Elisabeth Freismuth: „Graz hat ein sehr dichtes Kulturleben“

Kunstsinnig: Elisabeth Freismuthmag Menschen, „die eine derartige Passion für ihr Studium haben“.
Kunstsinnig: Elisabeth Freismuthmag Menschen, „die eine derartige Passion für ihr Studium haben“.(c) Clemens Fabry
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Die Kunstuniversität Graz feiert derzeit ihr 200. Jubiläum. Rektorin Elisabeth Freismuth schwärmt vom offenen Campus dieser ehemaligen Singschule, an der nun 2300 Menschen aus 68 Ländern studieren.

Sie waren in Wien viele Jahre in leitenden Funktionen an der Musikuniversität und im Wissenschaftsministerium tätig. 2014 haben Sie sich aber dazu entschieden, als Rektorin an die Kunstuniversität Graz zu gehen. Wieso macht das eine Wienerin?

Elisabeth Freismuth: Es hat sich einfach so ergeben, dass ich mein Berufsleben an Universitäten verbracht oder ihnen vom Ministerium aus gewidmet habe. Als die Findungskommission mich auf die Stelle als Rektorin in Graz ansprach, habe ich noch einmal intensiv darüber nachgedacht, was das Besondere an solch einer Arbeit ist, was mich dazu motiviert: Ich mag es, für junge Menschen verantwortlich zu sein, die eine derartige Passion für ihr Studium haben. Ich hatte schon den Vertrag für die Verlängerung meiner Stelle als Sektionschefin, habe mich dann aber mit Begeisterung für Graz entschieden.

Wussten Sie damals, auf was Sie sich einlassen? Und was sind Ihre ersten Eindrücke?

Der allererste Eindruck war die unglaubliche Herzlichkeit der Menschen und ihre hohe Bereitschaft, sich mit der Kunstuniversität zu identifizieren. Besonders hat mich beeindruckt, wie sehr sich die Politiker von Stadt und Land für uns interessieren. Hier in Graz arbeiten alle sehr eng zusammen, die tertiären Bildungseinrichtungen, die Kulturinstitutionen – da gibt es einen deutlichen Unterschied zu Wien.

Geht Ihnen Wien denn gar nicht ab?

Graz ist zwar wesentlich kleiner, aber man findet auch hier alles vor, es gibt ein sehr dichtes Kulturleben, und die Kunstuniversität ist ein wichtiger Mitspieler. Die Zusammenarbeit mit der Oper, dem Schauspielhaus Graz und dem Kulturfestival Steirischer Herbst ist hervorragend. Beim „Herbst“ hat es eben eine Uraufführung gegeben: „Paradise“ ist das konkrete Ergebnis eines Kompositionswettbewerbs an unserem Haus. Wir machen zudem mit der Oper die Reihe „OpernKurzgenuss“ – Kurzopern an ungewöhnlichen Orten der Stadt. Unsere Studentinnen und Studenten sind auch am Projekt „Der Mondmann“ im Schauspielhaus beteiligt, die Jazzer sind im Orpheum sehr aktiv. Diese starke Einbettung unterscheidet sich sehr von der Situation in Wien.

Und alles ist sogar noch fußläufig . . .

Ja. Anfangs war ich hier bei jedem Termin viel zu früh, weil ich die von Wien gewohnte halbe Stunde Anreise eingeplant habe. Unser Campus ist sehr attraktiv, besonders, seit die Mauer um die Gebäude herum abgerissen wurde. Die Menschen nehmen den neuen Platz sehr an. Skater versammeln sich dort, und unsere Theaterstudenten proben oft im Freien. Wir wollen einen offenen, lebendigen Campus haben, deshalb gehen wir auch hinaus, nehmen auf neue Weise soziale Aufgaben wahr. Gemeinsam mit der Caritas bieten wir etwa mit ehemaligen Studierenden Chorunterricht in Volksschulen mit hohem Migrationsanteil. Wir haben starkes, positives Feedback. Die Schüler werden konzentrierter, aufmerksamer. Oder Meet4Music, das ist ein offenes Ensemble, bei dem alle mitmachen können, über die Caritas auch Flüchtlinge eingebunden werden.

Welche Lernprozesse gab es für Sie sonst?

Ich habe in 23 Jahren an der Musikuniversität in Wien so ziemlich alles erlebt, was in einem künstlerisch-wissenschaftlichen Umfeld passieren kann. Das sind auch sehr schöne Erfahrungen, etwa die Energie, die meine Studierenden mir bei meinem Unterricht am Reinhardt-Seminar zurückgegeben haben. Die Zusammenarbeit mit den Lehrenden hier in Graz und auch mit Senat und Universitätsrat entwickelt sich gut. Bei meiner Arbeit als Rektorin hilft mir sicher auch, dass ich lang für das Ministerium gearbeitet habe. Als Sektionschefin lernt man auch recht schnell, wie Politik funktioniert.

Die Kunstuniversität Graz feiert derzeit den 200. Geburtstag. Es begann mit einer Singschule. Wie hat sich das dann entwickelt?

Die Entwicklung ist fast parallel zu jener der Musikuniversität in Wien, die Grazer Institution ist aber ein wenig älter, die älteste in Österreich: 1815 wurde der Steiermärkische Musikverein gegründet, die Bürger haben sich damals emanzipiert. Sie gründeten dann 1816 eine Singschule für die Jugend. Daraus haben sich zwei Zweige entwickelt. Genau genommen gibt es heuer ein Doppeljubiläum.

Wer jubiliert denn heuer noch in Graz?

Aus dieser ersten Schule hat sich auch das Johann-Joseph-Fux-Konservatorium entwickelt. Das feiert ebenfalls. Von Anfang an gab es in Graz enge Verbindungen zur Wiener Klassik. Anselm Hüttenbrenner etwa, 1824 bis 1839 Leiter des Steiermärkischen Musikvereins, der bei Antonio Salieri in Wien studierte, war mit Franz Schubert befreundet. Er kannte auch Ludwig van Beethoven. Als der 1827 in Wien starb, war Hüttenbrenner zufällig bei ihm. Er schnitt dem Toten als Souvenir eine Locke ab. Sie befindet sich heute zusammen mit seinem Stammbuch im Universalmuseum Joanneum. Dieser frühe Musikvereinschef besaß auch die Originalpartitur von Schuberts „Unvollendeter“. Sie wurde erst aufgeführt, nachdem Hüttenbrenner sie 1865 nicht mehr unter Verschluss hielt. Schubert hatte ihm die Noten angeblich zum Dank dafür geschenkt, dass er ihm die Ehrenmitgliedschaft bei seinem Verein vermittelt hatte.

Wo liegen die Stärken Ihrer Universität?

Unsere Jazzausbildung ist Europas älteste kontinuierlich auf akademischem Niveau betriebene, im Vorjahr gab es das 50. Jubiläum. Das Institut ist hervorragend. Auch im wissenschaftlichen Bereich, dem Institut für Elektronische Musik und Akustik, sind wir stark, das Schauspielinstitut entwickelt sich prächtig. Viel zu bieten haben wir in der zeitgenössischen Musik – Beat Furrer, Clemens Gadenstätter, Georg Friedrich Haas, Gerd Kühr, Klaus und Bernhard Lang zählen zur Topliga nicht nur dieses Landes. Bei unserer Feier letzten Mittwoch gab es eine Uraufführung: Klaus Lang, Professor für Komposition an unserem Haus, hat zum Jubiläum das Werk „200 Jahre bewegte Luft“ geschaffen – von 18.16 bis 20.16 Uhr haben mehr als hundert Aufführende im Musikverein in unterschiedlichen Räumen zeitgleich gespielt.

Was hat Sie als Juristin zur Kunst gebracht?

Es war umgekehrt. Ich habe zuerst Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Das Studium der Rechtswissenschaften machte ich nebenbei. Meine Schwester hat mir dazu geraten. Dann wurde Jus zur Hauptsache, aber auch das andere Studium habe ich weiter betrieben. Bis auf die Dissertation und die Rigorosen war ich eigentlich fertig. Jetzt bin ich in meinem Traumberuf. Diese Gestaltungsmöglichkeit für eine Universität mit 2300 Studierenden ist etwas Schönes. Und man sieht auch so schnell Ergebnisse. Das ist in einem Ministerium nicht so leicht der Fall. Als Rektorin ist man Managerin für einen sehr großen Betrieb, für eine Non-Profit-Organisation. 60 Prozent unserer Studierenden kommen aus dem Ausland. Wir bilden international aus, da gibt es kein Ausruhen, die Konkurrenz ist auch international. Graz liegt nicht an der großen Einflugschneise, wir müssen uns also doppelt anstrengen. Unser Außenauftritt ist daher enorm wichtig.

Bei Kunstuniversitäten gibt es Aufnahmeprüfungen. Hätten Sie sich das im Ministerium auch für alle anderen Unis gewünscht?

Die Universitätsrektorinnen und -rektoren haben sich darauf verständigt, dass es an österreichischen Universitäten flächendeckende Aufnahmeverfahren geben soll. Anders geht es nicht, wenn nicht mehr Geld zur Verfügung steht. An Kunst-Unis gibt es seit jeher Zulassungsprüfungen, wir nehmen zum Beispiel bei den Instrumentalstudien ungefähr 30 Prozent der Bewerber auf, beim Schauspiel circa fünf Prozent. Da geht es nicht um Elitenbildung – das wäre ganz falsch –, sondern um die Berufschancen nach dem Studium, zumal viele Studierende finanziell nicht so abgesichert sind.

Was tun Sie gegen so eine Entwicklung?

Bei einem meiner ersten Gespräche mit der HochschülerInnenschaft kam auch zur Sprache, dass es unter den Studierenden eine hohe, wenn auch versteckte Bedürftigkeit gibt. Ich habe also ein Mentoring-Programm gestartet, um gegenzusteuern. Die Hauptzielgruppen sind Studierende aus Ex-Jugoslawien, Russland, der Ukraine, den kriegsführenden Staaten, wir haben aktuell junge Menschen aus 68 Nationen. Ich möchte keine Talente verlieren, nur weil sie sich das Studium nicht leisten können.

Was würden Sie sich von Ex-Kollegen im Ministerium in Wien, der Politik wünschen?

Einfach ein stärkeres Vertrauen in die Autonomie der Unis. Wir haben ein überbordendes Berichtswesen. Das würde ich gern reduziert wissen. Binnen Kurzem haben es die Hochschulen geschafft, die größer gewordene Autonomie wirklich zu nutzen. Jetzt wäre es an der Zeit, Bürokratie abzubauen. ?

Frau Freismuth, darf man Sie auch fragen,...

1. . . ob Sie nicht doch lieber Künstlerin als Rektorin geworden wären?

Nein. Mir gefällt es sehr gut, Kulturmanagerin zu sein. Ich finde es ideal, mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten zu können. Das gibt unglaubliche Energie . . . und Freude.


2. . . ob Sie gern mit Politikern streiten, unter Umständen sogar mit Ministern?

Natürlich, wenn es erforderlich ist. Dann bin ich konsequent, da darf man dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen. Da ist Schluss mit lustig.


3. . . ob Ihnen bei all den Managementaufgaben noch Zeit für die Muse bleibt?

Wenig – aber wenn ich Zeit habe, nutze ich sie für Premieren, ob in Salzburg oder Bayreuth, das ist manchmal ein bissl stressig, muss aber sein!

Steckbrief

Am 14. 12. 1955
wird Elisabeth Freismuth in Wien geboren, sie studiert Jus, Geschichte und Kunstgeschichte an der Uni Wien. Nach kurzer Tätigkeit als Assistentin wechselt sie in die Rektoratsdirektion der Musikhochschule Wien, die sie ab 1989 leitet. 2008 wird sie Sektionschefin im Wissenschaftsministerium. Sie ist Präsidentin des Vereins Freunde der Filmakademie Wien.

Im April 2014
wird sie zur Rektorin der Kunstuniversität Graz gewählt: Seit 1. Oktober 2014 steht also erstmals eine Frau an der Spitze der Kunstuniversität Graz.

1816: Singschule
Der Akademische Musikverein, im Jahr zuvor gegründet, gibt bekannt, eine Singschule zu eröffnen. Aus ihr entsteht das Konservatorium (1929), die Akademie (1963), die Hochschule für Musik und darstellende Kunst (1970). Schließlich wird die älteste derartige Institution Österreichs 1998 zur Kunstuniversität Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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