Die Partei des neuen Präsidenten könnte es der liberalen Gruppe ermöglichen, 2019 ernsthaft um ein Spitzenamt zu feilschen.
Straßburg. Spätestens, nachdem Emmanuel Macron den ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen gewonnen und damit bewiesen hatte, dass er keine politische Eintagsfliege ist, machte in den Sekretariaten der europäischen Parteien eine Frage die Runde: Wem wird sich seine brandneue Bewegung „La République en marche“ anschließen?
Man muss nicht lange über dem Wahlmanifest Macrons brüten, um zum Schluss zu kommen, dass es nur die „Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“, kurz ALDE, sein kann. Zwei der derzeit sieben französischen Mitglieder dieser Gruppe im Europaparlament sind bereits Mitglieder Macrons Bewegung: Sylvie Goulard, die für Regierungsämter genannt wird, und Jean Arthuis, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses.
„Wir haben wirklich gute Kontakte, unsere politischen Haltungen sind sehr ähnlich, und es wäre die logische Wahl“, sagte ein hoher ALDE-Funktionär zur „Presse“. „Aber es liegt an Macron, das zu entscheiden.“
Derzeit haben die Liberalen 68 Sitze im Parlament. Sie sind damit hinter der Volkspartei (216), den Sozialdemokraten (189) und den Konservativen und Reformern (74) die viertstärkste Fraktion. Letztere, die zu mehr als der Hälfte aus britischen Tories und Mandataren der polnischen PiS-Partei bestehen, gehen allerdings keine Bündnisse mit den beiden großen Parteien ein. Somit spielen die Liberalen oft das Zünglein an der Waage, wenn es um knappe Abstimmungsmehrheiten oder die Entscheidung über Ämter geht.
Die nächsten Europawahlen finden 2019 statt. Sollten sie, wie 2014, wieder in der Form eines personalisierten Wettstreits europaweiter Spitzenkandidaten ablaufen, möchten sich die Liberalen neben den Christ- und Sozialdemokraten aufstellen. Wenn Macrons Partei sich ihnen anschließt und bei diesen Wahlen gut abschneidet, wären sie dazu erstmals in einer aussichtsreichen Lage – auf Kosten der Sozialdemokraten.
Umschwung bei den Chefs
Denn erstens wird das Vereinte Königreich an der nächsten Europawahl, die nach dem Brexit stattfindet, nicht mehr teilnehmen. Somit scheiden 20 Labour-Abgeordnete aus der soziademokratischen Fraktion aus. Zweitens wird sich zeigen, wie viele der derzeit 13 Europamandatare des existenziell bedrohten Parti socialiste ihre Wiederwahl schaffen – und ob sie nicht mit fliegenden Fahnen zu Macron wechseln. Drittens, und das ist der wichtigste Grund dafür, dass die Hoffnungen der Liberalen realistischer sind als bisher: Mit Macron würden sie nach bisherigem Stand acht Staats- oder Regierungschefs stellen – und erstmals einen aus einem großen Staat. Derzeit werden acht Länder der Union christdemokratisch und je sieben sozialdemokratisch oder liberal geführt.
Macron könnte also den Ausschlag dafür geben, dass beim Feilschen um die Nachfolge von Donald Tusk als Präsident des Europäischen Rates, von Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission und Federica Mogherini als Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik auch die Liberalen mitreden. Margrethe Vestager, die forsche Wettbewerbskommissarin, empfiehlt sich durchaus für höhere Aufgaben. Doch vielleicht will der belgische ALDE-Chef Guy Verhofstadt in einem letzten Anlauf seinen mehrfach knapp geplatzten Traum vom Kommissionschef verwirklichen? Bei den Christdemokraten hat er mit seiner entscheidenden Unterstützung für Antonio Tajanis Parlamentspräsidentschaft jedenfalls einen Stein im Brett.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2017)