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Roll on, Bob, gekrönter Dichter!

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Jan 1 2011 BOB DYLAN PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY ZUMAg49_(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Nobelpreis für Literatur: Den Sänger Bob Dylan als lyrischen Trickdieb zu sehen, wäre völlig verfehlt. Nicht nur in seiner „Geniephase“ fand er ganz eigene lyrische Erzählformen.

Seit einer knappen Woche ist Bob Dylan wieder auf seiner Never Ending Tour, die den heute 75-jährigen Rastlosen seit 1988 durch die Welt führt. Freitagabend tritt er ein zweites Mal beim Veteranenfestival in Indio auf, gemeinsam mit den Rolling Stones, die sich nicht nach seinem Song „Like a Rolling Stone“ benannt, diesen aber schon live gespielt haben. So erreicht ihn die Nachricht von seinem Preis dort, wo er sich immer daheim gefühlt hat: on the road.

Über die Reisenden, „that come with the dust and are gone with the wind“, hatte er einst, 1961, in seinem ersten unter eigenem Namen erschienenen Lied „Song to Woody“ gesungen, hatte sich, demütig und anmaßend zugleich, in die Reihe der Folkpoeten und Bluesbarden gestellt. Dort ist er geblieben – einen „Song and Dance Man“ nannte er sich gern bescheiden – und ist zugleich mehr geworden. Für dieses Mehr wohl hat ihn die Schwedische Akademie nun endlich ausgezeichnet, nachdem er gute zwei Jahrzehnte für den Nobelpreis im Gespräch war.

Zunächst hat Bob Dylan, geboren als Robert Zimmerman 1941 in Duluth, Minnesota, als Sohn russischstämmiger Juden, das in den frühen Sechzigerjahren blühende Genre des Protestsongs vollendet und überhöht: Songs wie „Blowin' in the Wind“, „A Hard Rain's A-Gonna Fall“ oder „Masters of War“ mit ihrer erhaben apokalyptischen Rhetorik haben längst den Test der Zeit bestanden, auch ganz konkrete Vorkommnisse behandelnde Lieder, wie „Lonesome Death of Hattie Carrol“ über einen rassistischen Totschlag, wirken heute noch. Dylans erste große Wende, 1964, fasste er selbst in „My Back Pages“ so: „Good and bad, I defined these words, quite clear, no doubt somehow, but I was so much older then, I'm younger than that now.“
So stürzte er sich fliegenden Haares in seine wildeste, bilderreichste Phase: Auf den Alben „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde on Blonde“ packte er mythische Figuren aller Zeiten, von Cinderella bis Einstein, von Abraham bis Casanova, in ein amerikanisches Panoptikum. Zugleich schuf er mit „Sad-Eyed Lady of the Lowlands“ ein Liebeslied, das in der Geliebten die gesamte Welt umfasst. Zehn Jahre später folgte mit „Sara“ ein ebenso genialer Nachtrag, da hatte er sich soeben von seiner Frau getrennt . . .

Lieder wie alte „Mysterienspiele“

Wie biografisch sind Bob Dylans Texte? Wie zusammengesetzt ist das lyrische Ich seiner Songs? „Meine Songs gleichen Mysterienspielen, wie Shakespeare sie sah, als er ein Kind war“, erklärte Dylan selbst einmal: Der englische Weltdichter kam schon 1966 in „Stuck Inside of Mobile With the Memphis Blues Again“ vor, als Clown, Bob Dylans letzte Platte mit eigenen Songs (2012) hieß wohl auch nicht ganz zufällig „Tempest“, obwohl er selbst grantig eine Inspiration durch Shakespeares „The Tempest“ leugnete: Im Titelsong zeichnete er den Untergang der Titanic aus der Perspektive eines ungerührten Beobachters („There is no understanding on the judgement of God's hand“), in „Roll on John“ mischte er das Leben John Lennons mit Motiven aus der Odyssee und Zitaten aus William Blakes Gedicht „Tyger, tyger“.

Wie die Blues- und Countrysänger, in deren Tradition er begonnen hat – und zu denen er sich in seinem Spätwerk wieder gesellt –, scheut sich Bob Dylan nicht davor, Phrasen, ja ganze Zeilen aus anderen Songs zu entlehnen, sie sich anzueignen. „,Love and Theft‘“ hieß 2011 ein Album – das darf man durchaus auch als „Diebstahl“ von Poesie verstehen: Forscher fanden etliche Stellen aus dem japanischen Roman „Confessions of a Yakuza“ darin, aber auch Zeilen aus Ovids „Tristien“, in einer neuen englischen Übersetzung, die Dylan offenbar gerade gelesen hatte.
Es wäre aber ganz verfehlt, Bob Dylan als lyrischen Trickdieb zu bezeichnen. Nicht nur in seiner oben beschriebenen ersten Geniephase 1965/66, sondern auch auf seiner zweiten großen Trias von Alben („Blood on the Tracks“, „Desire“, „Street Legal“, 1975 bis 1978) fand er zu ganz eigenen lyrischen Erzählformen. So schildert er oft die Handlung aus der Sicht mehrerer Personen: „Me, I'm still on the road, headin' for another joint, we always did feel the same, we just saw it from a different point of view“, heißt es abschließend in „Tangled up in Blue“. Und in „Oh Sister“, einem seiner geheimnisvollsten Songs, sang er inbrünstig: „We grew up together from the cradle to the grave, we died and were reborn and then mysteriously saved.“
Das religiöse Element in Dylans Poesie ist überhaupt nicht zu unterschätzen, nicht nur die drei Alben seiner Zeit als Mitglied der fundamentalistisch-christlichen Erweckungsbewegung (1979 bis 1981) sind voller Bibelzitate, schon auf „John Wesley Hardin“ (1968) finden sich etliche, nicht zuletzt in „All Along the Watchtower“, dieser knappen Ankündigung einer Apokalypse, die dann aber in einer Westernszene endet: „Two riders were approaching, the wind began to howl.“

Dieser Song wurde in der Version von Jimi Hendrix berühmt, auch viele andere Dylan-Stücke waren als Coverversionen anderer Interpreten erfolgreicher als im Original, man denke nur an „Mister Tambourine Man“, das die Byrds in die Hitparade brachten. In ihrer Fassung fehlen freilich schöne Zeilen: „Yes, to dance beneath the diamond sky with one hand waving free, silhouetted by the sea, circled by the circus sands, with all memory and fate driven deep beneath the waves, let me forget about today until tomorrow.“

„Picasso of Songs“, „Poet Laureate“

Vermittelt sich die Faszination solcher Zeilen auch beim Lesen? Braucht sie den Gesang, die Melodie? Braucht sie gar Bob Dylans nuancenreiche, völlig zu Unrecht als schlampig abgetane Gesangskunst? Das hat sich gewiss auch die Schwedische Akademie überlegt, bevor sie sich entschieden hat, dem wichtigsten Vertreter des Metiers Singer/Songwriter, dem „Picasso of Song“, wie ihn sein Kollege Leonard Cohen nannte, auszuzeichnen. Bob Dylan, der schon 1970 eine Auszeichnung (einen Ehrendoktor) gelassen in einem Song („Day of the Locusts“) beschrieb, wird wohl nicht viel Aufhebens darum machen, aber seine Lobredner dürfen dem üblichen Attribut „Poet Laureate of Rock 'n' Roll“ nun das formellere „Literaturnobelpreisträger“ hinzufügen. Roll on.

Lyriker mit Nobelpreis

Nur eine Minderheit der Literaturnobelpreisträger wurde durch Gedichte dazu. Bob Dylan hat 1965 den Roman „Tarantula“ verfasst und 2004 den ersten Teil einer Autobiografie, „Chronicles“, veröffentlicht; doch das dürfte für die Jury keine Rolle gespielt haben. Unter den in der Vergangenheit gekürten Lyrikern findet man noch heute weltberühmte Namen: etwa den Iren William Butler Yeats (1923), die deutsche Jüdin Nelly Sachs (1966), die Italiener Salvadore Quasimodo (1959) und Eugenio Montale (1975) oder den Mexikaner Octavio Paz (1990). Der syrische Lyriker Adonis zählt seit Jahren zu den chancenreichsten Kandidaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2016)

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