Ministerrat

Die Koalition kämpft mit Kaugummi

„Wer soll denn die Politik ernst nehmen?“ Kanzler Kern ist nach dem Ministerrat höchst verärgert über die ÖVP.
„Wer soll denn die Politik ernst nehmen?“ Kanzler Kern ist nach dem Ministerrat höchst verärgert über die ÖVP. (c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Zwei Welten des Regierungsalltags zeigten sich am Beispiel des Beschäftigungsbonus. Vizekanzler Brandstetter sieht gar keinen Streit, Bundeskanzler Kern droht der ÖVP ganz offen.

Wien. Es war eines der Markenzeichen von Alex Ferguson, dem Langzeitcoach des englischen Traditionsfussballklubs Manchester United: ständiges Kaugummikauen während eines Spiel. Was hat ManU mit Österreichs in Scheidung befindlicher Bundesregierung zu tun? Was die Serienerfolge Fergusons betrifft: nichts. Was den Kaugummi angeht, überraschend schon.

„Wenn man will, kann man alles wie einen Kaugummi in die Länge ziehen“: Bundeskanzler SPÖ-Vorsitzender Christian Kern bemüht am Dienstag nach dem Ministerrat dieses Bild. Wie häufig seit der Nationalratswahl 2013 steht wieder einmal gegenseitiges Kritisieren im Vordergrund. Der Anlass diesmal: der von SPÖ und ÖVP im Jänner vereinbarte Beschäftigungsbonus. Unternehmen, die Österreicher zusätzlich einstellen, sollen von einer Senkung der Lohnnebenkosten profitieren. Dafür ist die stattliche Summe von zwei Milliarden eingeplant.

Die ÖVP, in der Öffentlichkeit quasi juristisch durch den neuen Vizekanzler Wolfgang Brandstetter vertreten, will partout nicht verstehen, warum Kern so ungehalten über die „Hinhaltetaktik“ der ÖVP ist. Der SPÖ-Chef droht einmal mehr unverhohlen mit der Suche nach anderen Mehrheiten. Diese, so ist er überzeugt, lasse sich beim „Kampf gegen Arbeitslosigkeit“ auch ohne ÖVP finden.

Brandstetter sieht davor alles „rein pragmatisch“. Die Regelung für den Beschäftigungsbonus liegt im Parlament und werde, wie geplant, am 22. Juni im Wirtschaftsausschuss beschlossen. Der Statthalter von ÖVP-Chef Außenminister Sebastian Kurz, der auch selbst an der Regierungssitzung teilnimmt, sagt trocken wie mancher Jurist: „Da gibt's keinen Streit.“

Nervosität wegen Richtlinien

Was bringt das Blut der SPÖ-Politiker, allen voran von Kern derart in Wallung – abgesehen von der am 15. Oktober bevorstehenden Wahl? Für die SPÖ geht der Jobbonus entgegen der Keep-cool-Attitüde der ÖVP gerade den Bach herunter. Denn es sollte längst genaue Richtlinien für den Bonus, der ab 1. Juli geplant ist, geben. Am Donnerstag treffen nun die Fachleute zusammen. Zur Diskussion „allfälliger Probleme“, wie Brandstetter seelenruhig beteuert.

Warum man ihn, bei allem Respekt für einen Vizekanzler, ernst nehmen solle, nachdem Brandstetter im „Presse“-Interview erklärt habe, er hätte trotz seiner Spitzenfunktion keine „politische Meinung“? Da blickt er verblüfft über die Frage auf. Die Strafrechtsreform sei mehr oder weniger fertig. Ob Verschärfungen im Sicherheits- und Fremdenrecht „unpolitisch“ seien? Er habe Vorhaben als Minister doch „rechtspolitisch“ vorgebracht. Nun gehe es für ihn als Vizekanzler um die pragmatische Umsetzung, lautet seine Antwort, ehe er die (Medien)Bühne dem Bundeskanzler überlässt.

Kern ärgert sich wenig später demonstrativ darüber, dass das „wichtigste Projekt“ der Regierung seit vier Monaten in der Warteschleife sei. TV-kameragerecht fügt er hinzu: „Hier geht's nicht um die Jobs von Ministern, sondern um Jobs von Menschen.“ Und: „Wir haben genug Ausreden gehört.“ Ähnlich wie bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr solidarisiert er sich verbal mit den Wählern: „Wer soll denn die Politik ernst nehmen?“ Entweder fehle ernsthafter Wille bei der ÖVP, oder es sei Unfähigkeit. Kern will künftig Unternehmen und Betriebsräte, die sich bei ihm schon erkundigt hätten, wann der Bonus komme, direkt an die ÖVP weiterleiten.

Hürde beim Sicherheitspaket

An Brandstetter prallt der SPÖ-Zorn ab. Man habe sich auf einen Fahrplan verständigt, diktiert der Kurz-Statthalter in Mikrofone und Schreibblöcke. Seine Aufgabe sei es, dass möglichst viele der gemeinsamen Projekte vor der Neuwahl am 15. Oktober beschlossen werden. Ihm gehe es bei den ÖVP-Anliegen neues Sicherheitspolizeigesetz und strengeres Fremdenrecht seinerseits auch zu langsam.

Bei dem Punkt lässt ihn der Bundeskanzler danach kühl auflaufen. Der fordert für den auf 100 Seiten von der ÖVP eingebrachten Vorschlag wegen der heiklen Materie eine Begutachtung. Damit kommt Kern seinen – linken – Genossen entgegen. Die haben schon bisher Verschärfungen nur zähneknirschend mitgetragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2017)

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