Die Tricks der Industrie und Gastronomie

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Symbolbild. (c) imago/ZUMA Press (Allen Eyestone)
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Was uns wie schmeckt, entscheiden wir nicht auf der Zunge allein, enthüllt Charles Spence in seinem neuen Buch „Gastrophysics“ auf eindrucksvolle und amüsante Weise.

Im Englischen gibt es die schöne Redewendung „The proof of the pudding is in the eating“. Die Wahrheit stellt sich bei der Überprüfung der Fakten heraus, sagt man damit. Der Wahrheit darüber, wie wir Essen wahrnehmen und was unsere Beurteilung bestimmt, widmet sich der britische Psychologe Charles Spence in seinem neuen Buch „Gastrophysics“. Darin weist er nach, dass wir nur glauben, unseren Pudding zu kennen, wenn wir uns den ersten Löffel gönnen.

Tatsächlich aber handelt es sich bei der Tätigkeit des Essens um einen multisensorischen Prozess, der von weitaus mehr als den fünf Geschmacksrichtungen süß, bitter, würzig (umami), salzig und sauer beeinflusst wird. Der Ort der wahren Abenteuer ist auch hier der Kopf, schreibt Spence: „Die Freuden der Tafel ereignen sich im Geist, nicht im Mund.“

In zahlreichen Beispielen zeigt Spence, der an der Universität Oxford das Zentrum für Experimentalpsychologie leitete, wie Sinneseindrücke unsere Wahrnehmung des Essens beeinflussen: So gelang in einem Versuch der Nachweis, dass mit einer Erhöhung des Geräuschs, das ein Konsument beim Öffnen einer Packung Kartoffelchips wahrnimmt, der Eindruck der Knusprigkeit und Frische steigt. Das passiert, wohlgemerkt, bevor der Konsument überhaupt den ersten Bissen gemacht hat.

Hintergrundgeräusche sind auch der Grund, warum 27 Prozent aller Flugpassagiere Tomatensaft bestellen, auch wenn sie am Boden niemals dieses Getränk zu sich nehmen würden: Bei den 85 Dezibel, die von den Triebwerken in 10.000 Meter Höhe erzeugt werden, behält der rote Saft seinen vollen Geschmack, während alle anderen Getränke an Wirkung verlieren. Selbst der teuerste Champagner schmeckt über den Wolken schal.

Weiße Teller machen Desserts süßer

Spence greift in seinem Buch auf 20 Jahre Forschung zurück und liefert zahlreiche weitere Beispiele: Wenn wir von roten Tellern essen, fühlen wir uns früher satt. Von weißen Tellern nehmen wir Desserts um zehn Prozent süßer wahr, während wir auf dunklem Geschirr eine salzigere Wirkung zu spüren glauben. Wenn wir allein vor dem Fernsehen essen, nehmen wir um bis zu 25 Prozent mehr zu uns.

Aber viele Eindrücke formen sich lange, bevor wir überhaupt Sinneskontakt mit dem Objekt unserer Begierde hatten: Derselbe Fisch, der als „patagonischer Zahnfisch“ ein unverkäuflicher Ladenhüter gewesen war, wurde als „chilenischer Wolfsbarsch“ zum Bestseller. Als der Süßwarenhersteller Cadbury die Ecken seiner meistverkauften Schokoladetafel abrundete, liefen die Konsumenten Sturm gegen die angebliche Erhöhung des Süßgehalts: In Wahrheit war das Rezept unverändert geblieben.

Musik beschleunigt Trinkverhalten

Schweres Besteck, edle Tischdecken und klassische Musik im Hintergrund erwecken nicht nur unseren Eindruck, besonders fein zu speisen, sondern erhöhen auch unsere Bereitschaft, höhere Preise zu bezahlen. Erhöht sich das Volumen der Hintergrundmusik um 22 Prozent, trinken die Kunden um 26 Prozent schneller. Jedes englische Pub kann als Beweis für diese Beobachtung dienen.

Diese und viele andere Erkenntnisse sind für die Lebensmittelindustrie und Gastronomie natürlich eine Goldgrube. Spence legt klar offen, dass er mit beiden eng zusammenarbeitet und viele seiner Untersuchungen von der Industrie finanziert werden. Berührungsängste hat er nicht, vielmehr erinnert er die Konzerne an ihre Verantwortung: „Es liegt auch in ihrem Interesse, dass die Konsumenten ein Bewusstsein für gesundes Essverhalten entwickeln. Wer länger lebt, konsumiert auch länger“, sagt Spence (siehe Interview).

"Kult der Wahrnehmung"

Mit vergleichsweise einfachen Tricks, etwa mit Verpackungsgrößen und den darauf verwendeten Bildern, kann etwa der vermutende Salz- und Zuckergehalt von Speisen ebenso beeinflusst werden wie die Menge der Konsumation: Wenn ein Löffel von der rechten Seite in eine Schüssel ragt, wird ein Produkt um 15 Prozent mehr verkauft, als wenn er von der linken Seite kommt.

Den heutigen „Kult der Wahrnehmung“ rund ums Essen, bei dem das Smartphone eine mindestens so wichtige Rolle spielt wie Zunge und Gaumen, kritisiert Spence als „Gastroporn“. Dagegen steht er den Experimenten der Spitzengastronomie mit heller Begeisterung gegenüber. Seine erste Empfehlung ist, Qualität über Quantität zu stellen: „Essen Sie weniger!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2017)

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