Bombenbauer kam als Flüchtling

Im Bezirk Paunsdorf in Leipzig nahm die Polizei den bereits gefesselten Terrorverdächtigen fest.
Im Bezirk Paunsdorf in Leipzig nahm die Polizei den bereits gefesselten Terrorverdächtigen fest.(c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
  • Drucken

Landsleute überwältigten einen 22-jähriger Syrer, der im IS-Auftrag ein Attentat vorbereitet hatte – womöglich auf einen Flughafen. Merkel kommt erneut wegen ihrer Flüchtlingspolitik unter Druck.

Berlin/Leipzig. Als die Polizei in der Nacht auf Montag eine Wohnung im Leipziger Stadtteil Paunsdorf betrat, fand sie zwar den Mann, den sie gesucht hatte. Aber nicht so, wie sie Verdächtige für gewöhnlich vorfindet. Jaber A., ein 22-jähriger Syrer, war bereits überwältigt worden. Gefesselt wartete er auf seine Verhaftung. Daneben standen zwei andere Syrer. Einen davon hatte A. einige Stunden davor auf dem Leipziger Hauptbahnhof angesprochen: ob er bei ihm übernachten könne. Der Mann nahm A. mit in die Wohnung, verständigte dann aber die Polizei. Und hielt den Gast mithilfe seines Mitbewohners fest. Wie er berichtete, wollte sich Jaber A. aber freikaufen. „Er hat versucht, uns mit Geld zu bestechen. Wir haben ihm gesagt: Du kannst uns so viel Geld geben, wie du willst. Wir lassen dich nicht frei.“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte, dass A. wohl einen Flughafen in Berlin attackieren wollte. "Wir hatten Hinweise - nachrichtendienstliche Hinweise -, dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte. Zuletzt konkretisierte sich dies mit Blick auf Flughäfen in Berlin", sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am Montag der ARD.

Demnach bekam seine Behörde Anfang September "aus nachrichtendienstlichem Aufkommen" einen Hinweis, dass die Organisation "Islamischer Staat" (IS) in Deutschland einen Terroranschlag gegen Infrastruktur plane. "Wir haben (...) bis Donnerstag letzter Woche gebraucht, um herauszufinden: Wer ist dafür in Deutschland verantwortlich?", so Maaßen. Dann sei der Verfassungsschutz in der Lage gewesen, die gesuchte Person zu identifizieren.

Enger Kontakt mit IS

Seit Samstag war nach A. gefahndet worden. Der Verdächtige stand in engem Kontakt mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Vorgehensweise und Verhalten sprächen für einen „IS-Kontext“, erklärte der Leiter des Landeskriminalamtes Sachsen, Jörg Michaelis. Der Mann habe an einem Sprengsatz gearbeitet – offenbar „in Form einer Sprengstoffweste“.

In der Chemnitzer Wohnung, die sich A. mit einem Landsmann teilte, waren neben Zündern und weiteren Chemikalien 500 Gramm Sprengstoff gefunden worden. Nach Informationen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR handelt es sich um TATP, ein weißes Pulver, das auch bei den Anschlägen in Paris und Brüssel verwendet worden war. Bundesinnenminister Thomas de Maizière verhehlte die Parallelen nicht: „Die Vorbereitungen in Chemnitz ähneln den Vorbereitungen zu den Anschlägen in Paris und Brüssel.“

Seehofer verlangt schärfere Kontrollen

Während A. am Montag dem Haftrichter vorgeführt wurde, bedankte sich Kanzlerin Angela Merkel beim Hinweisgeber. „Unsere Anerkennunggilt dem Mann aus Syrien, der entscheidend zur Festnahme beigetragen hat“, sagte Merkels Sprecherin, ehe sie – nach einer Würdigung der Polizei – auf die „vielen Maßnahmen“ verwies, die man bereits ergriffen habe, „um die Sicherheit in Deutschland und Europa zu erhöhen“. Doch da war die politische Debatte, die Merkel seit Monaten verfolgt, längst wieder im Gange. Denn A. ist seit Juni als Flüchtling in Deutschland registriert. Auch sein mutmaßlicher Komplize, der Wohnungsmieter in Chemnitz, ein 33-jähriger Syrer, hat einen positiven Asylbescheid.

Schon bei den Anschlägen in Würzburg und Ansbach waren Flüchtlinge die Täter. Jetzt gibt es einen weiteren Beleg dafür, dass Terroristen über den Flüchtlingsweg nach Europa kommen. Manche wurden vom IS eingeschleust. Andere dürften sich erst hier radikalisiert haben und wurden dann vom IS-Personal im Internet zur Tat angeleitet. Bombenbau inklusive. Aus den Chatprotokollen der Täter von Würzburg und Ansbach wissen die Ermittler, dass sie vom IS zu Taten mit möglichst vielen Opfern gedrängt wurden.

Die Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik fühlten sich bestätigt, allen voran die bayrische CSU. Parteichef Horst Seehofer erneuerte seine Forderung nach intensiveren Kontrollen von Migranten und Flüchtlingen. Der jüngste Vorfall habe gezeigt, „wie labil die Gesamtsituation in Bezug auf die Sicherheit ist“. Auch Zuwanderer, die bereits im Land seien, müssten nun „lückenlos überprüft werden“ – unter Beiziehung der Nachrichtendienste. „So, wie es früher der Fall war.“

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wurde konkreter und verlangte „eine Totalrevision der Registrierung“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Statt der pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen müsse die Behörde „viel stärker die Sicherheitsrelevanz, die Wege und die einzelnen Biografien bewerten können“. Unter anderem sollten die Fragebögen mit Multiple-Choice-Antworten durch Einzelinterviews ersetzt werden.

Deutschland bleibt ein Terrorziel

Deutschland gehört inzwischen zu jenen westeuropäischen Staaten, die am häufigsten von islamistischem Terror betroffen sind. Wobei es deutlich mehr Anschlagspläne gab, die von den Behörden vereitelt wurden, als tatsächliche Anschläge. Zuletzt wurden in Schleswig-Holstein drei IS-Anhänger verhaftet, ebenfalls in einer Asylunterkunft.

Aus der Sicht des Innenministers gab es am Montag dennoch nichts zu beschönigen: Deutschland steht „unverändert im Zielspektrum des internationalen Terrorismus“, sagte Thomas de Maizière . „Die Ermittlungen zeigen, dass solche Taten, wie wir sie in Frankreich und Belgien gesehen haben, auch in Deutschland nicht auszuschließen sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ein Polizeifahrzeug auf dem Gelände der Polizeidirektion Leipzig (Sachsen).
Weltjournal

Leipzig: IS-Terrorist bat in sozialen Netzwerken um Hilfe

Der in Leipzig festgenommene Syrer bat in einem Netzwerk von Syrern in Deutschland um Hilfe. Doch das Internet führte auch zu seiner Festnahme.
Polizeieinsatz in Chemnitz
Außenpolitik

De Maiziere sieht Parallelen zwischen Chemnitz und Paris

Die Vorbereitungen in Chemnitz ähnelten jenen von Paris oder Belgien, sagte der deutsche Innenminister über die Pläne eines 22-jährigen Terrorverdächtigen mit IS-Kontakt.
Außenpolitik

Terroralarm in Deutschland: Polizei jagte 22-jährigen Syrer

Verdächtiger floh kurz vor Zugriff. Einsatzkräfte fanden in seiner Wohnung in Chemnitz hochbrisanten Sprengstoff.
GERMANY-POLICE-ATTACK
Außenpolitik

Chemnitz: Verdächtiger laut Bericht vom IS ausgebildet

Es gebe Hinweise, dass der 22-jährige Syrer von IS-Terroristen ausgebildet wurde, heißt es in einem Medienbericht. Die Polizei fahndet auf Hochtouren nach dem Mann - noch fehle aber die "heiße Spur".
Polizei am Chemnitzer Bahnhof.
Außenpolitik

Terroralarm: Deutschland erhöht Sicherheitsvorkehrungen

Vor allem "kritische Infrastruktur" wie Bahnhöfe und Flughäfen sind betroffen. Der Terrorverdächtige aus Syrien entkam der Chemnitzer Polizei nur knapp.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.