Aufwind für die Hardliner in der Türkei

(c) APA/AFP/YASIN AKGUL
  • Drucken

Als Antwort auf den Terror in Istanbul geht die türkische Führung gegen zivile prokurdische Vertreter vor. Und verbaut sich damit eine friedliche Lösung.

Es ist eine Serie des Schreckens, die die türkische Metropole Istanbul peinigt. Nach verheerenden Attentaten des sogenannten Islamischen Staates (IS) Anfang des Jahres und den blutigen Straßenkämpfen in der Nacht des misslungenen Militärputschs im Juli müssen die Menschen der pulsierenden Stadt am Bosporus nun die Folgen einer weiteren furchtbaren Gewalttat verarbeiten: des Doppelanschlags auf türkische Polizisten, bei dem Dutzende Menschen – darunter auch Zivilisten – ums Leben gekommen sind. Das Attentat trifft die Türkei in einer äußerst heiklen Phase, in der die politischen Gräben im Land immer tiefer werden und Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Machtanspruch mit immer brachialeren Mitteln durchzusetzen versucht.

Mit dem Anschlag wird nun weiter Öl ins immer höher auflodernde Feuer des Kurdenkonflikts gegossen, denn zu dem Blutbad hat sich die Terrorsplittergruppe der sogenannten Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) bekannt. Die TAK gilt als extreme Abspaltung von der kurdischen Untergrundorganisation PKK. Offiziell will die PKK nichts mit der TAK zu tun haben. In der Vergangenheit hat die PKK auch immer wieder TAK-Angriffe auf Zivilisten verurteilt oder dem türkischen Geheimdienst vorgeworfen, in Wahrheit hinter diesen Verbrechen zu stecken. Zugleich drohte PKK-Chef Cemil Bayık aber bereits im Jänner in einem Interview mit der „Presse“, seine Guerillaeinheiten hätten „das Recht“, notfalls den Krieg in die türkischen Städte zu tragen. Die türkische Regierung jedenfalls wirft der PKK vor, die TAK zu lenken und als Instrument für Attentate in den Metropolen zu benutzen.

In einer ersten Reaktion auf den Terror vom Wochenende schlugen die Sicherheitskräfte nun erneut gegen die Vertreter der prokurdischen Parlamentspartei HDP los. Eine differenzierte Herangehensweise war schon in den vergangenen Monaten alles andere als eine Stärke der türkischen Führung. Denn es braucht heutzutage nicht viel, um in der Türkei als „Terrorist“ zu gelten. Dieser Vorwurf trifft mittlerweile alle, die den Zorn des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Anhänger auf sich ziehen. Egal, ob Mitglieder von TAK und PKK, der Gülen-Bewegung oder der – nach wie vor legalen – politischen Partei HDP. Egal, ob konservative Journalisten Gülen-naher Medien oder unliebsame linke Publizisten: Sie alle werden als „Terroristen“ oder „Terrorsympathisanten“ verfolgt.

Gerade mit dem massiven Vorgehen gegen die HDP schadet die türkische Regierung dem Land und damit längerfristig auch sich selbst. Denn sie beraubt sich damit eines wichtigen zivilen Ansprechpartners für die Lösung des jahrzehntelangen, blutigen Kurdenkonflikts. Natürlich unterhielten HDP-Politiker wohl Kontakte zu PKK-Kadern – doch das tat zur Zeit des Friedensprozesses mit der PKK ja auch der türkische Geheimdienst. Wäre dieser Prozess von Erdoğan unter enger Einbindung der HDP fortgesetzt worden, wäre der Einfluss der PKK-Kräfte in den Bergen sukzessive gesunken. Aber Erdoğan hatte angesichts der strategischen Lage in Nordsyrien und seiner innenpolitischen Ambitionen offenbar andere Pläne.

Durch die Kriminalisierung und Zerschlagung der HDP ist die Aussicht auf eine friedliche Lösung in weite Ferne gerückt. Denn mit der erneuten Militarisierung des Konflikts gewinnen jene an Einfluss, die die Waffen in Händen halten – und jene, die so wie zuletzt mitten in Istanbul Sprengstoffattentate verüben. In dem vor allem von Kurden besiedelten Südosten der Türkei herrscht schon seit Monaten de facto Kriegszustand. Städte wie ?ırnak und ganze Straßenzüge in der Metropole Diyarbakır wurden von türkischen Einheiten zusammengeschossen, als diese den Aufstand bewaffneter kurdischer Gruppen niederschlugen.

So wie ähnliche Konflikte wird auch dieser militärisch nicht zu lösen sein. Beide Seiten werden also früher oder später erneut an den Verhandlungstisch zurückkehren müssen. Dafür wäre es bereits jetzt höchste Zeit, doch die Entwicklung kippt in die völlig entgegengesetzte Richtung. Derzeit haben die Extremisten und Hardliner Aufwind. Ein Ende des Blutvergießens ist nicht in Sicht.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Türkei antwortet auf Terror mit Luftangriffen und Festnahmen

Das Militär bombardiert Stellungen der PKK im Nordirak. Zugleich gibt es eine Verhaftungswelle. Mehr als 100 prokurdische Politiker wurden abgeführt.
TURKEY-BLAST
Außenpolitik

Erdogan attackiert nach Istanbul-Terror die EU

Eine Splittergruppe der kurdischen PKK bekannte sich zum Doppelanschlag in Istanbul mit Dutzenden Toten. AKP-Politiker sprechen von Sabotage gegen die Errichtung eines Präsidialsystems.
TURKEY-BLAST
Außenpolitik

PKK-Splittergruppe bekennt sich zu Istanbul-Doppelanschlag

Ziel sei nicht primär das türkische Volk gewesen, heißt es auf der Website der TAK. Der türkische Innenminister hatte den Attentätern zuvor Rache geschworen.
Police arrive at the site of an explosion in central Istanbul
Weltjournal

Terror in Istanbul: "Werden unsere Vergeltung bekommen"

Samstagnacht ereigneten sich in der Millionenmetropole zwei Explosionen in der Nähe des Besiktas-Stadions, eine wurde durch einen Selbstmordattentäter verursacht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.