Die Gründe für den Triumph des Außenseiters

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Hillary Clinton konnte die breite Wählerkoalition von Barack Obama nicht mobilisieren. Dank einer der niedrigsten Wahlbeteiligungen seit 2000 reichte es Donald Trump, seine Front weißer, ländlicher Wähler zu mobilisieren.

Washington. Die Obama-Koalition: Nach seinem glanzvollen Sieg vor acht Jahren schien die Anziehungskraft von Präsident Barack Obama auf eine bunte Wählerschaft aller Ethnien und sozialer Schichten ein Zeitalter dauerhafter politischer Dominanz der Demokratischen Partei einzuläuten. Diese Idee, dass eine ethnisch zusehends gemischte und auf absehbare Zeit nicht mehr mehrheitlich weiße amerikanische Gesellschaft eine Garantie für demokratische Wahlsiege abgegeben würde, hatte sich bei Vordenkern der Partei schon verfestigt, als sich Obama noch im Senat des Teilstaates Illinois in ziemlicher Obskurität erste politische Sporen verdiente. „The Emerging Democratic Majority“ nannten der Journalist John B. Judis und der Politikwissenschaftler Ruy Teixeira ihr im Jahr 2002 erschienenes Buch, in dem sie folgende These aufstellten: Die Bevölkerung der USA wächst dort am schnellsten, wo die Demokraten erstens am stärksten sind und zweitens die Kernanliegen der Partei – Sozialstaat, das Recht auf Abtreibung, Umweltschutz – die Wähler besonders motivieren.

Diese demografischen Umstände würden „eine neue Welle demokratischer Wähler schaffen, die einen progressiven Zentrismus unterstützen“, resümierten Judis und Teixeira. Kurzum: eine Koalition urbaner, aufgeklärter Liberaler, die in Barack Obama eine perfekte Leitfigur fanden.

Doch die erstaunliche Wahl von Donald Trump zum Nachfolger Obamas im Weißen Haus legte die fundamentale Schwäche dieser These offen: Die Demokraten mögen dank der starken Zuwanderung und der hohen Geburtenraten vor allem in hispanischen Familien einen demografischen Vorteil haben – doch die republikanischen Wähler sind angesichts dieser Entwicklung umso motivierter, tatsächlich wählen zu gehen. „Ohne Barack Obama gibt es keine Obama-Koalition. Seine Anhänger haben Hillary Clinton nicht so stark unterstützt, wie sie gebraucht hätte. Ihre Botschaft war: Ich bin nicht Donald Trump. Das ist nicht sehr inspirierend“, sagte die Politikwissenschaftlerin Amy Walters von „Cook Political Report“ am Mittwoch im National Public Radio.

Zugespitzt: Je mehr im öffentlichen Diskurs davon die Rede war, dass die Vorherrschaft der weißen Protestanten in den USA nach 240 Jahren einem gleichsam naturgesetzlichen Ende zusteuert, desto größer waren Angst, Ressentiment und Motivation dieser noch immer größten Wählerschicht.

Weiße Front gegen Clinton

Eine Analyse von Bloomberg News, auf Basis der vorläufigen Wahlergebnisse und Daten der US-Statistikbehörde, illustriert anschaulich, welche Amerikaner Trump wählten und wieso er mit seiner Botschaft eines autoritären Ethnozentrismus siegreich war. Doch wer nun seine Anhänger pauschal als Rassisten und Frauenhasser abtut, übersieht die tiefe gesellschaftliche und wirtschaftliche Entfremdung vieler Menschen in Middle America, den im Landesinneren gelegenen Regionen, die von den kosmopolitischen Eliten an Ost- und Westküste als „Flyover Country“ verhöhnt werden.

Trump gewann zum Beispiel mit 62 zu 33 Prozent in jenen Wahlbezirken, in denen zumindest 85 Prozent der Wähler weiß sind. Obama erreichte in diesen Wahlkreisen vor vier Jahren bei seiner Wiederwahl 41 Prozent: ein schlüssiges Argument dafür, dass der zweifellos vorhandene Rassismus nicht als Erklärung für Trumps Sieg taugt.

Clinton schnitt bemerkenswerterweise in den Bezirken, wo mindestens 60 Prozent der Menschen nicht weiß sind, besser ab als Obama. Doch das reichte nicht, um den Rückstand auf ihren Gegner wettzumachen.

Der ökonomische Status war ebenfalls ein klarer Indikator für Trumps Sieg. Er bekam 52 Prozent der Stimmen in Gegenden, in denen das gemittelte Einkommen zwischen 25.000 und 30.000 Dollar pro Jahr liegt, also in der unteren Mittelschicht. Damit lag er neun Prozentpunkte vor Clinton. Zum Vergleich: Obama lag im Jahr 2012 in diesen Bezirken einen Prozentpunkt vor Romney.

Trumps Wähler definieren sich wesentlich stärker als Amerikaner, als dies Clintons Anhänger tun. Es gibt eine rund 22 Millionen Menschen umfassenden Gruppe, die bei der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung amerikanisch als Herkunft angeben (und nicht, wie ein Drittel aller US-Bürger, deutsch, irisch oder englisch). In jenen Bezirken, in denen zumindest jeder fünfte Einwohner sich selbst so sieht, lag Trump mit 70 zu 27 Prozent vor Clinton. Zwar ist jeder siebente US-Bürger in Ausland geboren. Doch noch gibt es einige Gegenden, in denen 97 Prozent der Einwohner geborene Amerikaner sind. Hier lag er mit 65 zu 30 Prozent vor Clinton – eine Verbesserung um sieben Prozentpunkte gegenüber Romneys Resultat.

In diesen Gegenden, vor allem in den Appalachen, baute Trump jene starken Mehrheiten auf, die ihm unter anderem in den demokratischen Hochburgen Ohio und Pennsylvania halfen, die urbanen Mehrheiten Clintons zu übertreffen. In ländlichen Kleinstädten bekam sie nicht einmal 30 Prozent der Stimmen. Nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad aufgeschlüsselt gewann die frühere Außenministerin nur eine Gruppe: weiße Akademikerinnen. Sie hatte hier 51 Prozent, was nicht reichte, den Rückstand in allen anderen Untergruppen wettzumachen. Generell lag Clinton bei Akademikern schlechter als Obama.

Knapp neun Millionen weniger Wähler

All diese Effekte hätten Clinton jedoch vermutlich nicht berührt, wäre sie nicht derart katastrophal darin gescheitert, Obamas Anhänger von vor vier Jahren zu den Urnen und an die Wahlmaschinen zu bewegen. Rund 59,1 Millionen Stimmen erhielt sie vorläufig: das waren um rund 6,8 Millionen weniger demokratische Wähler als bei Obamas zweitem Wahlsieg. Trump erhielt auch wesentlich weniger Stimmen als der von ihm oft geschmähte Romney vor vier Jahren. Doch sein Defizit betrug nur knapp zwei Millionen Wähler. Zugespitzt könnte man sagen: Trump hat gewonnen, weil er weniger verloren hat als Clinton. Romney erhielt im Jahr 2012 rund 60,9 Millionen Stimmen, Trump 59 Millionen. Damit lag er landesweit hinter Clinton, die vor Ende der Auszählung in allen Teilstaaten mehr als 59,1 Millionen Stimmen bekommen hat – aber eben nicht die 65,9 Millionen der Obama-Koalition.

Der Politikwissenschaftler Henry Olsen meinte zwar im Gespräch mit der „Presse“, dass noch rund zehn Millionen Stimmen ausgezählt werden und letztlich etwas mehr Amerikaner gewählt haben werden als vor vier Jahren. Doch ungeachtet dessen finden sich die Demokraten in einer paradoxen Lage. Einerseits haben sie nun seit 2000 bei vier von fünf Präsidentenwahlen jedes Mal die absolute Mehrheit erlangt. Andererseits sind sie zweimal davon nicht ins Weiße Haus gekommen. Denn sie legen in ihren Hochburgen zu – und das sind wertlose Zuwächse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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