„Putin ist Taktiker, aber kein großer Stratege“

POLAND NEW FOREIGN MINISTER ROTFELD
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Polens einstiger Außenminister Adam Daniel Rotfeld über das schwierige Verhältnis des Westens zu Russland und Moskaus Bestreben, wieder als globale Macht anerkannt zu werden.

Die Presse: Als Außenminister Polens arbeiteten Sie an der Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Jetzt – mehr als zehn Jahre später – ist das Verhältnis Russlands zu Polen, aber auch zu den USA und anderen westlichen Staaten schlecht wie selten zuvor. Was ist passiert?

Adam Daniel Rotfeld: Mein Konzept als Außenminister war, dass Polens Beziehungen zu Deutschland und Russland besser sein sollten als deren Beziehungen untereinander. Das hat aber nicht funktioniert. Oft entwickeln Wissenschaftler Konzepte, die konsistent, logisch und elegant in der Präsentation sind. Internationale Politik ist aber nicht konsistent, logisch und elegant. Nach meinem Amt als Außenminister war ich in einer polnisch-russischen Arbeitsgruppe zum Dialog zwischen beiden Staaten. Das lief nicht schlecht. Man kann aber nicht erwarten, dass eine oder tausend solcher Gruppen das Verhältnis zwischen Ländern ändern können.

Aber warum hat sich das Verhältnis zu Russland so verschlechtert?

Seit dem Ende des Kalten Krieges sind nicht mehr Interessenkonflikte zwischen Staaten Hauptgrund der Probleme in der Welt, sondern Konflikte innerhalb von Staaten, ob in Jugoslawien oder im postsowjetischen Raum. Diese internen Probleme vergiften dann auch die Atmosphäre zwischen Ländern.

Und wie spielen Russlands innere Probleme hier hinein?

Wladimir Putin hat zu Beginn die Diktatur des Rechts proklamiert. Demokratie kann nicht ohne Rechtsstaatlichkeit existieren. Aber Rechtsstaatlichkeit kann es auch in einer Diktatur geben – etwa vor dem Ersten Weltkrieg in Österreichisch-Ungarn. Russland hat diese Tradition nicht. Doch Rechtsstaatlichkeit ist ein wichtiger Prozess auf dem Weg zur Demokratie. Russlands Führung ist auch klar geworden: Wenn sie Demokratie ernst nimmt, wird sie früher oder später die Macht verlieren. Das will sie verhindern. 2000 war das zentrale Wort für Putin noch Modernisierung. Seit 2012 beobachten wir aber eine Militarisierung. Moskau spricht heute von Zonen privilegierten Interesses rund um Russland. In dieser Denkweise haben kleine Nationen nicht dieselben Rechte wie große. Ihr zufolge sollte sich die Ukraine unter der Vorherrschaft Russlands befinden.

Die baltischen Staaten und Polen fürchten, dass sich Russland nach der Ukraine auch in diesen Ländern einmischen könnte. Ist diese Furcht nicht übertrieben?

Wenn jemand in der internationalen Politik starke Worte verwendet, schickt er damit Botschaften aus. Russland benutzte zuletzt gegenüber den Nachbarn keine Sprache, die man gegenüber Partnern verwendet.

Was sind Putins nächste Pläne?

Vermutlich wäre nicht einmal Putin selbst in der Lage mitzuteilen, was er in der nächsten Zeit plant. Sein Zugang ist sehr pragmatisch. Er handelt mehr reaktiv als aktiv. In der Ukraine etwa setzte er darauf, dass Präsident Viktor Janukowitsch sein Mann in Kiew und dass die Ukraine abhängig von Russland bleibt. Aber die Ukrainer wollten nicht abhängig bleiben. Und Putin hat darauf reagiert. Er ist ein sehr talentierter Taktiker, aber kein großer Stratege. Seine Strategie besteht nur darin, an der Macht zu bleiben, und dass die Russische Föderation nicht das Schicksal der Sowjetunion erleidet.

Die russische Erklärung ist, dass man vielmehr auf eine Bedrohung durch den Westen reagiere – etwa auf die Erweiterung der Nato bis an Russlands Grenzen.

Auch Politologen in Westen, die kritisch gegenüber der Nato-Erweiterung sind, sagen: Man habe Russland nach dem Ende der Sowjetunion nicht fair behandelt und keine Einbindung angeboten. Aber das hat Russland selbst so gewählt: Es wollte seine Einflusszonen erhalten. Jetzt will man in Moskau, dass Russland wieder als eine den USA gleichwertige globale Macht anerkannt wird. Aus Sicht des Völkerrechtes sind aber alle Staaten gleichberechtigt. Und das Problem dabei ist: Eine globale Macht ist man nicht wegen der Anerkennung als solche, sondern wegen seines Potenzials und seiner Attraktivität. Russland kann sein Bruttoinlandsprodukt mit dem Italiens vergleichen. Mit den USA kann Russland nur bei Nuklearwaffen und Raketen verglichen werden. Moskau versucht, das als Instrument einzusetzen – etwa jetzt bei der Aussetzung des Plutoniumabkommens. Aber das ist riskant.

Die Regierung Ihres Heimatlandes Polen fährt einen streng rechtskonservativen Kurs – auch in der EU-Politik. Und in der Flüchtlingsfrage gibt es in der ganzen Union unterschiedliche Ansätze.

In allen Ländern gibt es Tendenzen zum Rückfall in nationalen Egoismus. Das muss ernst genommen werden. Viele negative Emotionen resultieren aus dem Gefühl, dass sich die Eliten und die europäische Bürokratie von den Bedürfnissen der Menschen entfernt haben. Zugleich ist die EU eine Art Wunder. Polens Regierung wird verstehen, dass die EU das größte Geschenk der Geschichte ist: Polen hat einen großen Sprung zu Demokratie und Wohlstand geschafft.

ZUR PERSON

Adam Daniel Rotfeld ist polnischer Spitzendiplomat und Wissenschaftler. 2005 war er Außenminister Polens. Er leitete das Internationale Institut für Friedensforschung (Sipri) in Stockholm und war Kovorsitzender der „Polnisch-russischen Arbeitsgruppe für schwierige Angelegenheiten“.

Am Montag, 10. Oktober 2016, um 18 Uhr spricht Adam Daniel Rotfeld zum Thema „Poland, Ukraine, Russia: Difficult Past, Uncertain Future“ in Wien im Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Spittelauer Lände 3. Mit ihm diskutieren „Presse“-Außenpolitikchef Christian Ultsch und Paweł Marczewski vom IWM.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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