Die Seide des Verschollenen

Tropischer Bewuchs verschlingt das Haus des Verschollenen.
Tropischer Bewuchs verschlingt das Haus des Verschollenen.(c) Hartmut Hallek
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Zu Ostern vor 50 Jahren verschwand Jim Thompson spurlos. Der Amerikaner hatte Thailands Seide weltweit berühmt gemacht. Bis heute erinnert sein formidables letztes Zuhause in Bangkok daran.

Es ist der Ostersonntag 1967, als Jim Thompson kurz nach drei Uhr nachmittags seine Zigaretten auf den Tisch legt und das Jackett über einen Stuhl hängt. Drei Freunde sind noch im Moonlight Cottage in den Cameron Highlands von Malaysia. Einsames Gebirge, der Dschungel vor der Haustür. Es ist still. Man hat eine Siesta verabredet. Als draußen auf der Terrasse ein Deckchair verschoben wird, denken die Gastgeber, das ist Jim. Dann hören sie Schritte auf dem Kieselweg, die sich entfernen. Ab da hört und sieht man nie wieder etwas von Jim Thompson. Jacke und Zigaretten lässt er zurück, selbst die Pillen, die er dringend bei Gallenkoliken braucht. Mit Helikoptern, Dschungelscouts und Spürhunden suchen Amerikaner und die malaysischen Behörden nach ihm, man findet nicht eine Spur. Die Nachricht geht um die Welt. Thompson war 61 Jahre alt und nicht irgendjemand. Nach seiner Karriere beim US-Geheimdienst Office of Strategic Services hatte er Thailands Seide ein glamouröses Comeback verschafft – in den 1950er-Jahren, nachdem er mit Germaine Krull das Oriental Hotel in Bangkok geführt hatte.

Kunstvolles Haus ohne Hinweis

Sein einstiges Zuhause am Kanal Khlong Saen Saep in Bangkok ist ein Kunstwerk. Sechs traditionelle Thaihäuser aus Teak hatte Thompson dafür aus verschiedenen Regionen Siams zusammentragen lassen. Heute hat es als Thompson House & Museum viele Besucher. Der Holzbau auf Pfählen, über Teichen, Lotusblüten, Artefakten und unter verschlungenem Grün wirkt authentisch und zugleich artifiziell. Dekorative Hausfassaden ließ Thompson nach innen kehren, des Effekts wegen. Junge Frauen führen wie durch eine Theaterkulisse, vom Menschen Jim Thompson und seinem Leben aber geben sie nichts preis. Anmutige Möbel, religiöse Preziosen, Kunst aus Siam und China, zierliches Porzellan, Diwane, feine Bronzefigurinen – keine Frage: Der Geschäftsmann und Kunstsammler hatte Geschmack. Alles ist offen, selbst die Schubladen der Lackschränkchen, aber nichts drin. Eine bloße Hülle aus Wänden, Möbeln und Kunstwerken.

Illustrer Gastgeber

Wer möchte nicht mehr über diesen Jim Thompson erfahren? Doch wo, wenn nicht hier? Vielleicht nebenan im Henry B. Thompson Building, das es zu seinen Lebzeiten nicht gab? Hinter modernen Mauern findet sich die William Warren Library. Wie kein anderer hat sich Warren dem Leben des Verschollenen gewidmet. In seinem Buch „Jim Tompson – The Unsolved Mystery“ geht er akribisch Spuren nach, die das Verschwinden oder den mutmaßlichen Verbleib erklären könnten, jeder Fährte vom Moonlight Cottage bis nach Delaware in den USA, wo Thompson aufwuchs. In der kleinen Bibliothek ist sein Leben präsent. Selbst im Comic „Lost in the City“. Darin kehrt Thompson als Hundertjähriger nach Bangkok zurück, Cocky, seinen weißen Kakadu auf der Schulter.

In der William Warren Library findet man Literatur über ihn, über das Bangkok jener Jahre, die Seide, die Kunst, das Haus. Man blättert, liest, schaut hinaus auf Jim Thompson's House. Aus dem gezähmten Gartendschungel ragen Giebel und Dächer, dahinter liegt noch immer Baan Krua am Kanal wie ein Kokon in der Millionenmetropole, ein Gespinst aus Holzhäusern und Hütten, in denen muslimische Seidenweberfamilien für Thompson gefertigt haben. Szenen entstehen vor dem geistigen Auge, wie er arbeitet oder fast täglich illustre Gäste aus aller Welt bewirtet. Truman Capote, Barbara Hutton, Anne Baxter oder Robert Kennedy speisen mit ihm zu Abend. „Sie haben nicht nur wunderbare Dinge um sich, sondern diese auch wunderbar arrangiert“, lobt Somerset Maugham 1959 bei einem Dinner den berühmten Gastgeber, es soll Maughams letzte Asien-Reise sein. Man kann sich auch vorstellen, wie Thompson und Cocky in den Garten blicken und Broadway-Diva Ethel Merman ihnen mit vibrierender Stimme „Hello Dolly“ als Ständchen bringt. Oder wie er mit den Webern neue Techniken bespricht – etwa für den Canaletto Room auf Windsor Castle, die Ausstattung von Ben Hur in Hollywood, die Garderobe von Königin Sirikit, für den Export in 35 Länder.

Spuren in der Stadt, in der er gearbeitet, geliebt und gelitten hat, führen Neugierige ins Oriental Hotel. Betritt man dort den ältesten Teil, den eleganten Author's Wing, vermag man ihn vor sich zu sehen, Seidenstoffe über den rechten Arm drapiert, um Kunden zu werben. Wie kein zweites fügt sich dieses Viertel rund um die Oriental Avenue und die Kathedrale in das Bild von damals. Hier gibt es sie noch, die von fleischiger Flora überwachsenen alten Holzhäuser längs der Sois, jener Gassen, die früher Tausende von Wasserwegen in Siams Kapitale begleitet haben.

Es bleibt das Label

West und Ost, Merkantilismus und Spiritualität begegneten sich hier in so noblen Bauten wie den Handelsniederlassungen der Europäer im venezianisch angehauchten Stil der Neorenaissance, dem Oriental Hotel oder dem schneeweißen O. P. Place, dem ersten Kaufhaus der Stadt. Restauriert empfängt Letzteres heute Besucher mit livrierten Portiers, in Läden für asiatische Antiquitäten, antiken Schmuck und Seide. Füße versinken im Teppich, alles ist leise, edel, zwei Straßen weiter braust Bangkok durch Häuserschluchten. Die nahe Straße Surawong führt immer tiefer in jenes Bangkok, in dem Thompson sein Haus errichtet hat, weit entfernt vom europäischen Viertel. Das neue Anwesen am Khlong Saen Saep bezieht er im April 1959, es ist Bühne des gesellschaftlichen Lebens bis zu seinem Verschwinden. Von James Harrison Wilson Thompson, dem begüterten Sohn einer Upperclass-Familie aus Greenville, Delaware, erzählt es als Museum nichts. Im inszenierten Raum ist kein Platz für die Niederungen des Alltags – jene Spannungen im politischen Betrieb, deren Opfer seine engsten Freunde wurden, und die ihn verzweifelt zurückließen. Oder seinen verbitterten Streit mit den Kulturbehörden, die ihm vorwarfen, antike Stätten zu plündern.

Von Thompson bleiben nur sein genialer Geschmack und die Seide, die unter seinem Namen verkauft wird – eine Marke. Im Jim Thompson Shop beim Museum gibt es Bettbezüge, Polster, Blusen, Tücher, Lampenschirme – aus Leinen, Kaschmir, Polyester. Und Seide, die unter den Fingern knistert, fließt und flüstert – von Jim, der von einem großen Foto auf die Kundschaft blickt. Die Jim Thompson Thai Silk Company produziert heute im Nordosten Thailands. Hinweise auf die Produktion einst finden sich etwa in Baan Krua – bei der Brücke über den Khlong Saen Saep steht ein Schild mit verwitterten Lettern. Dort heißt Khun Niphon Gäste in seiner Seidenmanufaktur freundlich willkommen und erinnert sich: Zehn Jahre war er alt, als Thompson allmorgendlich mit dem Kahn übersetzte und mit Niphons Mutter die Arbeiten besprach. Ein Foto zeigt sie am Webstuhl mit dem Unternehmer, bis heute klappern die Teakholzwebstühle von damals für Seidenstoffe in sinnlichen Mustern und Farben, die hier auch verkauft werden. Aber auch hier keine Spur, also zurück in die Bibliothek. Verlässt man die William Warren Library, nimmt man den Weg zur Soi Kasem San. Unter den Schritten knirschen die Kiesel wie ein fernes Echo dessen, was seine Freunde im Moonlight Cottage letztmals von Jim Thompson vernommen haben.

Die Fährte aufnehmen in Bangkok

Anreise zum Museum: via BTS Skytrain, Station: National Stadium oder mit den Linienbooten auf dem Khlong Saen Saep bis Ban Krua Nua Pier oder Pratunam Pier.

Besuchen: Jim Thompson House & Museum mit Restaurant & Wine Bar, Shop, geführten Touren, Ausstellungen. www.jimthompsonhouse.com

The William Warren Library im Henry B. Thompson Building.

Baan Krua: über die Brücke neben dem Jim Thompson House, ein Ort von dich- ter Atmosphäre und voller Lokalkolorit.
Einkaufen: Pamai Baan Krua Thai Silk: Khun Niphons Seidenmanufaktur, Familienbetrieb, alte Fotos mit Thompson, hier kann man günstig Seide kaufen. www.phamaibaankrua.com

Essen: Cafe at Ease – Art Cafe: liebenswerter Ort für Espresso, Tee, hausgemachte Lemon Pie und Imbisse, auf derselben Straße wie das Jim Thompson House, modern, künstlerischer Touch.

Food Republic: trendig, quirlig, preiswert, vielfältige asiatische Speisen im dritten Stock der futuristisch gestylten Mall Siam Centre, zu Fuß in 15 Minuten.

Im Viertel um das Oriental-Hotel: BTS Skytrain, Station Saphan Taksin.

Übernachten: Mandarin Oriental: eines der ältesten Grandhotels Asiens. Im historischen Teil (Author's Lounge) bot Thompson seine Seide an. www.mandarinoriental.de/Bangkok/

Essen: Harmonique: in einem historischen Shophouse, wirkt wie eine nostalgische Filmkulisse, originelle Thaiküche, T: +66 2 237 81 75, Mango Tree: luftiger Ort, gute Thaiküche, im O. P. Garden. www.mangotreerestaurants.com

(Print-Ausgabe, 18.03.2017)

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