Der Vorarlberger Bischof Benno Elbs wünscht sich im "Presse"-Interview, dass auch Vertreter des Islam deutlicher gegen Terrorismus auftreten würden.
Weihnachten gilt als Fest der Liebe. Wie kann diese Botschaft angesichts des Terroranschlags kürzlich auf einen Berliner Weihnachtsmarkt verstanden werden?
Benno Elbs: Liebe heißt, dass ich genau dann bei einem Menschen stehe, mit ihm gehe und versuche mitzutragen, wenn es am schwersten ist. Liebe weicht niemals, erst recht nicht, wenn Belastendes, Tod, Trauer, Verzweiflung auf jemanden einstürzen. Darum ist gelebte Solidarität ein weihnachtliches Zeichen. Was uns provokant entgegenkommt und schwerfällt, ist die Forderung Jesu zur Feindesliebe, zu dem, der die Liebe selbst mit Füßen tritt. Aber nur das kann die Spirale von Hass und Zerstörung durchbrechen.
Weshalb ist auch vor dem Hintergrund aktueller kriegerischer Auseinandersetzungen wie in Syrien der Hass so oft so viel stärker?
Ich bin überzeugt: Liebe ist immer stärker als der Hass, auch wenn es auf den ersten Blick anders ausschaut. Hass ist ein Zeichen von Schwäche. Weihnachten ist das Trotzdem-Fest gegen Hass, Gewalt, Unterdrückung. Weihnachten feiert das Vertrauen, dass sich die Liebe, das Positive, die Solidarität durchsetzen. Terrorismus versucht, diese Grundhaltung zu zerstören, indem er Platz schafft für Angst, Misstrauen, Verzweiflung und Not, um noch mehr Hass zu schüren. Dagegen sollten wir als Christen kämpfen, weil in aller Not und Verzweiflung auch die Zeichen der Solidarität, Liebe und Zuwendung größer werden. Das konnten wir angesichts der Not der Flüchtlinge erleben.
Dennoch, wenn Gott die Liebe ist, wie es im Neuen Testament heißt: Wie gottlos ist unsere Welt?
Wenn Gott Liebe ist, so heißt das, dass er dem Menschen Freiheit schenkt. Der Mensch ist frei auch zum Bösen, Gottlosen, zum diabolischen und zerstörerischen Handeln. Darum ist es Gotteslästerung, Blasphemie, wenn jemand „im Namen Gottes“ tötet. Ich würde mir wünschen, dass auch Vertreter des Islam das immer wieder sehr deutlich sagen: Terrorismus ist Gotteslästerung.
Was bedeutet Liebe und zu lieben für Sie überhaupt im 21. Jahrhundert?
Es gibt die Liebe als Emotion und Gefühl. Das finden wir stark in persönlichen Beziehungen. Und es gibt Liebe als Grundhaltung. Das heißt, kompromisslos Brücken zu bauen, radikal zu versuchen, dem anderen respektvoll zu begegnen. Dies aus der Überzeugung heraus, wie Frère Roger Schutz sagt, dass Gott mit jedem Menschen eine Geschichte geschrieben hat und jeder eine Geschichte mit Gott hat. Liebe heißt dann, jedem Menschen in dieser Haltung des Respekts, der Achtung und Wertschätzung zu begegnen.
Weihnachten gilt auch als Fest der Familie. Wie definieren Sie Familie angesichts des Wandels in den vergangenen Jahrzehnten?
Familie ist ein Ort, wo Menschen aufwachsen, groß werden, stark werden, wo sie das lernen, was sie zum Leben brauchen. Viele Umfragen bestätigen das. Natürlich ist Familie auch dort, wo sich Menschen entscheiden zusammenzuleben. Das christliche Bild von Familie geht darüber hinaus. Ich sehe den Begriff Familie als Sehnsuchtsort, wo Menschen Geborgenheit erfahren.
Das gilt wohl auch für Homosexuelle?
Ja.
Hat es nicht quälend lang gedauert, bis sich die Kirche der Lebensrealität der Menschen und deren Beziehungen angenähert hat?
Da waren für mich die Erfahrungen der Synode (zur Familie; Anm.) erhellend. Es gibt unendliche Ungleichzeitigkeiten. Die Situation in Afrika oder Asien ist völlig unterschiedlich zu der in Europa. Unsere Fragestellungen sind ein schmaler Ausschnitt der Wirklichkeit. In Afrika interessieren Themen wie Homosexualität oder Geschiedene nicht. Da gibt es Hunger, Flucht, es werden Frauen vergewaltigt und misshandelt. Diese Langsamkeit ist daher verständlich. Der Papst hat von Inkulturation gesprochen und gemeint, man müsse stärker schauen, was in den einzelnen Regionen wichtig ist. Das ist ein großer Fortschritt. Jetzt sind wir als Bischöfe gefordert, für Europa die Probleme auf unsere Art anzugehen, und es gibt die päpstliche Erlaubnis dafür.
Besteht bei dieser Praxis nicht die Gefahr, dass sich die Ungleichzeitigkeit verschärft?
Das ist der Preis. Es braucht ein gutes Gleichgewicht für gemeinsames Unterwegssein und die Einheit mit Papst und Weltkirche. Mit dem früheren Versuch der Zentralisierung waren wir in Europa nicht sehr zufrieden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mit Spannungen leben. Das gehört dazu.
Wo gab es die größten Spannungen während der Synode?
Die größten Spannungen gab es beim Thema des Scheiterns, also beim Thema der wiederverheirateten Geschiedenen. Der andere sehr spannungsreiche Punkt war der Zugang zu Menschen mit homosexueller Orientierung. Da geht die Sichtweise von Krankheit und Heilung bis zu Respekt und Nichtdiskriminierung.
Die Zusammensetzung der deutschen Sprachgruppe war besonders interessant: mit Kardinal Müller, der als Glaubenskongregationschef auf das Verbot des Sakramentenempfangs für Geschiedene, die neu geheiratet haben, gepocht hat, und mit Kardinal Kasper, der das Gegenteil verlangt hat. Wie war ein gemeinsames Papier möglich?
Da waren die großen Theologen dabei. Es gab ein extrem offenes Gesprächsklima. Kardinal Schönborn ist das als Leiter gelungen, trotz der Verletzungen, die es im Vorfeld teilweise gegeben hat. Wir hatten bei allem Einstimmigkeit, und der Papst hat vieles aufgenommen. Insoweit hat die deutsche Sprachgruppe großen Einfluss gehabt.
Wie enttäuscht waren Sie, dass die Forderung nach einer Entschuldigungsbitte an jene, mit denen die Kirche hartherzig umgegangen ist, im Synodenpapier fehlt?
Ich hätte mir das gewünscht. In der Mentalität von manchen Vertretern bei der Synode war das undenkbar.
Halten Sie es für adäquat, dass die Öffnung des Empfangs der Sakramente für Geschiedene, die neu geheiratet haben, nur in einer Fußnote des Papstschreibens erfolgt?
Ob das in der Fußnote steht oder nicht, ist nicht bedeutend. Mich stört das gar nicht. Das gesamte Papier atmet den Geist, dass der einzelne Mensch in seinem Gewissen einen Weg findet, mit Situationen des Lebens umzugehen.
Andere, auch Bischöfe, stört das aber sehr wohl. Weihbischof Krätzl bemängelt, der Papst stelle zu sehr auf Einzelfälle ab und vernachlässige es, die Lehre zu ändern.
Ich widerspreche Bischof Krätzl ungern, muss es aber tun. Die Lehre ist insofern geändert, als die offene Tür da ist. Das haben die Menschen auch früher gemacht, aber jetzt können sie sozusagen mit dem Segen des Papstes die Gewissensentscheidung treffen. Das ist eine wesentliche Weiterentwicklung.
Es wird doch nur nachvollzogen, was zumindest in Mitteleuropa Standard war. Oder haben Sie Geschiedenen in einer neuen Ehe die Kommunion verweigert?
Nein, das ist das, wonach viele Seelsorger gehandelt haben. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Der Papst sagt, dass das gutes pastorales Handeln ist.
Ist dieser Weg unumkehrbar?
Das ist unumkehrbar, das ist es in der pastoralen Praxis schon lang. Auch theologisch. Man darf nicht den Fehler begehen, jetzt neue Regeln entwerfen. Die Weiterentwicklung ist die Haltung, die über Normen hinausgeht.
Was fehlt, ist eine Abkehr vom Verbot künstlicher Methoden der Empfängnisregelung. Hat dafür der Mut gefehlt? War das Thema den Bischöfen zu unwichtig? Oder hat die Praxis die Lehre obsolet gemacht?
Keines trifft zu. Im Synodenpapier ist vermerkt, dass die natürliche Empfängnisregelung empfohlen wird. Empfohlen. Die Geburtenregelung liegt in der Gewissensentscheidung des Paares.
Wie allein gelassen ist der Papst?
Dass nicht alle amused sind, ist klar. Der Papst geht sehr entschieden den Weg mit klarem Blick auf Jesu Handeln.
Franziskus verlangt von Bischöfen mutige Vorschläge. Wo bleiben die aus Österreich?
Wir haben uns immer wieder zu politischen Themen, beispielsweise den Flüchtlingen, mutig geäußert.
Haben Sie Verständnis für jene, die sagen, es ist eine Grenze der Belastbarkeit erreicht?
Ich habe starkes Verständnis für die Ängste der Menschen. Es ist Aufgabe von Christen, die Grundhaltung des barmherzigen Samariters zu haben. Das Gegeneinander macht mir Sorge. Johannes Paul II. hat von intelligenter Nächstenliebe gesprochen. Dass nicht jedes Jahr 80.000 kommen können, dafür habe ich eindeutig Verständnis.
Sie sind für einen Bischof jung. Glauben Sie, dass Sie Priesterinnen erleben werden?
Das glaube ich nicht.
Steckbrief
„Franziskaner“.
Der heute 56-jährige Benno Elbs war in der Diözese Feldkirch Pastoralamtsleiter, Generalvikar, schließlich nach dem Abgang Bischof Elmar Fischers fast zwei Jahre Diözesanadministrator – bis er selbst zum Bischof ernannt wurde. Zum ersten für Österreich durch den neuen Papst Franziskus. Elbs liegt mit diesem (pastoral)theologisch auf einer Linie. „Im Stallgeruch der Schafe“ lautet der Titel eines seiner Bücher, ein Papstzitat aufgreifend.
Psychotherapeut.
Was sehr selten vorkommt: Elbs hat nicht nur Theologie studiert, sondern auch Psychologie. Und er hat die Ausbildung zum Psychotherapeuten abgeschlossen. Bei der Familiensynode im Vatikan war er Österreichs Vertreter.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)