Zentralfriedhof: Das Design des Todes

Am Zentralfriedhof
Am Zentralfriedhof(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Wiens Ruf als Stadt pompös-edler Begräbnisse entspricht nicht mehr der Realität. Noch gibt der Zentralfriedhof den Stil beim Beerdigen vor. Und der ist optisch einheitlich. Doch das ändert sich.

Darf man in der Trauer ästhetische Bedenken haben? Kann man nach dem Tod eines Angehörigen Einwände gegen die geschmacklichen Verirrungen der Bestattung Wien und anderer vergleichbarer Unternehmen haben? Kaum. Man bemerkt sie und ignoriert sie. Aber nicht lange. Denn bereits die Namenswahl der Urnen – bei den Särgen ist es ganz ähnlich – zeigt, wohin die stilistische Reise geht. „Schönbrunn“ heißt das Model aus Porzellan mit kleinem Goldrand, die „Hofburg“ ist aus Marmor und „Carnuntum“ bräunlich-undefinierbar. Das Modell „Siena“ ist in Blau gehalten, in der Toskana kennt das hoffentlich keiner. Aber kurz nach einem Tod fragt man den höflichen Bestatter der Bestattung Wien dann doch nicht wahrheitsgemäß: „Gibt es nicht irgendwas im Ikea-Stil, hell, freundlich, unauffällig?“

Man spricht auch natürlich nicht über Preise. Die sind zwar hoch, aber ein Begräbnis darf schon etwas kosten. Dafür gibt es Versicherungen, sogenannte Sterbevereine. Womit wir bereits tief im Wiener Klischee sind: Wien gilt als die Stadt der schönen Leich, der pompösen Begräbnisse und der plötzlich erwachenden Zuneigung für jemanden, der gerade verstorben ist. Der wahre Kern dieses zwecks Tourismus gerne gepflegten Stereotyps ist zugleich das rein flächenmäßig größte Klischee: der Wiener Zentralfriedhof.


Neonjacke bei Totengräbern. Der flächenmäßig zweitgrößte und von der Zahl der Begrabenen sogar größte Friedhof des Kontinents ist beliebtes Ziel städtischer Spaziergänger. Authentizitäts- und Architekturtouristen und andere Nichttrauernde lieben die Wanderung mit dem wohligen Melancholieschauer. Dimitré Dinev, Schriftsteller aus Bulgarien mit neuer Heimat Wien, muss es ebenso gegangen sein: Er hat in seinem Roman „Engelszungen“ ein Phänomen beschrieben, das im strengen Raster der Grabsteinreihen auffällt wie eine Neonjacke bei einem Totengräber: manche Gräber von in Wien verstorbenen Migranten aus Südosteuropa.
Da ziert ein steinerner Fußball den Grabstein eines Verstorbenen, da wurde ein Statussymbol, ein S-Klasse-Mercedes, nachgebaut. Da posiert der Verstorbene mit dem Siegeszeichen auf einem Foto hinter Glas – nicht lebensgroß, aber fast. Bei Dinev ist es der Exgangster Miro, dessen Statue mit Flügeln und seinem Handy aus schwarzem Marmor als Treffpunkt seiner Protagonisten dient.

»Miro hatte ein Handy und zwei Flügel. Seine Flügel waren aus braunem, sein Handy war aus schwarzem Marmor.« Dimitré Dinev

Ansonsten wurde der Friedhof in den vergangenen 50 Jahren zu einem steinernen Einheitsbrei, eiserne Kreuze, wie heute noch auf dem Land zu finden, sind rar geworden. Es mag die Dr. Karl Lueger Kirche geben, die christlichen Symbole auf dem Friedhof sind seltener, Steine prägen das Bild. „Stangenware“ nennt das Rudolf Wunsch, Innungsmeister der österreichischen Steinmetze, „meist aus Indien oder China in Großserie hergestellt“.


Geiz ist nicht mehr geil. Ein wenig Freude ist Wunsch anzumerken, wenn er davon spricht, dass die „Geiz ist geil“-Mentalität zu enden scheint: „Vor einigen Jahren begann hier ein Umdenken.“ Ein Umdenken, das er auch auf der Seite der Anbieter fördern will. Mit Kursen und Seminaren sollen die Steinmetze auf neue Ideen gebracht werden, wie ein Grabstein persönlicher zugeschnitten werden kann.

Ein Umdenken bestätigt auch Michaela Lindinger, Kuratorin des Wien Museums. Seit etwa fünf Jahren werden alte, vergessen geglaubte Traditionen wiederbelebt. So würden etwa in Wien wieder Totenmasken und Handabdrücke von den Verstorbenen genommen und verwahrt. Ein Brauch, der schon sehr lange nicht mehr zu beobachten war. Woher kommt dieses neue Traditionsbewusstsein? Lindinger ist sich selbst nicht ganz sicher. Vielleicht ist es auch der Einfluss einer TV-Serie wie „Six Feet under“, in der eine Bestatter-Unternehmersfamilie in den USA zeigt, dass Sex und Tod ebenso wenig ein Widerspruch sind wie Gräber und Stil. Andere Traditionen werden wohl nicht mehr kommen: Aufbahrungen gibt es nur noch selten.


Sterben am Rand. Das Ende der großen Begräbniszeremonien und des passenden Prunks kam in den 50er-Jahren, vor allem in Städten wie Wien, sagt die Wien-Museum-Spezialistin. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sterben in Wien und vielen Ländern Europas an den Rand gedrängt.“

Gab es in Wien etwa in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch zahlreiche Spezialgeschäfte für Trauerkleidung, existiert heute kein einziges mehr. Ein Brauch ist völlig vergessen, aufgebahrt werden nur noch Prominente, und das auch kaum mehr im offenen Sarg. Nach wie vor werden jedoch Parten verschickt und – vor allem in den Bundesländern – in Zeitungen inseriert. Bei Huber & Lerner, Wiens erstem traditionellen Druck- und Papierfachgeschäft, registriert man in den vergangenen Jahren weder einen massiven Einbruch noch so etwa wie Moden. Bevorzugte Schrift ist und bleibt Times – mit den üblichen kleinen Variationen, Motive schätzt man in der Weihburggasse nicht. Oder grafische Abenteuer. Und hier bekommt man unbestritten die beste Qualität des Landes.


Kein gutes Design. Warum sich bei Parten, Urnen, Gräbern und Blumenschmuck in Österreich bisher nicht viel ändert, ist schwer zu beantworten. Typografiespezialistin Gabriele Lenz hat zumindest ganz pragmatische Lösungsansätze: „Warum das Design generell schlecht ist? Kreative beschäftigen sich offenbar nicht gerne mit dem Thema.“ Ihr sei das Phänomen auch schon aufgefallen. Immerhin bauten Architekten wie Heinz Tesar sehr wohl gute Sakralbauten, mit Massimiliano Fuksas schuf ein internationaler Star sogar die Erweiterung des Friedhofs von Orvieto, Italien. „Vielleicht ist es wirklich das Alter. Ein Architekt über 40 gilt als jung, ein Designer über 40 als alt.“

Bis sich etwas ändert, sprechen wir einfach vom Wiener Pompes-funèbres-Stil. Die charakteristischen Mäntel und Mützen der Totengräber des Zentralfriedhofs, die heute nur bei großen Begräbnissen zum Einsatz kommen, ähneln übrigens dem Talar und der Adjustierung von Richtern oder Standesbeamten, sie standen laut Wien Museum aber nicht Pate dafür. Sie haben den gemeinsamen Ursprung in der einst wesentlich pompöseren Kleidung der Beamten am Wiener Hof.

Deren Kleidung – und der optische Stil der heimischen, nichtkirchlichen Begräbnis-Accessoires – bekam ihre heutige Prägung im frühen Jugendstil, in dem auch ein großer Teil des Zentralfriedhofs gebaut wurde. Später wurde die Ausrüstung dann günstiger produziert und einfacher gestaltet, purer könnte man auch sagen.

Wie aber wird die Bestattung der Zukunft aussehen? „Herkömmliche Grabreihen sterben langsam aus“, meint Johann Gutschi. Der studierte Theologe und Philosoph ist „Friedhofsberater“ – ein Beruf, dem er seit mehr als zehn Jahren nachgeht. Er beobachtet, dass Grabsteine individueller werden, sich stärker am Verstorbenen orientieren. „Für einen Menschen, der immer aufrecht durchs Leben gegangen ist, bietet sich etwa eine hohe Stele an“, erzählt er. Für eine Frau, die sich mit Esoterik und der Welt der Indianer beschäftigt hat, kreierte er einen Gedenkstein, an dem ein Traumfänger aufgehängt ist. Und auch bei der Auswahl des Materials kann man schon ein Zeichen setzen, meint er. Etwa, indem man für einen Verstorbenen, der gerne geangelt hat, einen jener Steine auswählt, auf dem er beim Fischen gerne gestanden ist.


Ort der Naherholung. Aber nicht nur die Gräber, auch die Friedhöfe selbst werden sich verändern, glaubt Gutschi. Rund um Bäume, zentriert um ein Denkmal, mit zahlreichen Sitzgelegenheiten dazwischen, so würde der Friedhof der Zukunft aussehen, meint er. So, dass es nicht nur ein Ort der Trauerbewältigung ist, sondern gleichzeitig auch ein Park mit Naherholungswert, in den man sich vielleicht sogar in der Mittagspause setzt.

»Schau dir die anderen Gräber an: Das nennt sich Zivilisation. Zivilisiert gelebt, zivilisiert gestorben, zivilisiert begraben. Bei uns bringt man noch den Toten Speis und Trank.« Dinev

Eine Art der Trauerbewältigung, wie sie mittlerweile auf dem Zentralfriedhof zu finden ist. Zuwanderer aus dem Südosten haben eine neue Form der Trauerarbeit nach Wien gebracht: Regelrechte Picknicks werden von Angehörigen vor den Totenstätten abgehalten. Gemeinsame Feiern, an denen auch so mancher Tote virtuell teilnehmen kann, mit einer steinernen Zigarettenpackung etwa und dem dazugehörigen Aschenbecher auf der Grabplatte. Als wäre er noch unter den Lebenden. Kein Wunder also, dass die Friedhofsverwaltung gerade rund um die Gräber von Zuwanderern jüngst eigene Schilder aufgestellt hat, auf denen auf „Ernst und Würde der Widmung eines Friedhofs“ hingewiesen wird. Und auf das Verbot von Sportgeräten wie Skateboards oder Rollschuhen.

Also verändert sich doch etwas. Vielleicht auch irgendwann das Design.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.