Musikantenstadl: Backstage in der heilen Welt

Andy Borg
Andy Borg(c) EPA (Ursula Dueren)
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Bald dreißig Jahre gibt es den Musikantenstadl. Das Harmonieversprechen findet ein Millionenpublikum. Sieben bis acht Prozent am österreichischen Musikmarkt machen Schlager- und Volksmusikgenres aus.

"Andere Leute verbrauchen das Geld in den Gasthäusern, ich hier“, sagt Fritz Kreiser, dessen einziges Hobby seit Jahrzehnten Veranstaltungen wie der Musikantenstadl sind. Fritz trägt ein ausgewaschenes „I love Musikantenstadl“-T-Shirt und ein viel zu großes Jackett, das mit Anstecknadeln diverser Musikfeste gespickt ist. Backstage sieht er sich die Übertragung der Show an – es ist September, die „Presse am Sonntag“ ist zum Lokalaugenschein angereist. Die üblichen mit „Applaus“ und „Jubel“ beschrifteten Tafeln bräuchte man beim Musikantenstadl eigentlich nicht. Vor allem für Moderator Andy Borg klatschen sich Jung und Alt begeistert die Hände wund. „Die Menschen glücklich zu machen“ ist das erklärte Ziel der volkstümlichen Musiker. Mit einer simplen Mischung aus Synthesizern, kitschigen Texten und Trachtenhemden erzeugen sie eine Gegenwelt, in der alle Herzen froh sind. „Ziel eines jeden Menschen ist die heile Welt“, sagt Andy Borg. Die passende Untermalung für die Haushaltsführung, wie er meint. „Wenn die Mutter am Bügelbrett steht und dem Vater die Hemden bügelt, dann hört sie sich das an, um sich wohlzufühlen.“


Volksmusik als Wirtschaftsfaktor. Die Schlagerstars in Lederhosen und Dirndl kann man belächeln. Als Wirtschaftsfaktor muss man volkstümliche Musik aber durchaus ernst nehmen. Sieben bis acht Prozent am österreichischen Musikmarkt machen Schlager- und Volksmusikgenres aus. Mit zehn Prozent liegt der Anteil nationaler Künstler am Musikmarkt nur wenig höher. Während der Umsatz in der gesamten Branche im Sinkflug ist, wächst das Kuchenstück der volkstümlichen Szene. 185Millionen Euro werden am heimischen Markt umgesetzt. Um die 15Millionen entfallen auf die volkstümliche Musik. Das klingt wenig, aber das große Geld wird heute ohnehin mit Merchandising und Konzerten verdient. Das schöpft die Szene voll aus. Der Musikantenstadl bewirbt seine erste Stadl-Kreuzfahrt. Vincent und Fernando, die Gewinner des Grand Prix der Volksmusik, stehen heuer 160-mal auf der Bühne. Eine Branche, von der man gut leben kann.

In Linz überreicht Shootingstar Semino Rossi Andy Borg live die Goldene Schallplatte für sein neues Album. Einen Tag ist es zu diesem Zeitpunkt im Handel. Mehr als 10.000 verkaufter Platten in knapp mehr als 24 Stunden – das lässt die Kasse klingeln. Der Trend zum illegalen Download ist für die volkstümliche Musik derzeit kein Problem. Hier werden sogar noch Kassetten verkauft.


Schwiegersohn trifft Traumprinz. Als Geheimnis des Erfolgs sehen die Musiker ihre Nähe zu den Fans. Die meist männlichen Stars verkörpern den idealen Schwiegersohn oder den Traumprinz von nebenan. So ist die 68-jährige Gerlinde mit ihrer 34-jährigen Tochter Gabriele zum Musikantenstadl gekommen, damit diese „den Andy Borg kennenlernt“. Dass er vorne auf der Bühne steht und sie im Zuschauerraum sitzen, das stört nicht. Irgendwann erwischt man ihn schon.

Dass so viel Nähe auch auf die Nerven gehen kann, wird keiner zugeben. „Wenn es zu viele sind, dann kann man nicht die Menschen dafür verantwortlich machen“, sagt Borg. Bei Hansi Hinterseers Auftritt aber wird die Fanpflege einem Härtetest unterzogen: Eine Frau stürzt sich während seiner Performance mit einer Packung Chips als Geschenk auf den blonden Strahlemann. Sie umarmt und küsst ihn, lässt ihn nicht mehr los. Hinterseer hat Probleme, mit den Lippen noch seinem Playbacklied zu folgen. Wirklichkeit und Persiflage liegen ganz nah beieinander.

Hinterseer bleibt professionell. „Andy, hilf mir!“, ruft er und lacht. Auf die stürmische Frau ist er nicht böse, sagt er: „Da musst Schneid haben, um vor einem Millionenfernsehpublikum auf die Bühne zu gehen.“ Alles eitel Wonne. Das ist seine Stärke. Hinterseer verkörpert die heile Welt, die seine Fans so gern leben wollen. „Nimm dir die Zeit zu leben, und es wird Sterne regnen, wenn du an Wunder glaubst“, singt der Tiroler. Sein Erfolg liege darin, dass er „einer für die Berge“ sei, sagt er. „Ich bin halt so, nicht gespielt.“ Ehrlich, echt, anständig sind Worte, die im Gespräch mit den Volksmusikstars oft fallen. Man traut dem „Bauchgefühl“. Dass sie mit ihrer Musik Werte transportieren, die auch rechte politische Parteien hochhalten, scheint nicht bewusst. „Jede andere Musik ist politischer“, glaubt Borg. Der Südtiroler Fernando gibt zu, dass es schon Anfragen aus der Politik gegeben habe, aber „das hat in der Szene nichts zu suchen“.


Harmonie ohne Experimente. Wenn Interpreten einmal bekannt geworden sind, können sie ihr Erfolgsrezept jahrzehntelang weitertragen. Musikalische Neuerungen? Fehlanzeige. „Wir machen keine musikalischen Experimente. Es gibt eine Schiene“, sagt Fernando, der mit bürgerlichem Namen Otto Messner heißt. Er und sein Bruder Vincent wissen, wie das Business funktioniert: Gefragt sind Harmonie in Ton und Text. „In der Wirtschaftskrise ist es wichtig, fröhliche Lieder zu machen“, erklärt er. Und die Menschen wollen die Musik hören. Die Intersport Arena ist bis auf den letzten Platz besetzt. „Das Fröhliche, Herzliche, dass die immer ein Lächeln im Gesicht haben gegenüber der stressigen Welt“, hat den 49-jährigen Tischlergesellen Rainer aus Deutschland zum Musikantenstadl gelockt. Die Karte hat er von seiner Frau zu Weihnachten bekommen.

Kinder in Tracht teilen Linzertorten aus. Ländlichkeit statt Urbanität. Gastfreundschaft statt Ich-AG. Werte, wie sie einst eine von Bergen begrenzte Welt strukturierte. In der heilen Welt der volkstümlichen Musik ist auch für jene Platz, die sich in einer von Leistung, Veränderung und Globalisierung bestimmten Gesellschaft nicht so leicht zurechtfinden. Fritz Kreiser mit seinem Musikantenstadl-T-Shirt reist seiner heilen Welt seit Jahrzehnten hinterher. Der 52-Jährige sitzt im Backstagebereich, er darf gratis hinein. Die Veranstalter kennen ihn schon. „Ich bin seit 1975 überall mit dabei. Bei jeder Musikveranstaltung“, sagt er leise. Er hat keine Frau, keine Freundin, seine Eltern sind im Altersheim. Seine gesamte Freizeit verbringt der Gemeindeangestellte mit seiner Musik. Allein. Backstage in seiner heilen Welt.

Für einen Musikantenstadl werden 20Tonnen an Gerüstmaterialien aufgebaut, 12.000Meter Kabel verlegt, 670Scheinwerfer installiert sowie eine 65Meter breite Bühne errichtet.

Das Team, das den Musikantenstadl produziert, setzt sich aus über hundert Personen zusammen. Für viele Musiker war die Einladung zur Sendung der Start einer Karriere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2009)

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