Jede Frau hat das Recht, Sexualität und Reproduktion zu trennen

Der rezeptfreie Zugang zur „Pille danach“ ist dazu ein kleiner Mosaikstein.

Der Gesundheitsminister will die Pille danach rezeptfrei machen, und das konservative Medizinlager sieht den Weltuntergang nahen. Zunächst stellt sich einem gelernten Österreicher die Frage, warum die Diskussion gerade jetzt lanciert wird, ist doch die Pille danach seit vielen Jahren auf dem Markt und bereits in 40 Ländern ohne Rezept zu erhalten.

Aber, wie Professor Bonelli richtig einleitet: „Lassen wir Politik und Weltanschauung einmal beiseite und analysieren die Situation emotionslos und faktenbezogen“: In einer säkularen pluralistischen Gesellschaft sollte man sich darüber einig sein, dass – wie es in einer UN-Charta heißt – alle Frauen (und Paare) das Recht haben, die Anzahl ihrer Kinder und den Abstand zwischen ihnen zu wählen und durch Bildung und entsprechende Information auch über die Möglichkeit zu einer solchen selbstverantworteten Elternschaft zu verfügen.

Es ist nun einmal ein Fakt, dass der Großteil ungewollter Schwangerschaften nach einem ungeplanten Verkehr oder einem Versagen der verwendeten Verhütungsmethode entsteht. Das Austragen solcher Schwangerschaften ist aufgrund des emotionellen und oft sozialen Hintergrundes nicht nur komplikationsträchtiger, sondern missachtet auch das Recht jedes Kindes, von seiner Geburt an in Liebe begleitet zu werden.

Daher hat die postkoitale Kontrazeption einen klaren Platz im Rahmen der Familienplanung.

Die derzeit auf dem Markt befindlichen– und zur Rezeptfreiheit anstehenden– Präparate enthalten 750 bzw. 1500 Mikrogram Levonorgestrel, ein jahrzehntelang bekanntes Gestagen, dessen Risiko bzw. Nebenwirkungspotenzial sehr gering ist.*

Sogar die WHO – deren Aufgabe es zweifelsohne ist, die Gesundheit der Welt zu fördern – hat sich festgelegt, dass es keine Kontraindikation zur Anwendung dieser Form der Postkoitalpille gibt. Selbst wer das nicht glaubt, wird nicht umhinkommen zu akzeptieren, dass die Alternative, nämlich das Austragen nach einer ungewollten Schwangerschaft, mit allen Gefahren der Schwangerschaft und der Erhöhung derselben durch deren Ungewolltheit behaftet ist.

Keine Abtreibungswirkung

Die Gefährlichkeit der Pille danach kann also nicht der Grund dafür sein, dass ein solcher Aufschrei durch das konservative Lager geht. Liest man den Artikel von Professor Bonelli genauer, so wird bald klar, worin seiner Ansicht nach das Problem liegt: im unterstellten Wirkungsmechanismus!

Aber da nimmt es Professor Bonelli mit den Fakten nicht sehr genau. Zunächst schreibt er, dass eine einzige Dosis der Pille danach der Dosisbelastung einer ganzen Monatspackung eines konventionellen Kontrazeptivums entspricht. Das ist völlig unrichtig: Die klassische Pille beinhaltet 150 Mikrogramm desselben Gestagens und das wesentlich risikoreichere Ethinylestradiol, sodass 21 solcher Pillen in keiner (!!) Weise mit den 1500 Mikrogramm des reinen Gestagens vergleichbar sind...

Aber auch bei der Terminologie „schummelt“ er ein bisschen – auch wenn er genau das den Andersdenkenden unterstellt. Die Pille danach verhindert weitgehend den Eisprung – ist also kontrazeptiv im korrektesten Sinn des Wortes. Eine weitere Wirkung besteht in der Veränderung der Motilität des Eileiters und daraus resultierend einer Beeinflussung des Transports der Samenzellen bzw. des Eies.

Es gibt keinerlei Hinweise dafür, dass sich mit der Pille danach ein bereits implantierter Embryo abtreiben lässt. Das geht sich auch zeitlich gar nicht mehr aus, basiert doch die Empfehlung, die Pille danach so rasch als möglich nach dem Verkehr (jedenfalls aber innerhalb von 72 Stunden) einzunehmen, auf Daten, die zeigen, dass sie danach nicht mehr wirkt. Nachdem der Transport eines befruchteten Eies in die Gebärmutterhöhle mindestens drei bis vier Tage dauert, ist klar, dass die Pille danach nicht, wie Professor Bonelli schreibt, „in vielen Fällen abtreibend“ wirkt, sondern höchstens – wenn überhaupt – dann, wenn sie allzu spät eingenommen wurde.

Und damit das nicht passiert, ist es wichtig, dass es keine unnötigen Zugangsbarrieren gibt. Die Rezeptpflicht verhindert derzeit nämlich vor allem die zeitgerechte Einnahme, weil die Betroffene – oft am Wochenende – niemanden findet, dem sie sich anvertrauen will oder der ihr das Medikament verschreibt – und da lasse ich den Inhalt und die Qualität der Beratung in einer anonymen öffentlichen Ambulanz einmal beiseite ...

Da ist es zweifelsohne besser, die Pille danach rezeptfrei abzugeben (und damit einer langjährigen Forderung der WHO und der Internationalen Gesellschaft für Familienplanung nachzukommen) – mit einem einfach gehaltenen Hinweiszettel versehen, der die Anwendung beschreibt, auf die Notwendigkeit eines etwaigen Schwangerschaftstests ebenso hinweist wie auf eine eventuelle Abklärung von sexuell übertragenen Krankheiten und die Sinnhaftigkeit einer generellen Kontrazeptionsberatung beim Arzt des Vertrauens unterstreicht.

Dass die Pille danach nicht zur Routinemethode werden soll – da bin ich mit Professor Bonelli einer Meinung.

Ideologiefreie Information gefragt

Nicht hingegen stimme ich mit ihm überein, wenn er der Auffassung ist, dass durch die rezeptfreie Abgabe der Pille danach „der Staat die sexuelle Promiskuität als Idealkultur vermittelt“. Das zeigt lediglich, dass Professor Bonelli seine eigene Aufforderung, nicht auf der Basis von Weltanschauungen zu diskutieren, am Ende des Artikels ein wenig aus den Augen verloren hat. Jede Frau hat das Recht auf ein befriedigendes und angstfreies Sexualleben mit der Möglichkeit, Sexualität und Reproduktion – wenn von ihr erwünscht – zu trennen.

Der rezeptfreie Zugang zur Pille danach ist neben ideologiefreier Information über die verschiedenen Möglichkeiten der Familienplanung dazu ein kleiner Mosaikstein.

* Etwas anders sieht die Situation für das neue Präparat ellaOne® aus, das aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahr 2010 registriert werden wird – und jedenfalls bis auf Weiteres nicht rezeptfrei abgegeben werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2009)

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