Der Kreis der G8 hat sich zunehmend als ineffizient erwiesen, am deutlichsten im Zuge der Finanzkrise. Die Schwellenländer haben sich mittlerweile zu ebenbürtigen Partnern entwickelt.
Washington/PITTSBURGH. Es gehört gewissermaßen zur Gipfelfolklore, dass bei der Konfrontation von Polizei und militanten Globalisierungsgegnern Auslagenscheiben zu Bruch gehen und Tränengasschwaden aufsteigen. Doch über den rituellen Charakter der Auseinandersetzung hinaus hat sich die Rage gegen die Exzesse der Banker und die Dringlichkeit einer Finanzmarktreform beim dritten Treffen der G20-Staaten innerhalb eines Jahres in Pittsburgh ein wenig verzogen. Zumal sich auch die Schockwellen der globalen Finanzkrise allmählich verlaufen. „Die Rezession ist vorbei, die Krise noch nicht“, konstatierte Frankreichs Finanzministerin Christine Lagardère.
Während die „Sherpas“ der Staats- und Regierungschefs noch an nebulosen Formulierungen für das Schlussdokument – etwa über die Begrenzung von Bonizahlungen – feilten, schlug die Tagespolitik die Hauptakteure in ihren Bann. Die Enthüllung einer zweiten Nuklearanlage im Iran überlagerte die Wirtschaftsagenda und zwang die Politiker zu einer eiligen Reaktion und einer akkordierten Linie gegenüber Teheran.
Kräfteverschiebung im IWF
Zumindest eine realpolitische Klarstellung hat der G20-Gipfel erbracht. In der einstigen Stahlstadt Pittsburgh, die im Zuge der Stahlkrise selbst zum Modell für den Strukturwandel geworden ist, hat sich der Kreis der 20 Industrie- und Schwellenländer endgültig zum maßgeblichen welt- und wirtschaftspolitischen Forum etabliert. Die G20 repräsentieren 90 Prozent der Weltwirtschaft.
Waren China, Indien, Südafrika oder Brasilien oft nur als symbolische Gäste an den Tisch der G8 geladen – eher geduldet als anerkannt –, so sind sie nun fixer Bestandteil des internationalen Konferenztourismus. Nur Italiens Premier Silvio Berlusconi, der als aktuellen G8-Vorsitzender agiert, äußerte seinen Vorbehalt. Er hätte lieber den exklusiven Zirkel der G8 gewahrt. Doch der Kreis der G8 hat sich zunehmend als ineffizient erwiesen, am deutlichsten im Zuge der Finanzkrise im Vorjahr. Geschaffen in den Nachwehen der Finanzkrise 1999 in Asien als Plattform der G20, haben sich die Schwellenländer mittlerweile zu ebenbürtigen Partnern der klassischen Industrienationen entwickelt.
Die Kräfteverschiebung schlägt sich auch im Internationalen Währungsfonds (IWF) nieder. Die aufstrebenden Volkswirtschaften, insbesondere China und Indien, erhalten einen größeren Einfluss im IWF: Ihr Stimmenanteil wächst um fünf Prozent.
In den großen Zügen waren sich die G20 also einig. „Wir werden nicht aus der schlimmsten Finanzkrise seit der Depression herausgehen, ohne dass wir nicht die tragischen Schwachpunkte beseitigen, die zu dieser Krise geführt haben“, schwor US-Finanzminister Timothy Geithner. Doch in den Detailfragen war es weitaus schwieriger, einen Konsens zu finden. Der jüngste Konflikt der USA mit China über die Einführung von Handelszöllen für chinesische Autoreifen beleuchtet exemplarisch die Gegensätze zwischen den konkurrierenden Wirtschaftsnationen. Das Plädoyer für eine Liberalisierung des Welthandels ist angesichts bestehender Handelsschranken, von Agrarzöllen und Subventionen, Makulatur. Auf dem Tapet stand zudem das Ungleichgewicht zwischen Exportnationen wie China und Deutschland und Staaten wie den USA, die auf Pump leben.
Dissens über Finanzaufsicht
Gegen den Widerstand der USA und Großbritanniens fordern Deutschland und Frankreich schärfere Regularien für die Finanzmärkte. Die Reform für die Finanzaufsicht, die US-Präsident Barack Obama lanciert, geht Berlin und Paris entschieden zu wenig weit. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück, der in großkoalitionärer Eintracht mit Kanzlerin Angela Merkel eine Wahlkampfpause einlegte, erwägt sogar die Einführung eines nationalen Regelwerks. In einer Absichtserklärung fordern die G20 als kleinsten gemeinsamen Nenner spätestens in vier Jahren strengere Eigenkapitalvorschriften für die Banken. Die Grundzüge für eine Reform sollen laut Zeitvorgabe Ende nächsten Jahres feststehen.
Im Dissens über die Beschränkung der Bonizahlungen für Manager haben die G20 einen Kompromiss ausgetüftelt. Demnach sollen Prämien nicht einfach nur ausgeschüttet werden, sondern teils als Gewinnbeteiligung an die Firma gekoppelt werden. Entsprechend soll es auch einen Malus als Pönale für schlechtes Wirtschaften geben.
AUF EINEN BLICK
■Die G20-Staaten einigten sich bei ihrem Treffen in Pittsburgh auf unverbindliche Richtlinien für die Finanzaufsicht, die bis Ende 2012 in Kraft treten sollen. In der strittigen Frage der Bonizahlungen wurde ein Kompromiss erzielt: Boni sollen auch als Aktien ausgeschüttet werden. Eine Obergrenze wird es jedoch nicht geben. Bei Misserfolg droht ein Malus.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2009)