1-Virus wird.

Kairo. Einmal im Leben sollte jeder Muslim nach Mekka pilgern, so lautet die religiöse Vorschrift. Seit 14 Jahrhunderten findet die Hadsch jedes Jahr statt. Wurden die Pilger in früheren Zeiten auf ihren beschwerlichen Reisen von Wegelagerern bedroht, lauert nun eine andere, unsichtbare Gefahr: A/H1N1, vulgo Neue Grippe.

Die Vorbereitungen für die heurige Hadsch finden ganz unter dem Vorzeichen dieser neuen Grippe statt. Vergangenes Jahr erreichte die Pilgerfahrt nach Mekka neue Rekordzahlen. Drei Millionen Menschen kamen dort aus aller Herren Länder zusammen, berichteten die saudischen Gastgeber stolz. Der Stolz von gestern ist das Problem von heute. Massenveranstaltungen sind in Zeiten des H1N1-Virus ein unberechenbares Risiko.

Kranke müssen daheimbleiben

Im ägyptischen Gesundheitsministerium herrscht Alarmstimmung. Mit bereits über 800 Fällen im eigenen Land lassen sich weitere Ansteckungen kaum verhindern, höchstens minimieren.

Maßnahmen rund um die Hadsch stellen dabei einen zentralen Punkt dar, erklärt Amr Qandil, Staatssekretär im Gesundheitsministerium in Kairo. „Wir haben beschlossen, dass Ägypter, die jünger als 25 und älter als 65 sind, ebenso wie schwangere Frauen dieses Jahr nicht zur Hadsch zugelassen werden“, erläutert er die neu in Kraft getretenen Maßnahmen.

Alle anderen müssen ein Gesundheitszeugnis vorlegen. Dabei gilt: Wer Diabetiker ist, an einer Herz- oder Nierenkrankheit leidet oder an einer Erkrankung der Atemwege oder an einer Immunschwäche – der, so Qandil, muss die Pilgerfahrt verschieben.

Selbstmörder, nicht Märtyrer

Bei einem regionalen Treffen arabischer Gesundheitsbeamter hat man sich auf einen ähnlichen Maßnahmenkatalog geeinigt. Das Ziel ist klar: je weniger Pilger, umso geringer der Ansteckungsgrad und die Gefahr, dass die Pilger die Krankheit nach ihrer Rückkehr zu Hause verbreiten.

Unterstützung dafür kommt auch von den Scheichs: Der ägyptische Mufti Ali Gumaa hat nun erklärt, dass alle, die nicht den neuen Vorschriften für die Hadsch folgen, eine Sünde begingen.

Eine Fatwa der islamischen al-Azhar Universität in Kairo geht noch einen Schritt weiter und stellt sich gegen den Glauben, dass derjenige, der an einer Krankheit in Mekka stirbt, als Märtyrer im Paradies endet. „Wer an dem neuen Virus stirbt, gilt als Märtyrer“, stellt Mustafa Schakaa vom Islamischen Forschungsinstitut der Azhar zwar fest. Aber, schränkt er ein: „Wer sich der Krankheit wissentlich bei der Pilgerfahrt aussetzt, gilt nicht als Märtyrer, sondern als jemand, der sich selbst in den Tod stürzt – und das käme eher der Kategorie des Selbstmörder nahe.“ Das ist ein für gläubige Muslime abschreckendes islamisches Rechtsgutachten.

Die Maßnahmen des Gesundheitsministeriums und die Worte der Scheichs zeigen Wirkung. Eigentlich müssten die Buchungen für die Hadsch wenige Wochen vor dem großen Ereignis auf Hochtouren laufen. Doch in Kairos spezialisierten Reisebüros gibt es im Vergleich zum Vorjahr mehr als die Hälfte weniger Kundschaft.

„Die meisten, die sich auf die Pilgerfahrt begeben, sind ältere Leute. Denen ist das nun aufgrund der Behördenbeschlüsse verboten. Das verschreckt natürlich auch die andren Altersgruppen,“ erklärt Khaled Gamal Abdel Nasr, der im Zentrum Kairos ein Reisebüro leitet. „Diejenigen, die bereits gebucht haben, kommen jetzt und holen ihre Pässe und ihr Geld wieder ab“, klagt er.

Droht Ausfall der Hadsch?

In Kairos Gesundheitsministerium denkt man über noch schärfere Maßnahmen nach: „Wir studieren gerade, ob wir die Pilger nach ihrer Rückkehr nicht einer siebentägigen Quarantäne unterziehen“, verrät Staatssekretär Qandil. „Ansonsten hoffe ich, dass bald genug Impfstoff zur Verfügung steht, um alle Pilger rechtzeitig zu immunisieren – Inschallah – Inschallah – Inschallah“. Gleich dreimal fleht er hier um göttlichen Beistand.

Für viele Muslime gilt die Reise nach Mekka als wichtigste spirituelle Erfahrung ihres Lebens. Die werden heuer deutlich weniger Menschen machen. Die Behörden schließen sogar die Möglichkeit nicht aus, zum letzten Mittel zu greifen: „Im Moment reichen die Maßnahmen aus, aber wir prüfen ständig die Lage“, sagt Qandil und fügt hinzu: „Wenn es uns notwendig erscheint, dann werden wir dieses Jahr die Pilgerschaft ganz ausfallen lassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.