Als Führender des Super-G-Weltcups und als Zweiter der Abfahrtswertung kommt Kjetil Jansrud zu den 77. Hahnenkamm-Rennen. Dennoch bleibt er im Kampf um die große Kristallkugel nur Außenseiter.
Kitzbühel/Wien. „Mir gehen Rennen ab“, sagt Kjetil Jansrud, und damit bringt er es genau auf den Punkt. Zwölf Rennen hat er in der laufenden Saison in den Beinen, aber nur drei davon waren Super-G, nur zwei waren Abfahrten. Zu wenig für den Speed-Spezialisten, um Marcel Hirscher im Gesamtweltcup bisher gefährlich zu werden. Der Salzburger hat 15 Saisonrennen bestritten, darunter sechs Slaloms und fünf Riesentorläufe. Ein klarer Vorteil für den Technikspezialisten im Kugelkampf also. Hinter Spitzenreiter Hirscher sind im Gesamtweltcup mit Henrik Kristoffersen und Alexis Pinturault zwei weitere Techniker klassiert, erst als Vierter folgt Jansrud, dem Gesamtzweiten von 2015 und Gesamtvierten von 2016 fehlen schon 458 Punkte auf Hirscher.
„Im Moment lasse ich den Gesamtweltcup in Ruhe“, sagt der Norweger daher auch wenig überraschend. „Aber ich behalte ihn im Fokus.“ Die anstehenden 77. Hahnenkamm-Rennen sind für Jansrud richtungsweisend. Vor zwei Jahren hat er in Kitzbühel die Abfahrt auf verkürzter Strecke („Es wäre wichtig, dass wir wieder einmal von ganz oben fahren“) gewonnen, heuer aber hat er ein Problem ausgemacht. „Normalerweise haben wir um diese Zeit schon doppelt so viele Rennen, mit fünf Abfahrten würde man auch ein bisschen sicherer nach Kitzbühel kommen als mit zwei. Wir wissen eigentlich noch immer nicht, wer am besten in der Abfahrt ist“, erklärt der 31-Jährige.
Die bisher letzte Abfahrt liegt mit 17. Dezember in Gröden lang zurück. Beim Sieg von Max Franz war Jansrud nur Zwölfter, das Auftaktrennen in Val d'Isere aber hatte er gewonnen. Und mehr Gelegenheiten zum Sieg hat es bisher nicht gegeben. „Wenn ich keinen Fehler mache, sollte ich eigentlich dabei sein. Ich habe eine gute Chance, es ist sicher was möglich“, meinte der Norweger vor dem Klassiker auf der Streif. Aber was hier passiere, könne man nie wissen. „Kitzbühel ist immer ein wenig speziell, weil alle Kitzbühel gewinnen wollen. Sie nehmen brutal viel Risiko.“ Am Anfang hätten immer alle einen besonders aggressiven Plan, erklärt Jansrud. Am Ende entscheide dann die Frage, wer seinen Plan auch umsetzt.
Auch im Super-G am Freitag (2013 und im Vorjahr war er jeweils Vierter) rechnet sich der Norweger viel aus. „Dass ich im Super-G als Favorit ankomme, passt mir gut. Ich war hier zweimal Vierter, nie auf dem Podest. Das heißt, da muss jetzt etwas Neues dazukommen.“ Angereist ist Jansrud mit dem Punktemaximum, die bisherigen drei Super-G in diesem Winter (Val d'Isere, Gröden, Santa Caterina) hat er allesamt gewonnen. „Im Super-G hatte ich bis jetzt ein gutes Gefühl, es ging einfach, hoffentlich ist das noch da.“ Allerdings hätte die Konkurrenz inzwischen viel Zeit zum Trainieren gehabt, 2017 wurde noch gar kein Super-G gefahren.
Klar ist: Nur wenn Jansrud in Kitzbühel auf hohem Niveau punktet, kann er sich im Kampf um Kristall wieder einbringen. Nach der Wengen-Absage steht in Garmisch-Partenkirchen nächste Woche zwar eine zusätzliche Abfahrt auf dem Programm, definitiv nicht nachgetragen wird allerdings das in Santa Caterina abgesagte Rennen.
Maiers Zeiten sind vorbei
Aber auch ohne die Ausfälle, allein mit Blick auf den ursprünglichen Rennkalender bezeichnete Norwegens Chefcoach Christian Mitter einen möglichen Gesamtweltcupsieg eines seiner Athleten als äußerst schwieriges Unterfangen. Als Nachteil will der Steirer die Rennverteilung (19 Speed-, 21 Technikbewerbe, zwei Kombinationen) aber nicht bezeichnen, „die Situation ist so, wir müssen uns darauf einstellen“.
Gelungen ist das zumindest den Speed-Spezialisten Jansrud und Aleksander Aamodt Kilde bisher noch nicht, Jansruds einziges zählbares Riesentorlauf-Resultat in dieser Saison ist ein 22. Platz in Adelboden, Kilde wurde 23. in Sölden und 19. in Val d'Isere. Tatsächlich aber sind die Zeiten, in denen Gesamtweltcupsieger wie Hermann Maier und Stephan Eberharter nicht nur Abfahrt und Super-G dominierten, sondern auch Riesentorläufe gewannen, spätestens seit der Materialreform 2012/13 vorbei. Der Trainingsbedarf für den Riesentorlauf ist heute selbst für Athleten wie Jansrud nicht mehr zu bewältigen.
Sein Teamkollege Aksel Lund Svindal war somit 2008/09 der bisher letzte Speed-Spezialist, der die große Kugel stemmen durfte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2017)