1. Mai: Hunderte Festnahmen in Istanbul

Polizei stoppt Demonstranten in Istanbul.
Polizei stoppt Demonstranten in Istanbul.(c) APA/AFP/YASIN AKGUL
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Die Polizei setzte Tränengas ein, um Demonstranten daran zu hindern, den zentralen Taksim-Platz zu erreichen. Erdoğan will AKP säubern.

Istanbul. Gut zwei Wochen nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei beklagen Regierungskritiker eine gefährliche Zunahme von Repression und außenpolitischen Risken. Bei Demonstrationen zum Tag der Arbeit wurden in Istanbul mehr als 200 Menschen festgenommen. Die Polizei setzte Tränengas ein, um Demonstranten daran zu hindern, den zentralen Taksim-Platz zu erreichen.

Die Behörden hatten wie auch in den Jahren zuvor Kundgebungen zum 1. Mai auf dem Taksim-Platz verboten. Nur regierungsnahe Gewerkschaften durften eine kurze Erklärung abgeben. Tausende Gewerkschaftler und Regierungskritiker versammelten sich friedlich im Stadtteil Bakirköy, wo man eine Kundgebung erlaubt hatte.

Davor hatten die Behörden den Zugang zum Online-Lexikon Wikipedia sperren lassen und die Türken damit von einer der beliebtesten Internetseiten der Welt abgeschnitten. Ein Gericht in Ankara begründete das Verbot mit Einträgen, in denen von türkischer Unterstützung für Jihadisten in Syrien die Rede sei. Die Regierung warf Wikipedia vor, sich an einer „Schmierkampagne“ gegen die Türkei beteiligt zu haben.

Regierungskritiker befürchten, dass die beim Referendum am 16. April beschlossene Umstellung auf ein Präsidialsystem zur Alleinherrschaft von Staatschef Erdogan führen wird. Die Oppositionspartei CHP kritisierte, die Regierung hebe mit Hilfe des Ausnahmezustandes, der seit dem Putschversuch vom Juli in Kraft ist, die Grundrechte der Bürger auf.

4000 Beamte entlassen

Ein Erlass hatte am Wochenende die Entlassung von weiteren 4000 Beamten in Ministerien, dem Verfassungsgericht, der Wahlkommission und anderer Institutionen als mutmaßliche Anhänger des Erdoğan-Erzfeindes Fethullah Gülen angeordnet. Weitere 2600 Verdächtige seien vorige Woche bei Anti-Terror-Aktionen gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger und militante Kurden festgenommen worden.

Laut Medien plant Erdoğan nun auch eine Säuberungswelle in der Regierungspartei AKP. Heute, Dienstag, will der Staatspräsident offiziell wieder in die AKP eintreten: Damit geht in der Türkei die Zeit des parteiunabhängigen Staatspräsidenten zu Ende. Nachdem Erdoğans Parteimitgliedschaft durch das Referendum ermöglicht wurde, will er bald in einem Sonderparteitag den Parteivorsitz wieder übernehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2017)

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