Der immer kürzere Weg zum fremden Auto

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Themenbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Carsharing-Plattformen versprechen weniger Verkehrsaufkommen in der Stadt, weil ihre Nutzer zunehmend auf das eigene Auto verzichten. Fest steht, dass das Geschäft mit den geborgten Autos boomt – auch in Wien.

Wo steht eigentlich das Auto? An jeder zweiten oder dritten Ecke – und zwar unabhängig davon, wo man es am Vorabend geparkt hat.

Das gilt, wenn man Kunde von einer der beiden großen Free-floating Carsharing-Plattformen in Wien ist, namentlich Car2Go und Drive Now. Free-floating heißt, dass die Fahrzeuge nicht an eine Station gebunden sind – die Autos sind abgestellt und in Betrieb zu nehmen, wo die vorherigen Nutzer jeweils hinwollten.

Die Stationsgebundenen nehmen in Wiens Carsharing-Aufkommen einen sehr kleinen Anteil ein, und sie vermochten in den vergangenen drei Jahren auch kaum zu wachsen (Flinkster hat den Betrieb gerade eingestellt, nur Zipcar ist derzeit aktiv). Die Free-Floater haben ihren Kundenbestand in der Zeit dagegen mehr als verdoppelt – Car2Go von 41.000 Members im Jahr 2013 auf 113.000 im Oktober, Drive Now, im Frühling 2015 gestartet, von 33.000 auf 70.000.

Schlüssel ist das Handy

Die beiden Anbieter, hinter denen der Daimlerkonzern (Car2Go) respektive BMW und der Autoverleiher Sixt zu gleichen Teilen stehen (Drive Now), unterhalten in Wien mittlerweile einen Fuhrpark von 1300 Autos, deren gemeinsamer Schlüssel jedes App-bewehrte Smartphone ist.

Eine Menge Blech, das da hereinschneit, ohne dass es traditionelle Käufer oder Besitzer gefunden hätte. Insgesamt fällt die Menge allerdings nicht bedeutend ins Gewicht: In Wien werden im Schnitt um die 5000 Autos pro Monat zugelassen.

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Allerdings soll die eine Zahl die andere dennoch signifikant beeinflussen. Die modernen Carsharer haben sich nicht viel weniger auf die Fahnen geheftet, als die Städte vom Übel des Autos in seiner massenweisen Verbreitung zu befreien. Und zwar mit Autos.

So lautete denn ein früherer Kritikpunkt des Geschäftsmodells, dass sich die Hersteller nur einen neuen Vertriebsweg eröffnen wollten und als allerletzes im Sinn hätten, weniger Autos zu verkaufen.

Während der Verdacht nicht gänzlich abwegig ist, sind darüber hinaus andere Motive im Spiel. Das Ende des klassischen Modells von Erwerben und Besitzen eines Pkw sagen Zukunftsforscher schon lange vorher. Fakt ist, dass der Erhalt und Betrieb eines Autos in vielen Metropolen bereits zur Bürde geworden ist, und dass speziell Millenials und Urban Professionals, der Marktforschung liebste Peergroups, ganz gut und immer besser ohne auskommen.

Im Idealfall schaut das Schema so aus: Hersteller verkauft Tochterfirma Autos, die erwirtschaftet mit dem Verleih einen Gewinn, und wenn die Nutzer doch irgendwann kaufen wollen (weil sie Kinder bekommen und in die Vorstadt ziehen), hätte man schon einen Fuß in der Tür, immerhin ist man sich schon ein bisschen vertraut. Ging es mit dem kärglichen, zweisitzigen Smart los, umfasst das Angebot heute flotte Cabrios, schicke SUVs und Elektroautos – sichtlich geht es um mehr, als von A nach B zu kommen.

Klingt nach Win-win für die Hersteller? Darauf möchte man wetten, denn schon ist das Wettrennen um Mobilitätsdienstleistungen losgegangen. In den USA ist mit GM der größte Hersteller der Nation an den Start gegangen (auf der Plattform Maven wird GM-Tochter Opel im nächsten Jahr in Europa starten), und Volkswagen steht kurz davor (Tochter Audi ist versuchsweise in Hongkong vorgeprescht). Nahezu im Monatstakt werden neue Städte ins Programm aufgenommen, es reicht von Hamburg über Berlin und Brüssel bis nach Madrid und Mailand. In den USA geht es in ähnlichem Tempo voran.

Was aber haben die Städte davon? In Wien hat sich Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou frühzeitig für Carsharing stark gemacht. Sie folgte dem Argument der Betreiber, dass der Dienst schlicht Autos einspart. Die Absolution für die Betreiber (und auch Vassilakou) wurde in Form einer Studie erteilt, vorgestellt im Frühjahr. Sie kam zum Schluss, dass Carsharing als Mobilitätsversicherung angenommen wird und – zentraler Punkt für Stadtpolitiker – keine Konkurrenz zum öffentlichen Nahverkehr darstellt. In Wien, so die Studienautoren, ersetze ein CS-Fahrzeug ca. fünf private Pkw. Die daraus resultierende Fahrleistungsreduktion betrage jährlich 44 Mio. Pkw-Kilometer (Studienzeitraum: Frühling 2013 bis Herbst 2015).

Nachdem an dieser Darstellung bisher nichts beeinsprucht wurde, können sich Carsharing-Anbieter auf ein etwas leichteres Leben einstellen – die bestehenden und vor allem jene, die noch kommen werden. Obwohl Car2Go in Wien als Pionier die größten Steine aus dem Weg räumte, hatte Drive Now noch seine liebe Not mit der einen oder anderen Magistratsabteilung. Erst seit Kurzem sei man von der Höchstparkdauer ausgenommen, dürfe man die Parkgebühr pauschal entrichten. In allen Dingen wolle man „im Einklang mit der Stadt“ vorgehen, heißt es aus dem Unternehmen. Neuankömmlinge bereiteten keine Sorgen, denn bei zwei Mio. Einwohnern stünde man mit knapp 200.000 Nutzern quasi erst am Anfang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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