Wer Lehrbücher umgeschrieben hat

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Warum Hermann Maier nicht mit normalen Maßstäben zu messen war. Für einige war der Maurer ein „Phänomen“, für andere ein Dickschädel.

WIEN. Mit normalen Maßstäben war ein Hermann Maier nie zu messen. Das sagen nicht nur seine Trainer, sondern auch seine Ärzte, die ihn nach dem schweren Motorradunfall am 24.August 2001 wieder zusammengeflickt haben. „Ein Phänomen“, behauptet Arthur Trost, der den Körper des Salzburgers mehrmals aus medizinischer Sicht unter die Lupe genommen hat. „Seine Konstitution und sein Wille waren einmalig. Er hat Lehrbücher gleichsam umgeschrieben. Aber für andere hat das keine Gültigkeit.“

Manchmal hat Maier aus seiner Jugend erzählt, über seine Kindheit, in der ihm nichts geschenkt wurde. All das sei wichtig gewesen für seine spätere Karriere. Und der Salzburger ist heute noch stolz darauf, als Maurer schwer geschuftet haben zu müssen. Nur wer solche Erfahrungen gemacht habe, der könne auch Siege und Triumphe richtig einordnen.

Ans Ziel gebracht hat Hermann Maier sein Dickschädel, mit dem er manchmal durch die Wand wollte, wie er selbst zugibt. Einmal vom Skifahren leben zu können, das war für ihn das Größte. Dafür hat er alles in Kauf genommen, all die Strapazen, Plagen und Mühen. Wobei dem Doppel-Olympiasieger von Nagano 1998 nichts in den Schoss gefallen ist. Nur der eiserne Wille hat ihn zu dem gemacht, was er war und ist.

Als Kind litt Maier unter einem schmerzhaften Handicap, Morbus Osgood-Schlatter wird es in der Medizin genannt. Weitläufiger ist diese Insertion der Patellasehne unter „Rugby-Knie“ bekannt. Dazu kam eine Wachstumsschwäche, die sich letztlich sogar ins Gegenteil verwandelte – und selbst Arnold Schwarzenegger bei einem Empfang vom „Herminator“ sprechen ließ.

Der geprüfte Skilehrer Maier, dessen Weltcupkarriere als Vorläufer begonnen hatte, war immer schon ein schlechter Verlierer. Daraus hatte er auch keinen Hehl gemacht. Gestern nannte er seine Beharrlichkeit als größten Sieg. Die Trainingslehre hatte er auf ein neues Niveau geschraubt, den Ergometer salonfähig gemacht, und seine Hingabe für den Skisport brachte ihn bis auf den Olymp. Weil ein Maier nie genug bekommen konnte. Er war ein Getriebener seiner selbst, er jagte Seriensiege und Rekorde. Bis ihn der Motorradunfall Demut lehrte.

Bei seinem wahrhaft unglaublichen Comeback hat er sich selbst bezwungen, Ärzte widerlegt und seinen in Wahrheit größten Triumph gefeiert. Zuletzt zeichnete sich ab, dass die Sturm-und-Drang-Zeit endgültig vorbei ist. Auch wenn es trotzdem noch vor elf Monaten zum 54.Weltcupsieg gereicht hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2009)

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