Angela Merkels Qual mit der Wahl

Bundeskanzlerin Dr Angela Merkel besucht gemeinsam mit Staatsministerin Aydan Oezoguz im Rahmen des
Bundeskanzlerin Dr Angela Merkel besucht gemeinsam mit Staatsministerin Aydan Oezoguz im Rahmen desimago/Seeliger
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Seit Monaten wartet Deutschland auf ein Zeichen der Kanzlerin. Am Sonntag will sich Angela Merkel endlich zu ihrer persönlichen Zukunft erklären. Sollte sie jemals wirklich ans Aufhören gedacht haben: Dafür könnte es jetzt zu spät sein.

Einen besseren Wahlhelfer als den in Deutschland enorm beliebten Barack Obama hätte sich Angela Merkel vermutlich nicht wünschen können. Die Schmeicheleien des US-Präsidenten wollten bei seinem Berlin-Besuch diese Woche gar kein Ende mehr nehmen: Die deutsche Kanzlerin sei in den vergangenen acht Jahren „eine herausragende Verbündete“ gewesen. Er hätte sich „keine standfestere, zuverlässigere Partnerin auf der Weltbühne“ vorstellen können.

Und dann kam es: Wäre er Deutscher, würde er Merkel wählen, sagte Obama bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag im Kanzleramt. Und man fragte sich, ob er zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon mehr wusste, als die deutsche Öffentlichkeit, die immer noch im Unklaren darüber ist, ob Merkel bei der Bundestagswahl 2017 erneut kandidieren wird?

Am nächsten Tag jedenfalls kündigte die CDU für Sonntagabend eine Pressekonferenz an, in der sich die Kanzlerin zu ihrer Zukunft erklären wird. Sollte das nicht durchorchestriert gewesen sein, dann war es eine ausgesprochen glückliche Fügung des Schicksals.

Sonntag, der 20. November, ist also der „geeignete Zeitpunkt“, auf den Merkel seit dem Spätsommer verwiesen hat, wenn die K-Frage wieder einmal gestellt wurde. Und das wurde sie ständig. Aber die Frage ist auch, was die Gründe für Merkels Zögern waren. Warum hat das so lang gedauert?

Die eine Erzählung geht in etwa so: Die Kanzlerin habe sich absichtlich rar gemacht. Nach der heftigen Kritik, die ihre Flüchtlingspolitik auch in den eigenen Reihen provoziert hat, vor allem bei der Unionsschwester in Bayern, wollte Angela Merkel ihrer Partei zeigen, dass Angela Merkel keine Selbstverständlichkeit ist. Dass sie auch einfach gehen kann. Dass es noch andere Dinge im Leben gibt als Kanzlerin-sein.

Die Botschaft kam an. Bei vielen Parteifreunden setzte ein Umdenken ein. Denn die CDU weiß: Mit Merkel wird sie die Bundestagswahl gewinnen, vielleicht nicht so souverän wie im Jahr 2013 (41,5 Prozent), aber sie wird. Ohne Merkel ist das nicht sicher. Es gibt in der Partei keine Alternative, zumindest keine, die in derselben Liga spielt.

Also begannen führende CDU-Politiker damit, ihre Chefin im Wochentakt zum Weitermachen zu ermutigen. Irgendwann dürfte auch die CSU zu der Einsicht gelangt sein, dass die Union mit Merkel immer noch besser dasteht als ohne. Auch wenn sie sich weiterhin einer Obergrenze bei den Asylanträgen verweigert. Vor einigen Wochen ließ Parteichef Horst Seehofer die Kanzlerin dann wissen, dass sie mit der Unterstützung der CSU rechnen könne.

Auch dieser Spannungsbogen hätte nicht besser aufgebaut werden können: Angela Merkel, die sich ziert, weil sie in den eigenen Reihen nicht mehr sakrosankt ist. Und sich auf diese Weise die Unterwerfung ihrer Partei sichert.

Zwischen Putin und Seehofer. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Glaubt man ihrem Umfeld, dann war dieses Zögern und Zaudern nicht bloß Kalkül. Im zwölften Kanzlerjahr habe sich Merkel Zeit zum Innehalten genommen – um für sich zu entscheiden, ob sie sich dieses Amt weiter antun möchte, sagt ein Parteifreund. In den vergangenen Monaten wirkte die Kanzlerin oft erschöpft, aufgerieben zwischen den Konfliktherden der Welt und jenen daheim. Zwischen Wladimir Putin und Horst Seehofer.

Doch dann kam Donald Trump, und mit ihm änderten sich auch für Merkel die Umstände. Plötzlich blickte die ganze Welt auf sie. Kommentatoren dies- und jenseits des Atlantiks kamen zu dem Schluss, dass es jetzt an der deutschen Kanzlerin sei, die westliche Welt zu führen. Die renommierte „New York Times“ ernannte sie zur „letzten Verteidigerin des liberalen Westens.“

Merkel selbst mag sich durch diesen Blick von außen geehrt fühlen, ganz sicher hilft er ihr innenpolitisch – und sei es nur dabei, die Blamage bei der Bundespräsidentensuche vergessen zu machen. Aber er erhöht auch den Druck. Zumal dieser Job – Anführerin des Westens – zuletzt nicht wirklich lukrativer geworden ist. Während die Europäische Union stillzustehen scheint, uneinig, unentschlossen, um sich selbst kreisend, machen der russische und der türkische Präsident gerade, was sie wollen. Die Ukraine-Krise, der Syrien-Konflikt, die grassierende Paranoia in Ankara. Und Ende Jänner steigt mit Donald Trump auch noch jemand in den Ring, der völlig unberechenbar ist.

Daraus ist – nicht nur in Deutschland – ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Stabilität erwachsen, dem sich Merkel nur schwer entziehen kann. Falls sie jemals wirklich aufhören wollte: Vielleicht ist es dafür jetzt zu spät.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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