Prozesswelle: Die Revolte der Kleinanleger

(c) APA (Barbara Gindl)
  • Drucken

Auf den Finanzdienstleister AWD und die Meinl Bank rollen Prozesse von mehr als 10.000 Geschädigten zu. Anleger fühlen sich „systematisch falsch beraten“ – und verlangen 210 Millionen Euro Schadenersatz.

wien.Tausende Anleger, die mit österreichischen Immobilienaktien in den vergangenen Jahren viel Geld verloren haben, wollen sich mit ihrem Verliererschicksal nicht abfinden – und treten eine Prozesslawine los. Geklagt werden Berater wie der Finanzdienstleister AWD und Banken wie die Meinl Bank, die Gerichte werden sich in den nächsten Monaten – überwiegend in Form von Sammelklagen – mit mehr als 10.000 Anlegerschicksalen auseinandersetzen müssen. Alle diese Anleger hatten Aktien der Immofinanz/Immoeast beziehungsweise Zertifikate der Meinl European Land, die ihnen meist als „Aktien“ verkauft worden waren. Und alle fühlen sich geprellt beziehungsweise „systematisch“ falsch beraten. Die eingeklagte Schadenssumme dürfte 210 Millionen Euro erreichen.

Eine entscheidende Wende hat die Affäre am Mittwoch genommen: Da hat das Wiener Handelsgericht eine erste Sammelklage des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) gegen den angeschlagenen Finanzdienstleister AWD zugelassen. Vorwurf: systematische Fehlberatung durch AWD-Berater beim Verkauf von Immofinanz-Aktien.

Die erste Klagstranche (gegen deren Zulassung AWD allerdings rechtlich vorgehen dürfte) betrifft zwar nur rund 145 Kläger, die zwei Millionen Euro Schaden geltend machen. Die Zulassung der Sammelklage selbst gilt aber als Dammbruch: Der VKI hat weitere 2500 Anleger im „Talon“, die 30 Millionen Euro Schaden reklamieren. Da kommt also einiges erst ins Rollen – auch wenn diese Art der Sammelklage mit ihrem Vorbild in den USA nicht viel gemein hat: Während dort ganze Klassen von Klägern in gleich gelagerten Situationen zusammengefasst werden können, muss in Österreich jeder einzelne Geschädigte seine behaupteten Ansprüche an einen Kläger abtreten oder sich von ihm vertreten lassen.

Schon losgetreten ist die Lawine bei Meinl European Land: Dort haben bereits 600 Anleger geklagt, der Prozessfinanzierer Advofin, der nach eigenen Angaben 8000 „Geschädigte“ vertritt, will deren Ansprüche wie berichtet in fünf bis sechs Sammelklagen durchsetzen. Insgesamt geht es da um einen behaupteten Schaden von knapp 180 Millionen Euro.

Die Aktienkurse waren nach Skandalen um die beiden Immobiliengesellschaften um teilweise mehr als 90 Prozent eingebrochen. Gegen die Exmanager von MEL und Immofinanz wird ermittelt. Die von den Kursstürzen betroffenen Aktionäre machen geltend, falsch beraten worden zu sein: Bei MEL sei ihnen vermittelt worden, die Aktie (die in Wirklichkeit nur ein Aktienzertifikat war) sei „mündelsicher“. Die Meinl Bank bestreitet diesen Vorwurf. Bei Immofinanz seien sie „systematisch“ falsch über Risken informiert worden (was der AWD bestreitet).

Fehlberatung „eingebaut“

Der Schaden hat sich mittlerweile freilich verringert: Die Aktienkurse sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Immofinanz-/Immoeast-Papiere etwa haben schon fast wieder ein Drittel ihrer maximalen Kursverluste aufgeholt.

Brancheninsider schätzen vor allem die kommenden Prozesse gegen den Finanzdienstleister AWD als hochinteressant ein: Konstatiert das Gericht „systematische Fehlberatung“, steht das Geschäftsmodell des gesamten Retailvertriebs durch Berater zur Disposition: Es hat Fehlberatung sozusagen systemisch eingebaut.

Berater verdienen nämlich den Großteil ihres Geldes durch Provisionen. Bezahlt werden Abschlussprovisionen und teilweise auch Bestandsprovisionen, die während der Haltedauer der Finanzprodukte jährlich bezahlt werden. Die Motivation für den Verkäufer ist also groß, nicht das für den jeweiligen Kunden am besten geeignete Produkt zu verkaufen. Sondern jenes, das die höchste Provision bringt.

Und die Bestandsprovisionen motivieren Berater, denen ihr Einkommen lieb ist, dazu, Kunden zum Halten der Aktien und Fonds zu bewegen. Tatsächlich berichten MEL- und Immofinanz-Aktionäre, die ihre Papiere bei Finanzberatern geordert haben, ihnen sei während des Kursrückgangs auf Anfragen immer dringend geraten worden, die Wertpapiere nicht zu verkaufen.

Das zu ändern ist aber schwierig: „Optimal wäre es, wenn künftig die Beratung bezahlt würde, nicht der Abschluss“, meint etwa der Chef der Linzer Partner Bank, Bernhard Woldan. Nachsatz: „Aber niemand will hier für Beratung zahlen.“

Ein Problem ist indes gelöst: Die meist nur in Schnellsiedekursen geschulten „Finanzdienstleistungsassistenten“ werden nach einer Gesetzesänderung vom Markt verschwinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

ARCHIV - Fahnen wehen am 15. August 2008 vor der AWD-Hauptverwaltung in Hannover. Beim Finanzdienstle
Österreich

Gericht lässt Sammelklage gegen AWD zu

Die Sammelklage des VKI gegen den Finanzdienstleister AWD ist zulässig. Der Klage haben sich rund 2500 AWD-Kunden angeschlossen, denen rund 30 Millionen Euro Schaden durch die vorgeworfene Fehlberatung enstanden sind.
Österreich

Klagsflut gegen die Meinl Bank

Die Meinl Bank ist bereits mit 600 Klagen von Anlegern konfrontiert. Der Prozessfinanzierer AdvoFin kündigt weitere Sammelklagen für mehr als 8000 Geschädigte im Volumen von 148 Mio. Euro an.
THEMENBILD: FINANZDIENSTLEISTER AWD
Österreich

AWD-Bilanz angezweifelt: Rückstellungen zu niedrig

In der Bilanz 2008 hat der AWD Rückstellungen für Schadenersatz-Ansprüche über zwei Millionen Euro gebildet. Das sei zu wenig, kritisiert der Wirtschaftsprüfer BDO und verweigert das volle Testat.
THEMENBILD: FINANZDIENSTLEISTER AWD
Österreich

AWD rutscht noch tiefer in die Verlustzone

Im ersten Halbjahr 2009 muss der Finanzdienstleister einen Nettoverlust von 8,9 Millionen Euro hinnehmen. Vor einem Jahr stand noch ein Gewinn von 20 Millionen Euro. AWD Österreich trug 7,8 Millionen Verlust bei.
Finanzdienstleister AWD
Recht allgemein

Anleger-Klageflut: "AWD ist nur Spitze des Eisbergs"

Das Handelsgericht Wien geht in Klagen wegen falscher Anlage-Beratung unter. Dem Gericht fehlt das nötige Personal. Besserung ist keine in Sicht. Ein Grund für die Klage-Flut: Die Verjährungsfrist.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.