Theater in der Phrasenkammer

Schauspieler Peter Wolf (Ganymed Dreaming)
Schauspieler Peter Wolf (Ganymed Dreaming)Helmut Wimmer
  • Drucken

Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf, Erfinder von „Ganymed Boarding“, bespielen mit Texten von Schuh, Setz oder Nöstlinger das Parlament.

Der speziellste Raum, sagt Jacqueline Kornmüller, sei für sie das Teezimmer gewesen. Ein winziger Ort, das „Hinterzimmer der Politik“: Ein heruntergekommener Raum, in dem es ein bisschen schimmelt, der aber auch schön sei mit seinem runden Tisch, seinem abgeschabten Ledersofa und der kleinen Tür, hinter dem sich ein Gang und ein kleines Bett verbergen. Und auf diesem Bett liege ein Buch, dessen Titel: „Zorn“.

Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf haben viele solcher Orte im Parlament erkundet, und einige davon werden nächste Woche jedem offen stehen: Zum Nationalfeiertag lädt das Haus zum Tag der offenen Tür, und weil es das letzte Mal vor dem Umbau ist, wird es auch Schauplatz eines Kunstprojekts durch „wenn es so weit ist“ – jenen Verein, der schon im Kunsthistorischen Museum für Aufsehen sorgte.

Insgesamt acht Schriftsteller haben Kornmüller und Wolf um Texte gebeten – Autoren, die sich um den Zustand der Demokratie in ihrem Land bemühen, die „sich einmischen wollen“. Manche haben ihren Text für einen bestimmten Ort im Hohen Haus geschrieben. Etwa Clemens Setz (ein „gscheiter Hund“) für den Empfangssalon, Juli Zeh fürs Ministerratszimmer, einen dunkelgrünen Raum mit Teppichboden und dick gepolsterten Ledersesseln. Und Angelika Reitzer etwa kam ihre Idee just beim Anblick des Teesalons.

Fragen unserer Gesellschaft

Das erste Mal ans Hohe Haus gedacht, sagt Peter Wolf, habe er bei ihrem Projekt „Die Reise“ im Volkstheater. Mehr als 30 Menschen aus 20 Nationen hatten damals, „weit vor der Flüchtlingskrise“, mitgewirkt – aber bis auf den (mitfinanzierenden) Wiener Kulturstadtrat sei zu den ausverkauften Vorstellungen kein Politiker gekommen. „Da haben wir uns gedacht, warum gehen wir nicht ins Parlament?“

Umso reizvoller sei nun der Auftrag von Nationalratspräsidentin Doris Bures, diesen politischen Ort zu bespielen. Weil es ihrem Kunstverständnis entspreche, so Kornmüller: „Dass es um das geht, was wir in unserer Gesellschaft zu verhandeln haben.“ Noch nie habe sie sich so aktiv mit Politik beschäftigt. „Es macht geradezu süchtig.“

Begonnen hat ihr Theater der eher ungewöhnlichen Art dabei am Hamburger Schauspielhaus. Da wollte sich Kornmüller mit dem Altern befassen – und setzte eine zweizeilige Anzeige ins „Hamburger Abendblatt“: Gesucht seien Menschen über 65, die gern auf der Bühne des Schauspielhauses stehen würden, können müsse man nichts. 1200 Leute haben sich gemeldet, Kornmüller sprach mit jedem von ihnen.

Nach seiner Übersiedlung nach Wien entdeckte das Paar das Josephinum, wo es einen Text von Franz Schuh als Stationentheater in Szene setzte – und damit „erstaunliche Lebenslust“ erzeugte. Dem folgte der große Erfolg von „Ganymed Boarding“, wo man mit Texten von Autoren wie Thomas Glavinic und Schauspielern zur neuen Sicht auf alte Meister lud.

Am Herzen liegt Kornmüller nun Christine Nöstlingers Rede, die diese im Vorjahr im Parlament gehalten hat. Sie erzählt von der achtjährigen Nöstlinger, die im Nationalsozialismus ihre Umgebung beobachtet – und schlägt Brücken zur Angst vor dem Fremden im Heute. Den Bogen schlägt Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer – er hat einen Text für ein achtjähriges Kind im Zeltlager Krumpendorf geschrieben. Franz Schuh räsoniert über die „Strenge Kammer der Phrasen“, Federspiel intonieren die Bundeshymne. So stimmungsvoll, dass man vor Pathos und Stolz vergehen könnte – bis immer mehr Instrumente dazustoßen: Das Ende ist wild, aber kraftvoll.

Zensur sei im Übrigen tabu gewesen. Bei der gestrigen Vorstellung des Projekts habe Bures die Texte von Setz und Zeh das erste Mal gehört – „und sich dabei sicher einiges gedacht“. Nicht geglückt ist die Idee, alle Abgeordneten für Gespräche mit Besuchern ins Haus zu holen. Überhaupt habe es Widerstände gegeben. Etwa die Sorge, dass das Parlament ohnehin als Theater verschrien sei – da müsse man das nicht auch noch theatralisch überhöhen. Man habe jedenfalls viel Erklärungsarbeit geleistet, erzählen die beiden. „Dass wir hier spielen, ist ein außergewöhnlicher Vorgang.“

AUF EINEN BLICK

„Im Herzen der Demokratie“ heißt das Projekt von Regisseurin Jacqueline Kornmüller und Schauspieler Peter Wolf, mit dem zum Nationalfeiertag das Parlament bespielt wird. Juli Zeh, Clemens Setz, Christine Nöstlinger, Paulus Hochgatterer, Milena Michiko Flašar, Franz Schuh, Angelika Reitzer und Martin Pollack haben Texte zur Verfügung gestellt, Schauspieler wie Sona MacDonald und Musiker wie Federspiel oder die Strottern spielen. Offenes Parlament am 26. Oktober, 10 bis 17 Uhr, Kunstprojekt allein nochmals am 27. Oktober von 16 bis 22 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.