Ambulant operieren: Vom OP-Tisch in das eigene Bett

Wenn noch so viele Kameras im Einsatz sind – Orthopädie ist immer eine Tischlerarbeit.
Wenn noch so viele Kameras im Einsatz sind – Orthopädie ist immer eine Tischlerarbeit.Imago
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Minimalinvasive Eingriffe an Schultern oder Kniegelenken sind heute längst Standard. Doch der direkte Gang nach Hause ist nicht für jeden Patienten die ideale Lösung. Wie kann man frisch Operierte nach dem Eingriff am besten mobilisieren? Ein Blick auf aktuelle Methoden der Gelenkchirurgie.

Nein, eine typische Sportverletzung war es nicht, eher ein Pech. Michaela Stüber ist einfach in die Hocke gegangen, aber der Boden war uneben, deshalb ist sie weggerutscht und konnte danach nicht mehr aufstehen. Die ehemalige Fußballerin war damals Anfang 40. Innerhalb von zwei Tagen war klar, dass Kreuzband und Meniskus operiert werden müssen. Wie in diesem Bereich seit vielen Jahren üblich, wurde der Eingriff minimalinvasiv mithilfe einer Arthroskopie (Gelenkspiegelung) durchgeführt. Der Weg zurück ist trotzdem hart, sagt Stüber. Insgesamt neun Wochen Physiotherapie folgten. „Das ist anstrengend, hat sich aber gelohnt. Ich bin absolut schmerzfrei.“ Härter fand sie ohnehin die drei Wochen Liegezeit direkt nach dem Eingriff, hier musste sie das Knie zwar bewegen, durfte aber nicht auftreten. „Als aktiver Mensch wird man fast wahnsinnig.“ Die Hocke ist ihr bis heute nicht geheuer, der Schmerz von damals hat sich eingeprägt. Deshalb hat sie auch mit dem Skifahren aufgehört.

An zwei Stellen verletzen sich Wintersportler am häufigsten: an Schultern und Knien. „Speziell Snowboarder haben viele Schulterluxationen, also Schulterverrenkungen. Dadurch, dass sie fest auf dem Brett stehen und bei einem Sturz nicht auskönnen. Das Erste, auf dem sie bei einem Sturz landen, ist die Schulter“, sagt Philipp Heuberer, Orthopädischer Chirurg und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie. Bei Skiverletzungen wiederum ist meist das Kniegelenk, vor allem das Kreuzband, betroffen. Generell ist aber die Schulter jenes Gelenk im Körper, dass am stärksten für Verrenkungen gefährdet ist, weil es so viele Bewegungsgrade hat. Am häufigsten davon betroffen sind Sportler – egal, ob sie sich im Schnee austoben oder auf Gras. Bis zu 15 Prozent leiden an laxem Gewebe. Das erste Trauma ist in vielen Fällen noch nicht schlimm, doch je öfter der Oberarmkopf aus der Pfanne springt, desto mehr nutzt er sich ab.

Die lockere Schulter

Der frühere Judoka Ronald Lintner beschreibt sich selbst als leidgeprüften Routinier bei Schulterverletzungen. Dreimal hat er sich den Arm ausgekugelt, zuletzt beim Schlittschuhlaufen im Wiener Eislaufverein. Dabei hat er sich einen verschobenen Bruch der Schulterpfanne zugezogen. Das Fragment wurde arthroskopisch mit dem Labrum, der Pfannenlippe, wieder an seiner anatomischen Stelle befestigt. „Gerade dies ist ein Eingriff, der zumeist noch offen durchgeführt wird, obwohl das arthroskopische Vorgehen große Vorteile aufweist, weil man keine Sehne ablösen muss“, sagt Heuberer, sein behandelnder Arzt. Nach der OP wurde Lintner – wie bei Schulterarthroskopien üblich – direkt entlassen. (Bei Kniespiegelungen beläuft sich der stationäre Aufenthalt meist auch nur auf einen Tag). Sein Zustand war „sensationell“, beschreibt er, vor allem weil das Armnervengeflecht ausgeschaltet war. Nach sechs Wochen konnte er die Schulter wieder im Alltag einsetzen. Der Patient hatte allerdings einen Vorteil: Er war sportlich. „Und man muss schon viel üben und in den Schmerz hineindehnen. Wer ein ausgeprägtes Körperbewusstsein hat, hat wahrscheinlich einen Vorteil in der Rehabilitation“, sagt Lintner.

Häufig treten durch Ausrenkungen auch Risse in der Rotatorenmanschette auf. Sie spielt innerhalb der Schultermuskulatur eine wichtige Rolle. Mit ihren vier Muskeln und Sehnen, die am Schulterblatt befestigt sind, ummantelt sie das Gelenk wie eine Manschette und übernimmt seine Hauptführung. Kommt es hier zu irreparablen Defekten, gab es bis vor wenigen Jahren noch keine Alternative zu einer Schulterprothese. Mittlerweile kann dies aber durch eine Kapselrekonstruktion vermieden werden. Mithilfe einer Spenderhaut wird dabei das biomechanische Prinzip der Schulter wiederhergestellt. Diese Technik ist erst seit 2016 möglich. Bis zu sechs Monate dauert es danach, bis sich der Arm wieder schmerzfrei bewegen lässt. Das entspricht in etwa der gleichen Reha-Zeit wie nach der Prothesenvariante. Der Unterschied ist, dass der Patient nach der arthroskopischen Technik schneller aktiv ist. Bei offenen Operationen sind die Schmerzen stärker, außerdem kann es zu mehr Komplikationen kommen, sagt Heuberer. Er verweist darauf, dass eine zu früh, in den mittleren Lebensjahren, eingesetzte Prothese ein kurzsichtiges Ergebnis bringt. Die Gelenkanatomie wird bei dem Eingriff zerstört. „Was bleibt mir dann bei einem Revisionseingriff, und was mache ich, wenn ein Patient mit einer Prothese eine Infektion bekommt? Das ist dann der GAU.“

Aber auch die Arthroskopie hat ihre Tücken. Manch einer fürchtet sich vor unabsichtlich verletzten Nerven. Diese Gefahr variiert von Gelenk zu Gelenk. Bei der Schulter gibt es eine klare Regel. Außerhalb des Rabenschnabelfortsatzes liegen keine Nerven. Kommt man dem besagten Knochenstück näher, steigt auch die Gefahr einer Komplikation. Bei der arthroskopischen Methode ist sie laut Heuberer aber minimal. Im Normalfall kann bei einer Knie-OP auch kein Nerv unabsichtlich verletzt werden, der danach Schmerzen verursacht. Was passieren kann: Dass der Ramus infrapatellaris, der außerhalb über dem Knie verläuft, aus Versehen durchstoßen wird. Hier würde ein Taubheitsgefühl in einem bestimmten Hautareal zurückbleiben.

Gute Sicht für den Arzt

Philipp Heuberer lobt die heutige Technik. „Mittlerweile arbeiten wir mit 4K-Optiken (also mitbesonders hoher Auflösung) und haben ein dreidimensionales Raumgefühl.“ Mit der offenen Operationstechnik gibt es nur den Blick von oben, andere Verletzungen, die auf einem MR-Bild vielleicht nicht deutlich waren, bleiben so eher unerkannt. Das Problem ist nicht mehr das Material, das wir einbringen, sondern das Material, das der Patient mitbringt“, erklärt Heuberer. „Wir arbeiten daran, die Einheilung zu verbessern, was sich schwierig gestaltet. Das Anbringen von körpereigenen Wachstumsfaktoren und Stammzellen wäre eine Möglichkeit, die Sehnen-Knochen-Heilung zu verbessern.“ Hier gibt es jedoch durch die EMA (European Medicines Agency) starke Regulierungen, die teilweise einen gewissen Beigeschmack haben. „Wenn ich vom Körper etwas entnehme, es im OP minimal bearbeite und es in der gleichen Sitzung dem Patienten wieder verabreiche, dann ist das ein billiges Verfahren. Es ist regenerativ, hat keine Nebenwirkungen, weil es vom selben Körper kommt, aber es verdient auch keiner etwas damit.“

Stammzellen spielen auch beim Healing Response eine Rolle. Einer während einer arthroskopischen Kreuzband-OP vorgenommenen Technik, mit der vorwiegend die Heilung frisch verletzter Kreuzbänder gefördert wird. Thomas Vögele, Unfallchirurg, Osteopath und Operateur von Michaela Stübers Unglücksknie, konnte damit positive Erfahrung sammeln. Beim Healing Response wird das refixierte Kreuzband über kleine Löcher im Oberschenkelknochen mit den eigenen (unfiltrierten) Stammzellen beliefert. Die Nachbehandlung ist zwar schwieriger – sechs Wochen engmaschige Therapie, bei der der Patient das Knie zwar bewegen muss, aber nicht auf das Bein steigen darf – für das Band selbst bleibt im Gegensatz zu anderen Methoden aber die Nervenversorgung erhalten. Vögele betont: Techniken gäbe es viele, aber „ein Kreuzband ist immer nur so gut, wie der Patient mit sich selbst umgeht“. Er habe viele postoperative Patienten, die technisch einwandfrei operiert wurden und danach absolut unzufrieden sind und über Schmerzen klagen.

Arthroskopie bagatellisiert

Die meisten von ihnen haben die Arthroskopie mit ihren zwei Schnitten und dem kurzen Spitalsaufenthalt bagatellisiert. „Viele gehen ins Krankenhaus und übertragen dem Arzt die Verantwortung für sich und die Verletzung. Das funktioniert nicht. Wenn ich ein Knie operiere und dabei die Psyche und die Eigenverantwortung des Patienten weglasse, werde ich wenig Erfolg haben – egal, mit welcher Technik.“ Früh hat sich Vögele in seiner Laufbahn als Chirurg deshalb zusätzlich im Fach der Osteopathie ausbilden lassen. Auch wenn sie, anders als in England, Belgien oder Frankreich, in Österreich schulmedizinisch keine Bedeutung hat, wie er sagt. Die Heilmethode verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, bei der Blockaden im Körper gelöst und Funktionsstörungen verbessert werden sollen. Mit der Osteopathie als Begleittherapie konnte er, wie in mehreren Studien nachgewiesen, seine Operationsergebnisse signifikant verbessern. Thomas Vögele plädiert daher auch für einen Umdenkprozess: „Wenn ich bei jedem Patienten nicht nur das verletzte Gelenk sehe, sondern ihn in seiner Gesamtheit als ganzen Menschen wahrnehme, kann ich keine standardisiert ablaufende Therapie anbieten. Das Schema F funktioniert dann nicht mehr. Und da krankt es leider am Gesundheitssystem, hier gibt es zu wenig zu wenig Ressourcen und zu wenig Ärzte, die in diese Richtung denken.“

Auf einen Blick

Organisation: Philipp Heuberer ist Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Arthroskopie, die sich mit ihren 4400 Mitgliedern speziell für die Förderung der zertifizierten Ausbildung von Arthroskopeuren im deutschsprachigen Raum bemüht.

Thomas Vögele ist Facharzt für Sporttraumatologie und Unfallchirurgie und Osteopath in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2017)

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