Fidel Castro - Ewiger Revolutionär, ewiger Feind

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Sechs Jahrzehnte lang hat er ebenso vehement wie starrköpfig versucht, den Lauf der Welt aufzuhalten. Bis zuletzt war sein Kuba ein Relikt aus dem Revolutionsmuseum. Die Annäherung seines Bruders an die USA hat Fidel Castro nicht behagt.

Am Ende war er ein Greis im Trainingsanzug, die Stimme ein brüchiges Falsett, der Rebellenbart schütter, ein lebendes Exponat des Revolutionsmuseums namens Kuba, gelegentlich noch besucht von Präsidenten, Päpsten und anderen Pilgern. Am Schluss seines langen Lebens wurde der einst furchterregende Rebell, der nach eigener Zählung 637 Mordanschläge überlebt hatte, zu einem Uropa, den alle irgendwie mochten. Die einen, weil er sechs Jahrzehnte lang ebenso vehement wie starrköpfig versuchte, den Lauf der Welt aufzuhalten. Und die anderen, weil der dabei angerichtete Schaden überschaubar blieb.

57 Jahre lang leistete der Karibik-Kommunist dem „Imperio“ im Norden Widerstand, und allem, was sonst noch nach Demokratie oder Marktwirtschaft roch. Und mehr als ein Jahrzehnt trotzte er dem Tod, nachdem ihn eine schwere Darmentzündung 2006 zwang, die Regierungsführung nach 47Jahren abzugeben. Dieser letzte Kampf war nicht zu gewinnen. Am Freitagabend hat er seine Augen für immer geschlossen. Er wurde, so die offiziellen Angaben, 90 Jahre alt. Aber das ist wohl noch eine der geringeren Lebenslügen des Fidel Castro Ruz.

Tatsächlich war er ein Jahr jünger. Am 13. August 1927 kam er in Birán im Osten der Insel Kuba zur Welt. Seine Mutter war die Köchin seines anderweitig verheirateten Vaters, eines Spaniers, der als Hilfssoldat gekommen war und als Grundbesitzer reich wurde. „Fidel Hipólito Ruz González“ stand auf dem Taufschein, beide Familiennamen seiner Mutter, wie üblich bei unehelichen Kindern. Später bestach der Vater einen Standesbeamten, der die Nachnamen der Kinder ebenso veränderte wie Fidels zweiten Vornamen und dessen Geburtsdatum: Fidel Alejandro Castro Ruz war nun ein Jahr älter – und damit befähigt, das Jesuitenkolleg in der Hauptstadt Havanna zu besuchen. Er war ohnehin größer, schlauer und weitaus beredter als seine Altersgenossen. Zudem fortschreitend Beau und Baseball-Ass. Auf der juristischen Fakultät ließ er Herzen schmelzen, und – so eine der unzähligen Castro-Legenden – angeblich spielte er Ende der 1940er-Jahre bei den New York Yankees vor.

Umsturz-Unterricht. Castro war ein paar Jahre Anwalt und Parteipolitiker, bis Fulgencio Batistas Machtergreifung all seine demokratischen Ambitionen erstickte. Empört über soziales Unrecht, Korruption und Willfährigkeit des Washington-Büttels Batista überzeugte er 1953 etwa 160 junge Männer davon, die zweitgrößte Kaserne des Landes zu stürmen, in der 1500 Soldaten stationiert waren. Der Coup scheiterte, mehrere Mitverschwörer starben bei Racheakten des Militärs, nicht jedoch Castro. „Die Geschichte wird mich freisprechen“, schrieb er in einem Brief aus dem Gefängnis. Tatsächlich entließ ihn, nach Interventionen der einflussreichen Familie, das Regime selbst – und unterzeichnete damit sein Todesurteil.

Fidel und sein jüngerer Bruder Raúl flohen nach Mexiko, nahmen Umsturz-Unterricht bei Veteranen des spanischen Bürgerkriegs und gabelten den Argentinier Ernesto „Che“ Guevara auf, dessen legendäres Konterfei später von Millionen Postern in Millionen Jugendzimmer blickte. 82 Mann bestiegen im November 1956 eine abgetakelte Motorjacht namens Granma, die bei ihrer Ankunft am 2. Dezember 1956 schon erwartet wurde. Nur 21 Revolutionäre konnten sich in die Bergwälder der Sierra Madre flüchten, darunter Che und Fidel.

Dass Castro an der Spitze einer Rebellenarmee zwei Jahre später triumphierend in Havanna einmarschieren konnte, erzählt viel über seine Führungskraft. Und es erzählt auch einiges über die Gemütslage der Menschen im „Hinterhof der USA“. Die Revolution war ein nationales Projekt, unterstützt von breiten Teilen der Bevölkerung, sogar von einigen Wohlhabenden, die es leid waren, das Bordell der USA zu bewohnen. Europas Intellektuelle flogen auf den karibischen Hitzkopf, der so viel jünger und authentischer war als die Apparatschiks in Osteuropa.

Unvergessen bleibt die weiße Taube, die sich auf Fidels Schulter niederließ, just als dieser zu seiner Triumphrede anheben wollte. Castros Anhänger deuteten das als himmlischen Fingerzeig und seine Gegner als plumpen Propagandatrick mit domestizierten Brieftauben.

Bis zum letzten Tag. Tatsächlich waren seine ersten Jahre an der Macht die entscheidenden für seinen Sockelplatz in der Weltgeschichte. Großgrundbesitz konfiszierte er – zuallererst das Gut der eigenen Familie –, dann die vielfach im US-Besitz befindliche Industrie. Streitkräfte und Staat wurden brutal gesäubert. Die Insel ließ er bewaffnen, um Umsturzversuchen zu entgehen. „Wir kaufen Waffen von jedem, der sie uns verkauft“, sagte Castro damals. Und meinte die Sowjetunion. Am Rand der UN-Vollversammlung traf Castro in Harlem – nur dort fand die kubanische Delegation ein Hotel – auf Nikita Chruschtschow. Dieser sagte danach: „Ich weiß nicht, ob Castro ein Kommunist ist. Aber ich bin Fidelist!“ Gut ein Jahr später gab Castro die Antwort: „Voller Genugtuung und Vertrauen gebe ich bekannt, dass ich Marxist-Leninist bin und bleiben werde bis zum letzten Tag in meinem Leben.“

Dieses Versprechen hat Castro nicht gebrochen. Castros Biografen beschreiben den Wandel vom populären Sozialrevolutionär zum kommunistischen Control-Freak vor allem als Folge der Einflussversuche der Supermacht im Norden. Mit der CIA-initiierten und vereitelten Landung von Exilkubanern in der Schweinebucht und der im letzten Moment abgeblasenen Stationierung sowjetischer Atomraketen im Hinterhof der USA 1962 wurde Kuba zur Lunte des kalten Kriegs.

John F. Kennedy versuchte es mit dem bis heute verhängten Wirtschaftsembargo, das wohl als ineffizientester Boykott aller Zeiten in die Weltgeschichte eingehen dürfte. Tatsächlich trieben die USA damit Castro zum Bruderkuss mit Leonid Breschnew. Und sie lieferten ihm und seinen Getreuen eine perfekte Entschuldigung für sämtliche ökonomischen Misserfolge, die der Insel heute tatsächlich so etwas wie soziale Gerechtigkeit verschafften – auf Armutsniveau. Der Zustand des Gemeinwesens, in dem promovierte Physiker darauf hoffen, eine Taxi-Lizenz zu ergattern, ist heute bestenfalls ein real vegetierender Sozialismus.

Sicher ist, dass Castros permanentes Provisorium irgendwie überleben konnte, weil er stets Gönner fand. Erst die Sowjetunion, später dann Hugo Chávez, dessen Ölgeschenke Kuba auf dem Graumarkt zu Dollar machen konnte. Nun wird in Peking gewiss genau mitverfolgt, ob Donald Trump tatsächlich das Tauwetter beendet, wie im Wahlkampf angekündigt.

Geschenke des Imperiums. Dass die Castros, die seit 57 Jahren keine Wahlen mehr abgehalten und keine freie Presse zugelassen haben, bis heute von einem Großteil der Welt jenseits des Wohlstandsäquators bewundert werden, gründet darin, dass Kubas Revolution zumindest einen Teil ihrer Ziele wirklich umgesetzt hat. Dass Schwarze die gleichen Bildungschancen wie Weiße bekamen. Dass es mehr Ärzte und weniger Analphabeten gibt als in allen anderen Schwellen- und Entwicklungsländern. Und dass Castro niemals zögerte, diese Errungenschaften zu teilen. In über 100 Staaten halfen und helfen kubanische Ärzte und unterrichten kubanische Lehrer und Sporttrainer.

Dass sein Bruder Barack Obama die Hand schüttelte, behagte Fidel nicht. „Kuba braucht keine Geschenke des Imperiums“, schrieb er in seiner letzten, immer noch wortgewaltigen „Reflexion“ im Zentralorgan „Granma“ nach der Visite Obamas Ende März. Der Tod des „máximo líder“ kann für Kuba zu einer historischen Zäsur werden. Womöglich beschleunigt er die zaghaften Ansätze einer Öffnung. Und für die Welt bedeutet Fidel Castros Tod wohl das definitive Ende des 20. Jahrhunderts. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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