Im US-Kongress werden die Messer gewetzt

Angelobung im Repräsentantenhaus in friedlicher Atmosphäre. Doch der Kongress wird zum Hauptschauplatz der Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten.
Angelobung im Repräsentantenhaus in friedlicher Atmosphäre. Doch der Kongress wird zum Hauptschauplatz der Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten. (c) APA/AFP/JIM WATSON
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Auf dem Kapitol beginnt das Hauen und Stechen um Obamacare. Bei den Republikanern geht es mitunter drunter und drüber – bis Trump twittert.

Wien/Washington. Schon einen Tag nach dem Eröffnungszeremoniell des Kongresses, einer Mischung aus Pomp und intimer Familienfeier, hatte sich hoher Besuch auf dem Kapitol in Washington angesagt. Zwei Wochen vor seinem Abgang schwor Präsident Barack Obama die Reihen der Demokraten im US-Parlament auf einen vehementen Widerstand gegen den republikanischen Rollback ein, gegen die Torpedierung des Gesetzeswerks seiner Ära. Zugleich beehrte indessen auch Mike Pence, der künftige Vizepräsident, als Abgesandter Donald Trumps seine früheren Kollegen im Repräsentantenhaus. All dies zeigt, wie viel für die Obama-Regierung und die Opposition in demnächst vertauschten Rollen auf dem Spiel steht. Das Hauen und Stechen im Kongress hat gerade erst begonnen.

Die Republikaner hatten sogleich signalisiert, Obamacare, die verhasste Gesundheitsreform, Stück für Stück auseinanderzunehmen – ein langwieriges und kompliziertes Verfahren, zumal die Partei über kein eigenes Konzept für eine umfassende Versicherung verfügt. Die Demokraten haben auch umgehend einen sogenannten War Room eingerichtet, um die Gegenangriffe gegen die republikanische Mehrheit im Kongress zu koordinieren und die Schwachstellen im Weißen Haus bloßzulegen – von Trumps Interessenskonflikten über die beharrliche Verharmlosung der mutmaßlichen russischen Cyberattacken bis hin zur möglichen Blockade mehrerer Ministerernennungen.

Die Stunde des Joe Biden

Nach außen hin bot sich bei der Konstituierung des 115. Kongresses ein Bild der Eintracht. Joe Biden war ganz in seinem Element: Der Vizepräsident, als langjähriger Senator eine Institution auf dem Kapitol, kehrte als nomineller Vorsitzender des Senats an seine einstige Arbeitsstätte zurück, um den Senatoren den Amtseid auf die Bibel abzunehmen. Er hatte noch einmal alle Hände voll zu tun, und er genoss jeden Moment beim Händeschütteln, beim jovialen Schulterklopfen und Posieren. Nach der Wahl hatte Biden es noch bereut, bei den Vorwahlen nicht gegen Hillary Clinton angetreten zu sein. Er hatte sich weit bessere Chancen ausgerechnet.

Währenddessen versammelten sich auch im Repräsentantenhaus die Abgeordneten zur großen Feierstunde der US-Demokratie samt Familie, und im Plenum mischten sich viele neue und alte Gesichter in den Sitzreihen. Ex-Vizepräsident Dick Cheney etwa wollte die Premiere seiner Tochter Liz als Neo-Abgeordnete ebenso wenig verpassen wie Ex-Verteidigungsminister Leon Panetta die seines Sohns. Für Tradition ist in den ehrwürdigen Hallen des Kapitols also weiter gesorgt.

Nancy Pelosi, die Fraktionschefin der Demokraten, setzte dem Anlass gemäß ihre strahlendste Miene auf, ehe sie den Republikanern den Kampf ansagte: „Wir werden standhaft bleiben.“ Paul Ryan, ihr republikanischer Widerpart, schwang als „Mister Speaker“ nur zeremoniell den Hammer des Vorsitzenden. Versöhnlich, optimistisch, weihevoll: So präsentierte sich der einstige Gegenspieler Donald Trumps, der sich im Wahlkampf demonstrativ von dem ungeliebten Kandidaten distanziert und auf gemeinsame Auftritte verzichtet hatte. Ryan hatte dem Drängen vieler in der Partei widerstanden, als Kompromisskandidat in die Wahlkampfarena zu steigen.

Bei der Wahl zum Vorsitzenden im Repräsentantenhaus sprach ihm seine Fraktion – bis auf eine Gegenstimme – ihr volles Vertrauen aus. Dennoch musste Ryan bereits im Vorfeld eine Schlappe hinnehmen, die seine Position schwächt. Hinter den Kulissen hatten sich chaotische Szenen abgespielt. Gegen seinen Willen hatte eine Mehrheit der Fraktion für eine Entmachtung der gestrengen Ethikbehörde votiert, woraufhin ein Proteststurm losbrach. Wütende Wähleranrufe und nicht zuletzt ein grollendes Twitter-Gewitter Donald Trumps zwangen die Republikaner innerhalb von 24 Stunden zu einer blamablen Umkehr. Der Milliardär hatte im Wahlkampf unter donnerndem Applaus wie ein Mantra versprochen, den Sumpf in Washington trockenzulegen.

Trumps Machtwort

Die Abgeordneten sollten sich lieber auf andere Prioritäten konzentrieren, forderte Trump – auf eine Steuerreform und ein Ende für Obamacare. Mit zwei knappen Twitter-Botschaften hat Trump die Machtverhältnisse in Washington klar definiert. Die Episode hat die republikanische Führung im Kongress um Paul Ryan gleich doppelt düpiert: Überrumpelt von den Hardlinern der eigenen Partei hat erst ein Machtwort Trumps den Status quo wiederhergestellt. Der starke Mann wird einstweilen im Weißen Haus sitzen, und die Republikaner im Repräsentantenhaus werden sich ihm wohl fürs Erste fügen.

Im Senat formiert sich derweil der Widerstand – und das nicht allein auf demokratischer Seite. Selbstbewusste republikanische Senatoren wie John McCain, Lindsey Graham oder Marco Rubio haben aus Wahlkampfzeiten noch eine Rechnung mit Trump offen. Dessen Signale in der Russland-Politik und die Wahl des Putin-Buddys Rex Tillerson zum Außenminister haben ihren Argwohn geweckt. Tillerson muss sich beim Senatshearing auf unangenehme Fragen einstellen.

AUF EINEN BLICK

Kongress. Rund zwei Wochen vor der Angelobung Donald Trumps hat sich in Washington der 115. Kongress konstituiert. In beiden Kammern halten die Republikaner eine Mehrheit (im Senat 52:48, im Repräsentantenhaus 241:194). Per Filibuster (Dauerrede) können die Demokraten Gesetze verzögern oder blockieren. Ein erster Konflikt hat sich um die umstrittene Gesundheitsreform entzündet – für die Republikaner hat dies Signalcharakter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

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