Steuervermeidung wird nicht mehr akzeptiert.
Jean-Claude Juncker hat es sich zum Ziel gesetzt, der EU-Kommission ein politisches Profil zu verpassen: weg vom drögen bürokratischen Silo hin zu einer Organisation, die auf die Sorgen der EU-Bürger eingeht. Die bisherige Bilanz des Kommissionspräsidenten ist in dieser Hinsicht durchwachsen, politischer geht es in Brüssel aber durchaus zu – wenn auch aus Gründen, die Juncker alles andere als lieb sind. Der ehemalige Luxemburger Regierungschef und Finanzminister sieht sich in schöner Regelmäßigkeit mit Vorwürfen konfrontiert, in seinem früheren Leben auf die europäische Solidarität gepfiffen zu haben, um es salopp zu formulieren.
Abseits aller Debatten über Junckers früheres und jetziges Geschäftsgebaren offenbaren die Enthüllungen über aggressive Steuervermeidung im Fürstentum, wie sehr sich die Zeiten in Europa geändert haben. Als Juncker in Luxemburg die Steuerbilanzen der Großkonzerne optimierte, galt die EU als Erfolgsmodell, galten Finanzkrisen als überwunden, Divergenzen zwischen den europäischen Volkswirtschaften als überbrückbar. Dass unter solchen Rahmenbedingungen aktive fiskalpolitische Standortpolitik als Kavaliersdelikt gegolten hat, ist einigermaßen verständlich. Schließlich dachte man damals, der Kuchen sei groß genug. Doch mittlerweile schreiben wir das Jahr neun der Eurokrise – und die Ära der Kavaliersdelikte wirkt wie ein längst untergegangenes goldenes Zeitalter.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2017)