Grenfell Tower: "Ich schicke keine Feuerwehrleute da rein"

Der ausgebrannte Grenfell Tower in London
Der ausgebrannte Grenfell Tower in LondonAPA/AFP/TOLGA AKMEN
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Bei dem gewaltigen Brand im 24-stöckigen Grenfell Tower in London starben 17 Menschen. Britische Medien berichten, die Zahl der Toten könnte auf über 100 steigen. Die Feuerwehr hat die Suche nach weiteren Opfern vorerst abgebrochen. Die britische Premierministerin Theresa May ordnete eine unabhängige Untersuchung an.

Nach der Brandkatastrophe in einem Hochhaus in London hat die britische Premierministerin Theresa May am Donnerstagnachmittag eine unabhängige Untersuchung angeordnet. "Wir müssen wissen, was passiert ist, wir brauchen eine Erklärung", sagte May: "Das schulden wir den Familien, den Menschen, die ihre Lieben und ihr Zuhause verloren haben." Londons Bürgermeister Sadiq Khan hatte eine solche Untersuchung ebenfalls gefordert.

Schon in der Nacht auf Donnerstag hatte die Tory-Politikerin angekündigt, dass Maßnahmen ergriffen würden, wenn aus dem Feuer Konsequenzen zu ziehen seien. Die Regierungschefin würdigte zudem den Einsatz der Rettungskräfte und sprach den Betroffenen ihre Anteilnahme aus. "Heute Abend haben viele Menschen keinen Ort, wo sie hingehen können, sie haben absolut alles verloren. Ihnen zu helfen, muss für uns im Mittelpunkt stehen."

Berichte: Mehr als 100 Tote befürchtet

Die Londoner Feuerwehr hat die Suche nach weiteren Opfern im ausgebrannten Hochhaus unterdessen vorerst abgebrochen. Die Ränder des Gebäudes seien strukturell nicht sicher, sagte Feuerwehrchefin Dany Cotton am Donnerstag: "Ich schicke keine Feuerwehrleute da rein." Auch 24 Stunden nach dem Feuer gebe es noch Brandnester. Die Feuerwehr habe alle Stockwerke kurz durchsuchen können. Für eine gründlichere Suche müssten vor allem die oberen Stockwerke erst gesichert werden. Statt den Feuerwehrleuten sollten Hunde weiter nach Vermissten suchen.

Wie die Londoner Polizei am Donnerstag sagte, wird mit weiter steigenden Opferzahlen gerechnet. Wie viele Menschen noch vermisst werden, war nicht bekannt. Medien berichteten unter Berufung auf Behördenquellen, dass mehr als 100 Tote zu befürchten seien.

Anhand von Fingerabdrücken solle geklärt werden, wer alles im Gebäude war. Das alles könne Wochen dauern. Cotton sagte, die Rettungskräfte gingen nicht davon aus, noch jemanden lebend zu finden. Niemand wisse, wie viele Menschen sich zum Zeitpunkt des Feuers in dem Gebäude aufgehalten hätten. Neun Feuerwehrleute wurden bei der Suche nach Vermissten leicht verletzt. Sie sei aber mehr besorgt "über die psychische Gesundheit" ihrer Feuerwehr, sagte Cotton.

Bei dem gewaltigen Brand wurden am Mittwoch 65 Menschen von der Feuerwehr aus den Flammen gerettet, anderen gelang selbst die Flucht. Nach Angaben der Rettungskräfte vom Mittwoch wurden mindestens 78 Patienten in Kliniken behandelt. Am Donnerstag galt der Zustand bei 17 Patienten als kritisch. In dem Sozialbau mit 120 Wohnungen im Norden des Londoner Stadtteils Kensington im Westen der Stadt lebten britischen Medienberichten zufolge zwischen 400 und 600 Menschen.

Bürgermeister: "Wir werden alle Antworten bekommen"

Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan versprach ebenfalls umfassende Aufklärung. "Es wird im Laufe der nächsten Tage viele Fragen zur Ursache dieser Tragödie geben und ich möchte den Londonern versichern, dass wir dazu alle Antworten bekommen werden."

Der britische Brandschutz-Experte Jon Hall nannte den Brand im Grenfell Tower einen Unfall, wie er in der Dritten Welt vorkomme. "Alle Bestandteile der Feuersicherheit und des Gebäudemanagements" müssten versagt haben, vermutete er auf Twitter.

Nach der Katastrophe ist das Hochhaus im Stadtteil Kensington entgegen ersten Befürchtungen nicht einsturzgefährdet. Spezialisten hätten den Sozialbau untersucht und für weitere Lösch- und Bergungsarbeiten sicher befunden, wurde am Abend mitgeteilt. Das Gebäude wurde 1974 erbaut und war von 2014 bis 2016 saniert worden. Es hatte bereits Beschwerden über unzureichenden Brandschutz in dem Hochhaus gegeben.

Die Betreibergesellschaft KCTMO erklärte am Donnerstag, über die langjährigen Klagen der Bewohner über Missstände "auf dem Laufenden" gewesen zu sein. Die für die Renovierung zuständige Firma Rydon erklärte, bei der knapp zehn Millionen Euro teuren Maßnahme seien alle Brandschutz- und Sicherheitsvorschriften eingehalten worden.

Rund 25 Mio. Pfund Schaden

Nach Angaben des norwegischen Konzerns Protector Forsikring dürfte der finanzielle Schaden, der durch den verheerenden Brand entstand, mehr als 25 Millionen britische Pfund (28,42 Mio. Euro) ausmachen. Die Versicherungskosten dabei werden dem Erstversicherer zufolge fast völlig von der Münchener Rück getragen, sagte der Chef des Erstversicherers, Sverre Bjerkeli, am Donnerstag.

Die Kosten dürften für das Gebäude selbst etwa 20 Millionen Pfund betragen. Dazu kämen zusätzliche Kosten wie die Notunterkunft der Bewohner nach dem verheerenden Brand in der Nacht auf Mittwoch.

(APA/AFP/dpa)

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