Gestatten, mein Unterbauch!

Eva Wünsch (l.) und Luisa Stömer haben zusammen studiert und dann ihr erstes Buch zusammen gemacht.
Eva Wünsch (l.) und Luisa Stömer haben zusammen studiert und dann ihr erstes Buch zusammen gemacht.(c) Katharina Pflug
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„Ebbe & Blut“, die Menstruationsfibel von Luisa Stömer und Eva Wünsch, passt zum neuen Selbstverständnis junger Frauen: Über Eisprung, Tampons und Co. wird heute geredet.

Ob es stimmt, dass die ehemaligen Studienkolleginnen Luisa Stömer und Eva Wünsch exakt neun Monate an ihrem ersten gemeinsamen Buch namens „Ebbe & Blut“ gearbeitet haben, wie sie in ihren Dankworten schreiben, hat bisher niemand verifiziert. Aber es klingt natürlich gut, wenn man eine Abhandlung über den weiblichen Zyklus schreibt, weil neun Monate, da war doch was . . .

Seit Kurzem ist der aufwendig gestaltete Band der beiden Grafikerinnen aus Nürnberg auf dem Markt, das Ergebnis ihrer Abschlussarbeit des Grafikdesignstudiums – und es geht dabei, in ihren Worten gesagt, „um die Schönheit des Mittelschmerzes, die Ästhetik vollgebluteter Unterhosen und die Raffinesse der Eisprungphase“. Das Ergebnis ist äußerst ansprechend geworden, was vor allem an der Haptik liegt. Dass hier zwei Expertinnen der Schriftkunst und Bildsprache am Werk waren, ist unübersehbar. Fest steht auch, dass es wenige Menschen (ja, Menschen, denn das Buch richtet sich explizit nicht nur an Frauen, sondern auch an Männer) geben wird, die nach der Lektüre nicht ein paar neue Dinge erfahren haben. Medizinstudenten vor der Gyn-Prüfung, ausgeprägte Hypochonder oder Ärzte dieses Spezialgebiets ausgenommen.


Bloody Details. Da wird genau erklärt, welche Organe, Hormone und Hirndrüsen eine Rolle im Reproduktionsapparat spielen. Der Monatszyklus vollständig nacherzählt. Und erläutert, wieso sich die Vaginalflora mitunter temporär verändert und was man dagegen tun kann. Alles sehr direkt und kurzweilig erklärt, mit einer grundsätzlich positiven Haltung. „Es geht hier nämlich nicht um eine Schürfwunde am Knie, sondern um nichts Geringeres als die Wiege des Lebens“, schreiben die Autorinnen. In einem der letzten Kapitel widmen sie sich unter „Bloody Details“ kuriosem Wissen, wie menstrueller Synchronisation (Freundinnen, die zeitgleich menstruieren), räumen mit Mythen auf (nein, der Mond hat keinen erwiesenen Einfluss auf den Zyklus) und erklären, was „Dope für die Muschi“ ist, Marihuanazäpfchen, die angeblich bei Regelschmerzen helfen. Fazit: „Der Uterus ist also happy und high.“

Das ist zwar ganz amüsant, ein bisschen mehr Humor und Leichtigkeit im Ton hätten dem Buch trotzdem noch gut getan. So ist die Menstruationsfibel dann doch eine recht trocken erzählte Sache. Bei näherer Betrachtung fragt man sich, wieso die Illustrationen im Buch, so sie nicht bestimmte Körperteile oder -funktionen zeigen, ausschließlich Frauen aus den 1950er- und 1960er-Jahren abbilden. Mit Dauerwellenlocken, Badehaube oder im Haushaltskleid. Die Autorinnen erklärten es in einem Interview: Mit den Retro-Fotos, mit denen sie teilweise sehr schräge Collagen schufen, wollten sie zeigen, „dass es noch gar nicht so lang her ist, dass es ein konservativeres Frauenbild gab, in dem die Frau ins Haus gehört“.


Feld gut aufbereitet. Aber zurück zum eigentlichen Thema. Dass im Jahr 2017 ein Buch auf den Markt kommt, in dem es um einen der natürlichsten menschlichen Vorgänge überhaupt geht, überrascht nicht. Denn das Feld dafür ist bereits gut aufbereitet, in mehrfacher Hinsicht. Erstens hat das 2014 erschienene Aufklärungsbuch „Darm mit Charme“ einen kleinen Trend im Buchmarkt ausgelöst. Es ist gerade angesagt, sich auf mehreren Hundert Seiten diversen Körperteilen und ihren Funktionen zu widmen.


Erdbeerwoche in Österreich. Zweitens ist die Regel unter jungen Frauen heute kaum mehr ein Tabu. In Frauenzeitschriften, Medien wie „Vice“ oder „Neon“ oder in Blogs wird regelmäßig über die Vor- und Nachteile von Menstruationskappen und den neuesten Trend des „Free Bleeding“ (Menstruieren, ohne Hygieneartikel zu verwenden) gerätselt und diskutiert. Auf Instagram muss man nicht lang suchen, bis man auf Fotos von menstruierenden Frauen stößt. Comedians wie Tina Fey oder Lena Dunham oder die britische Autorin Caitlin Moran reden oder schreiben in ihren Büchern über Missverständnisse rund um das Thema. Und Initiativen wie #PeriodPositive oder das österreichische Bio-Frauenhygiene-Start-up „Erdbeerwoche“ wollen junge Frauen zu einem offenen Umgang mit der monatlichen Blutung animieren.

Auf ihrer Webseite schreiben die Gründerinnen der Erdbeerwoche: „Frauen sollen sich nicht länger für ihre Periode schämen bzw. diese als lästiges Übel betrachten. Stattdessen sollen sie die Macht erkennen, die sie als Konsumentinnen von jährlich 45Milliarden Hygieneprodukten haben – und dass sie dadurch entscheidenden Einfluss auf ihre Gesundheit und auf das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten haben.“

Es ist zwar längst nicht für alle, aber für viele junge Frauen selbstverständlich, sich selbstbewusst über ihren Zyklus und die Menstruation zu informieren und zwanglos mit Freundinnen zu beraten oder sogar mit dem Partner zu bereden. Ob einem die eigene Mutter oder Schwester den Gebrauch von Tampons und Verhütungsmitteln erklärt, ist dabei eher nebensächlich. Früher gab es nur Mädchenmagazine wie die „Bravo“ und gut versteckte Sexualkundebücher in der Bibliothek der Eltern. Heute gibt es im Internet unzählige Möglichkeiten, sich (auch anonym) zu informieren oder nachzufragen. Auch dieser Gedanke ist den Autorinnen gekommen, wie sie schreiben. „Völlig überholt also, dieses Buch“, dachten sie zuerst. „Da wir so aufgeklärt sind, wir wissen eben genau, wie eine Muschi von innen aussieht.“ Aber wer genau hinhört und grundlegende Fragen stellt, merke schnell, wie wenig Ahnung die meisten Menschen von diesen Dingen haben.

Der weibliche Zyklus, die Menstruation, Tampons und Regelschmerzen sind zwar kein echtes Tabu mehr, aber worum es dabei wirklich geht, wieso der Körper tut, was er tut, wissen die wenigsten. Frauen ebenso wie Männer. Darum ist ein Buch wie „Ebbe & Flut“ kein Fehler.

Buch und Autorinnen

„Ebbe & Blut.
Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus“
Luise Stömer und
Eva Wünsch
Verlag Gräfe und Unzer
240 Seiten,
24,70 Euro (19,99 Euro als E-Book)

Die Autorinnen, Luisa Stömer (geb. 1992) und Eva Wünsch (geb. 1991), kommen aus der Nähe von Nürnberg (Deutschland). Zusammen studierten sie dort von 2012 bis 2016 Grafikdesign und Illustration.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2017)

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