Frankreich begann mit Abriss von Flüchtlingslager bei Calais

Noch sind Tausende Menschen im "Dschungel" von Calais - doch am Rande wird bereits abgerissen.
Noch sind Tausende Menschen im "Dschungel" von Calais - doch am Rande wird bereits abgerissen.REUTERS
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Ein Trupp von Arbeitern rückte mit Presslufthämmern an. Planierraupen warten vorerst. Der Innenminister verischert den tausend Migranten eine sichere Unterkunft.

Frankreich hat mit dem Abriss des Flüchtlingslagers nahe der Hafenstadt Calais begonnen, das seit Wochenbeginn geräumt wird. Rund 20 Arbeiter machten sich am Dienstag mit Presslufthämmern an den provisorischen Behausungen zu schaffen, wie Reporter berichteten. Etwa tausend Flüchtlinge erhielten eine sichere Unterkunft, teilte Innenminister Bernard Cazeneuve in der Pariser Nationalversammlung mit.

Zwei Planierraupen standen in der Nähe des Lagers bereit. Einige Hütten gingen in Flammen auf. Auch am zweiten Tag der Räumungsaktion warteten mehrere hundert Migranten mit ihren Habseligkeiten darauf, in die rund 450 Aufnahmezentren im gesamten Land gefahren zu werden. Am Montag waren die ersten rund 2300 Personen mit Bussen aus dem Lager gebracht worden. Das aus Zelten, einfach gezimmerten Hütten und alten Wohnwagen bestehende Camp ist auch als "Dschungel" bekannt. Es gilt als Sinnbild einer gescheiterten Flüchtlingspolitik in Europa.

Abbrucharbeiten per Hand - zunächst

Die Räumung verlief den Behörden zufolge weitgehend friedlich, nachdem in der Nacht zu Montag zunächst Gruppen von Migranten Feuer gelegt und Steine auf Sicherheitskräfte geworfen hatten. Auch am Wochenende war es vereinzelt zu Rangeleien gekommen. Am Dienstag waren für kurze Zeit schwarze Rauchwolken über dem Lager zu sehen. Ein Sprecher des Innenministeriums in Paris sagte, beim Abriss würden nicht sofort Bulldozer eingesetzt. Die Abbrucharbeiten würden per Hand begonnen, um Spannungen zu vermeiden.

Das nahe der französischen Hafenstadt am Ärmelkanal gelegene Lager soll bis zum Wochenende evakuiert werden. In dem Camp lebten nach Regierungsangaben zuletzt rund 6500 Menschen, vornehmlich aus Syrien, Afghanistan und Eritrea. Ihr Ziel ist eigentlich Großbritannien, das die Aufnahme der Migranten aber mit Verweis auf das EU-Asylrecht verweigert. Danach muss ein Antrag in dem Land gestellt werden, in dem die Flüchtlinge erstmals den Boden der Europäischen Union (EU) betreten. Seit Monaten versuchen die Bewohner des "Dschungels" daher, illegal auf Lastwagen oder Züge zu gelangen, die über Calais auf die britische Insel fahren. Großbritanniens Innenministerin Amber Rudd hat zugesagt, ihr Land werde etwa die Hälfte der rund 1300 Kinder und Jugendliche aufnehmen, die ohne Eltern in dem Camp lebten.

Sozialarbeiter verteilen Flugblätter

Um die Räumung zu beschleunigen, gingen Sozialarbeiter und Übersetzer durch die in den Sanddünen gelegene Zeltstadt, um Flugblätter zu verteilen. "Alles in allem haben die Migranten verstanden, dass die Zeit für den Dschungel abgelaufen ist", sagte Sozialarbeiter Serge Szarzynski. Die meisten hätten sich einsichtig gezeigt. Auch der 21-jährige Afghane Aarash sieht das so. Allerdings will er nach eigenen Worten darauf bestehen, in eine gute Stadt umgesiedelt zu werden, etwa nahe Paris. Ansonsten werde er zurückkommen. Der 32 Jahre alte Afghane Khan zeigte sich dagegen entschlossen, zu bleiben und "einen anderen Dschungel aufzubauen". Er wolle nicht in Frankreich leben.

Ärzte ohne Grenzen kritisierte, dass nur sehr grob anhand eines Gesichtschecks überprüft werde, wer minderjährig sei und damit auf das spezielle Asylverfahren hoffen dürfe. Die Regierung will das Entstehen neuer illegaler Camps in Calais und an der Küste verhindern. "Die Ordnungskräfte vor Ort werden Kontrollen durchführen, vor allem an den Bahnhöfen", hatte Cazeneuve angekündigt.

Die Auflösung soll nach Angaben der Präfektur etwa eine Woche dauern. Wie mit den sogenannten Widerspenstigen umgegangen werden soll, die unbedingt bleiben wollen, wird nicht offen gesagt. Inoffiziell ist zu hören, dass am Ende auch Polizei eingesetzt werden könnte.

(APA/Reuters/AFP)

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