Doppelbödige Argumentation aus Wien

Im Grunde gibt es keinen Unterschied zwischen der deutschen Maut und der gekürzten Familienbeihilfe für EU-Bürger.

Ein altes Sprichwort sagt: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“ Österreich kann zwar argumentieren, dass die deutsche Maut gegen das Diskriminierungsverbot der EU spricht, weil hier bloß ausländische Autofahrer zur Kassa gebeten werden. Doch sollte es auf seine eigenen Pläne achten.

Wenn die Bundesregierung EU-Bürgern aus den östlichen Nachbarländern die Familienbeihilfe kürzen möchte, wenn Außenminister Sebastian Kurz deren Zugang zu Sozialleistungen einschränken will, fällt das in dieselbe Kategorie. Auch hier werden Inländer bevorzugt und in Österreich arbeitende EU-Bürger schlechtergestellt. Und das, obwohl beide in die gleiche Sozialversicherung einzahlen, ihre Arbeit nach demselben System besteuert wird.

Im EU-Binnenmarkt sollen alle Bürger gleichgestellt sein. Dieses Prinzip der Union hat einen guten Grund. Denn nicht nur der Handel, sondern jeder Arbeitnehmer soll von den Möglichkeiten und Chancen eines so großen Markts profitieren können. Wenn jedes Land beginnt, seine Bevölkerung, seine Unternehmen, seine Waren zu bevorzugen, wird dieser Binnenmarkt nicht mehr funktionieren. Es wird sein, als ob Sand in eine gut funktionierende Maschine geschüttet wird. Wenn sich dann alles national festgefressen hat, wird auch von den angeblichen Bevorzugungen und Besserstellungen niemand mehr profitieren.

wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2017)

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