Das Minarett der alten Moschee von Mossul wurde vernichtet – laut Iraks Regierung durch ein Sprengkommando des IS. Die Extremisten ruinierten bereits eine Reihe von Kulturschätzen.
Verwackelte Handyvideos waren die ersten Aufnahmen von der Vernichtung des alten Kulturgutes. Die Bilder sind von irakischen Soldaten aufgenommen und ins Internet gestellt worden. Sie zeigen, wie plötzlich eine Rauchwolke erst das Minarett und dann auch den Rest der Großen Moschee al-Nouri in Mossul einhüllt. Die nordirakische Stadt ist derzeit Schauplatz heftiger Gefechte zwischen den Jihadisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) und irakischen Sicherheitskräften.
Das schief stehende Minarett, im Volksmund als „bucklig“ bezeichnet, zählte zu den Wahrzeichen Mossuls. Jetzt wurde es zerstört. Das Gebiet rund um die Moschee wird nach wie vor vom IS kontrolliert, der mittlerweile in der Altstadt Mossuls eingekreist ist.
Iraks Regierung wirft dem IS vor, das muslimische Gotteshaus gesprengt zu haben. Die Jihadisten behaupten hingegen über ihre Internet-Propagandaagentur, dass die Moschee bei einem US-Luftangriff zerstört worden sei. Die US-Streitkräfte wiesen diesen Vorwurf zurück: Man habe keinen Angriff rund um die Moschee geflogen.
Bizarrer Auftritt des „Kalifen“
Die Große Moschee von al-Nouri wurde um 1170 errichtet, seither wurde sie mehrmals renoviert und umgebaut. Nach der Machtübernahme in Mossul im Juni 2014 hatten die IS-Jihadisten auf dem Minarett ihre schwarze Flagge gehisst. Einen Monat später verbreitete die IS-Propagandaabteilung im Internet ein Video, das IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi offenbar bei der Predigt in der Großen Moschee zeigt. In lange schwarze Gewänder gehüllt, rief der selbst ernannte „Kalif“ damals alle Muslime weltweit dazu auf, sich dem Irrsinnsprojekt des IS anzuschließen – ein unrealistisches Ansinnen, mit dem der IS keinen Erfolg hatte. Heute steht das „Kalifat“ kurz vor dem Ende. Möglicherweise war die Zerstörung des „buckligen“ Minaretts in Mossul ein letzter brachialer Akt eines zusammenbrechenden Systems.
Der IS hat in der Vergangenheit immer wieder auch muslimische Heiligtümer zerstört. So sprengten die Extremisten die Spitze des Minaretts der Moschee in der nordsyrischen Kleinstadt Tel Marouf weg. Die Moschee gehörte zu einer Sufi-Pilgerstätte. Und Sufismus, eine Spielart des Islam mit Mystizismus und Heiligenverehrung, hat in der eng ausgelegten Ideologie der Jihadisten keine Daseinsberechtigung. In der syrischen Stadt Palmyra jagte der IS antike Tempel in die Luft und zerschlug alte Steinskulpturen, weil diese „unislamisch“ seien.
„Alte Schriften sind verloren“
Bereits im Juli 2014 sprengten IS-Kommandos in Mossul das Grabmal des Propheten Jonas, der von Muslimen, Christen und Juden verehrt wird. Mossuls Bibliothek wurde in Brand gesteckt. Und auch die antiken Kunstschätze im Museum der Stadt fielen der Zerstörungswut der Jihadisten zum Opfer – ebenso wie Ausgrabungen in der antiken Stätte Nimrud.
„Was in Mossul an alten Schriften aufbewahrt worden ist, ist verloren“, sagt Hakim al-Shammary zur „Presse“. Er leitete von 2004 bis 2010 die Abteilung für internationale Beziehungen im irakischen Ministerium für Tourismus und antike Schätze. Derzeit ist er zu Besuch in Wien.
Der IS zerstörte nicht nur antike Schätze, er plünderte auch und verkaufte wertvolle Stücke weiter. Für Iraks Behörden ist teilweise nur mehr schwer festzustellen, was alles fehlt. „In der Bibliothek in Mossul lagerten CDs mit Dokumentationen der lokalen Fundstücke“, berichtet Shammary. Diese Datenträger seien aber vom IS mitgenommen worden. Bereits nach dem US-Einmarsch im Irak 2003 war es zu Plünderungen von Kunstschätzen gekommen.
Experten aus Österreich
Shammary hofft, dass vom IS zerstörte Kulturstätten zumindest wieder zum Teil restauriert werden können. Von Frankreich, Saudiarabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait seien bereits insgesamt 75 Millionen Dollar zum Schutz des antiken Erbes des Irak zugesagt worden.
„Österreich könnte helfen, indem es uns mit Experten unterstützt“, sagt Iraks Botschafter in Wien, Auday al-Khairalla. Dabei gehe es nicht nur um die Wiederherstellung zerstörter Kulturgüter, sondern auch um die Ausgrabung noch verborgener Stätten. „Es gibt im Irak derzeit durchaus auch sichere Plätze für internationale Archäologen.“ Mossul zähle freilich – zumindest derzeit – noch nicht dazu, so der Botschafter.
In der nordirakischen Stadt kämpft der IS seine letzte Rückzugsschlacht – mit allen Mitteln.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2017)